Ein ernst gemeintes betriebliches Eingliederungsmanagement beinhaltet eine genaue, ergebnisoffene Suche nach passenden Möglichkeiten der Prävention. © Adobe Stock: Gina Sanders
Ein ernst gemeintes betriebliches Eingliederungsmanagement beinhaltet eine genaue, ergebnisoffene Suche nach passenden Möglichkeiten der Prävention. © Adobe Stock: Gina Sanders

Seit sechs Jahren war der vom Rechtschutzbüro Bremen vertrete Kläger jährlich zwischen 50 und 200 Tage arbeitsunfähig erkrankt. Das ist viel und kann einen Arbeitgeber durchaus dazu bringen, sich zu überlegen, das Arbeitsverhältnis zu kündigen.

 

Bei längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten ist ein BEM vorgeschrieben

 

Der Kündigung ist ein ordnungsgemäßes „betriebliches Eingliederungsmanagement“ vorzuschalten.

 

Lesen Sie dazu:

 

Ohne BEM ist eine Kündigung unwirksam

 

Es gab im Fall des Klägers schon viele BEM

 

Davon hatte der Arbeitgeber des Klägers auch Kenntnis. Er hatte das Verfahren aufgrund verschiedener früherer Fehlzeiten seines Mitarbeiters über den BEM-Beauftragten seines Unternehmens daher bereits vor rund zehn Jahren erstmals eingeleitet und fortgeführt.

 

Zuletzt fanden bis zum Frühjahr 2021 etwa alle vier Wochen BEM-Gespräche statt. Aufgrund einer neuerlichen Erkrankung des Klägers konnten die Gespräche anschließend nicht fortgeführt werden. Der Kläger besprach mit dem BEM-Beauftragten des Arbeitgebers, dass im August 2021 ein neuer Termin für den September gefunden werden sollte. Bereits im Juli brach der BEM-Beauftragte das BEM ab. Kurz darauf erhielt der Kläger eine Kündigung.

 

Der Arbeitgeber hatte seine Pflichten nicht erfüllt

 

So geht das nicht, entschied das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven. Die Kündigung sei unverhältnismäßig.

 

Bestehe ein Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements und komme er dieser Pflicht nicht nach, müsse er darlegen und beweisen, dass auch ein BEM neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht hätte entgegenwirken und das Arbeitsverhältnis erhalten können.

 

Die Durchführung eines BEM sei zwar nicht selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mithilfe eines BEM könnten jedoch mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

 

Problematisch war der einseitige Abbruch des Arbeitgebers

 

Die Beklagte habe im Fall des Klägers kein regelkonformes betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, da sie das BEM einseitig abgebrochen habe.

 

Ein BEM gebe nur den Rahmen eines verlaufs- und ergebnisoffenen Suchprozesses vor. Es solle individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln, ohne explizit vorzusehen, wann dieser Suchprozess abgeschlossen sei.

 

Ein BEM sei abgeschlossen, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer*in darin übereinstimmten, dass der Suchprozess durchgeführt worden sei oder nicht weiter durchgeführt werden solle. Dies gelte auch, wenn der*die Arbeitnehmer*in die Zustimmung für die weitere Durchführung nicht erteile. Die Zustimmung des*der Betroffenen sei Voraussetzung für den Klärungsprozess.

 

Kein Abbruch vor Möglichkeit einer Stellungnahme

 

Der Arbeitgeber könne den Suchprozess nicht einseitig beenden. Gebe es aus seiner Sicht keine Ansätze mehr für zielführende Präventionsmaßnahmen, dürfe er den Klärungsprozess erst dann als abgeschlossen betrachten, wenn auch arbeitnehmerseits und von den übrigen beteiligten Stellen keine ernsthaft weiterzuverfolgen Ansätze für zielführende Präventionsmaßnahmen aufgezeigt würden. Gegebenenfalls habe der Arbeitgeber hierfür Gelegenheit zur Äußerung innerhalb einer von ihm gesetzten Frist einzuräumen.

 

Die Beklagte habe das BEM-Verfahren nicht ordnungsgemäß abgeschlossen. Für September 2021 seien weitere Termine besprochen gewesen. Die Beklagte habe dem Kläger im Zusammenhang mit der beabsichtigten einseitigen Beendigung des BEM keine Möglichkeit zu einer abschließenden Stellungnahme gegeben. Damit habe die Beklagte das Verfahren nicht einseitig beenden und als abgeschlossen betrachten dürfen.

 

Die höchstrichterliche Rechtsprechung habe Arbeitgeber grundsätzlich dazu aufgefordert, eine Stellungnahme des*der Betroffenen einzuholen. Damit solle dem*der Erkrankten nochmals die Gelegenheit gegeben werden, die Angaben zum Genesungsstand zu aktualisieren. Weil bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit auch ein erneutes BEM durchgeführt werden müsse, erscheine es unerlässlich, den Arbeitgeber zur Einholung einer weiteren Stellungnahme zu verpflichten.

 

Auch die Betriebsratsanhörung war fehlerhaft

 

Damit verbunden erachtete das Arbeitsgericht auch die Anhörung des Betriebsrates zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung für fehlerhaft. Dem Betriebsrat hatte der Arbeitgeber mitgeteilt, dass das eingeleitete BEM-Verfahren einen ordnungsgemäßen Abschluss gefunden habe. Das sei jedoch nicht der Fall. Der Arbeitgeber habe schließlich einseitig ohne Einholung einer Stellungnahme des Betroffenen abgebrochen.

 

Dieser Unterschied erschien dem Gericht so wesentlich, dass der Betriebsrat im Rahmen der Anhörung zur beabsichtigten Kündigung diesbezüglich hätte umfassend unterrichtet werden müssen.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven.

 

Rechtliche Grundlagen

§ 167 SGB IX

§ 167 SGB IX Prävention

(1) Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.

(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Beschäftigte können zusätzlich eine Vertrauensperson eigener Wahl hinzuziehen. Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.

(3) Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern.