Wer mit Kündigungsgründen zu spät kommt, den bestraft das Leben? Copyright by Artram/Adobe Stock
Wer mit Kündigungsgründen zu spät kommt, den bestraft das Leben? Copyright by Artram/Adobe Stock

Mit dieser Frage hatte sich das Bundesarbeitsgericht in mehreren Entscheidungen beschäftigt.
 

Ist „Nachschieben“ grundsätzlich möglich?

Arbeitgeber können Kündigungsgründe „nachschieben“, wenn diese (weiteren) Gründe

  • bereits vor Ausspruch der Kündigung bestanden haben

und

  • der Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung davon erfährt.

 
Wenn Maria also die Kollegin bereits vor Ausspruch der Kündigung wegen Diebstahls geschlagen haben soll, kann der Arbeitgeber diesen Kündigungsgrund „nachschieben“, wenn er erst nach Ausspruch der Kündigung davon erfahren hat.
Deshalb verliert ihr Maria ihren Prozess, wenn sich herausstellt, dass sie zwar nicht gestohlen, aber ihre Kollegin vor Ausspruch der Kündigung geschlagen hat.
 

Gibt es weitere Voraussetzungen?

Diese Frage beantwortet derselbe Senat des Bundesarbeitsgerichts unterschiedlich.
 

Die Entscheidungen aus den Jahren 1997 und 2007

In diesen beiden Entscheidungen führt das Bundesarbeitsgerichts aus, für die Zulässigkeit eines „Nachschiebens“ komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber im Hinblick auf die „ursprünglichen“ Kündigungsgründe die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches eingehalten habe.

Diese Frist solle Arbeitnehmer*innen innerhalb kurzer Zeit Gewissheit darüber verschaffen, ob eine außerordentliche fristlose Kündigung erfolgt oder nicht. Der Gesetzgeber wolle damit vermeiden, dass der Arbeitgeber ein Mittel in der Hand halte, um Arbeitnehmer*innen während der weiteren Dauer des Arbeitsverhältnisses unter Druck zu setzen.

Dieser Zweck der gesetzlichen Vorschrift sei aber nicht mehr zu erreichen, wenn der Arbeitgeber bereits eine Kündigung ausgesprochen habe. Denn dann habe er bereits zu erkennen gegeben, dass er am Arbeitsverhältnis auf keinen Fall festhalten wolle. Deshalb komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber die Zweiwochenfrist im Hinblick auf die „ursprünglichen“ eingehalten hat.
Das bedeutet für Maria, dass sie ihren Arbeitsplatz wegen der Tätlichkeit auch dann verlieren wird, wenn der Arbeitgeber die Zweiwochenfrist wegen des Diebstahls nicht eingehalten hat.
 

Die Entscheidung aus dem Jahr 2013

In diesem Urteil schreibt derselbe Senat:
 
„Ist die Kündigung als solche rechtzeitig erklärt, schließt
§ 626 Abs. 2 Satz 1 BGB ein Nachschieben nachträglich bekannt gewordener Gründe nicht aus.“

 
Damit stellt das Gericht klar, dass ein „Nachschieben“ nur zulässig ist, wenn der Arbeitgeber wegen der „ursprünglichen“ Gründe innerhalb der Zweiwochenfrist gekündigt hat.
Eine nähere Begründung für diese zusätzliche Voraussetzung ist dem Urteil nicht zu entnehmen.

BAG, Urteil vom 23. Mai 2013 – 2 AZR 102/12
BAG, Urteil vom 04. Juni 1997 – 2 AZR 362/96
BAG, Urteil vom 06. September 2007 – 2 AZR 264/06

Das sagen wir dazu:

Der Entscheidung aus dem Jahr 2013 ist der Vorzug zu geben. Denn auch wenn Arbeitnehmer*innen wissen, dass die „ursprünglichen“ Kündigungsgründe haltlos sind, kann ein Arbeitgeber sie mit tatsächlichen oder auch nur angeblichen weiteren Kündigungsgründen sehr wohl weiterhin unter Druck setzen.

Darüber hinaus ist zu fordern, dass ein „Nachschieben“ von Kündigungsgründen nur möglich ist innerhalb von zwei Wochen, nachdem der Arbeitgeber von ihnen erfahren hat. Denn der von § 626 Abs. 2 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches verfolgte Zweck der schnellen Rechtssicherheit verpufft, wenn sich der Arbeitgeber – innerhalb der Regelungen zum verspäteten Sachvortrag – beliebig Zeit lassen kann, die weiteren Kündigungsgründe vorzubringen.

Rechtliche Grundlagen

Paragraf 626 BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 626 Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.