„Raus“ – der Arbeitgeber meinte es im Fall des Klägers so ernst, dass er gleich mehrfach kündigte. © Adobe Stock: Jeanette Dietl
„Raus“ – der Arbeitgeber meinte es im Fall des Klägers so ernst, dass er gleich mehrfach kündigte. © Adobe Stock: Jeanette Dietl

Kläger und Beklagte waren sich in mehreren Dingen uneins. Wegen einer Versetzung führten sie ein Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht. Der Arbeitgeber hatte auch schon eine Änderungskündigung ausgesprochen, die vom Kläger nicht unter dem Vorbehalt der Rechtmäßigkeit der geänderten Bedingungen angenommen worden war. Das Gericht musste neben der Wirksamkeit der Versetzung auch darüber entscheiden, ob diese Änderungskündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien zum Ablauf des 30. September 2021 beendet hatte.

 

Daneben ging es insbesondere auch darum, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über seine beiden Klagen weiter zu beschäftigen.

 

Es gab noch weitere Änderungskündigungen

 

Zwischenzeitlich hatte der Arbeitgeber eine weitere, vorsorgliche Änderungskündigung ausgesprochen, die das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2022 beenden sollte. Abermals kündigte die Beklagte dem Kläger am 26. April 2022. Mit dieser nochmaligen, wiederum vorsorglichen, schriftlichen Änderungskündigung beendete die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31. Dezember 2022. Offensichtlich wollte es da jemand ganz gründlich machen.

 

Beide Änderungskündigungen hatte der Kläger nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der in den Kündigungen enthaltenen Änderungen angenommen. Gegen beide Kündigungen erhob er darüber hinaus Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Stuttgart. Das Gericht setzte beide Rechtsstreite bis zum Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit aus.

 

Die Versetzung hatte das Arbeitsgericht für unwirksam gehalten

 

Zur Versetzung hatte das Arbeitsgericht in erster Instanz schon entschieden. Im Arbeitsvertrag des Klägers war der Arbeitsort angegeben und das habe der Kläger nur so verstehen können, dass der Arbeitgeber ihn ausschließlich an diesem Ort beschäftigen dürfe. Der ebenfalls im Vertrag geregelte Versetzungsvorbehalt beziehe sich auf eine andere Abteilung oder einen anderen Betriebsteil des Unternehmens, nicht jedoch auf einen anderen Arbeitsort.

 

Die streitgegenständliche Änderungskündigung, scheiterte aus Sicht des Arbeitsgerichts Stuttgart schon daran, dass nicht ersichtlich war, dass die Kündigung dem Kläger erst nach Ablauf der Wochenfrist zur Anhörung des Betriebsrats im Sinne des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG zugegangen sei. Darüber hinaus erweise sich die Kündigung auch deshalb unwirksam, weil nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagte die streitgegenständliche Kündigung erst ausgesprochen habe, nachdem ihre Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit eingegangen gewesen sei.

 

Trotz der eindeutigen Entscheidung legte der Arbeitgeber Berufung ein

 

Die Versetzung hielt der Arbeitgeber weiter für wirksam, denn er habe sich im Arbeitsvertrag das Recht vorbehalten, „dem Mitarbeiter auch andere, seinen Fähigkeiten und Kenntnis entsprechende, zumutbaren Aufgaben in einer anderen Abteilung oder einem anderen Betriebsteil" aufzutragen. Die Versetzung entspreche zudem billigem Ermessen.

 

Den Betriebsrat habe er ordnungsgemäß angehört. Der Betriebsratsvorsitzende habe das Anhörungsschreiben am 19. März 2021 erhalten. Die Änderungskündigung sei dem Kläger durch einen Kurierdienst am 30. März 2021 zugestellt worden. Die Wochenfrist für die Anhörung des Betriebsrates habe die Beklagte damit eingehalten.

 

Dem Kläger selbst war das Datum der Zustellung der ersten Änderungskündigung demgegenüber nicht mehr bekannt. Hingegen konnte er sich daran erinnern, dass er dieses Kündigungsschreiben nicht von einem Zustelldienstleister erhalten habe. Das Schreiben sei in einem neutralen DIN4-Umschlag, welcher lediglich das Logo der

Beklagten getragen habe, in seinen Briefkasten eingeworfen worden. Die weiteren, im vorliegenden Rechtsstreit nicht streitgegenständlichen Kündigungen, habe er hingegen über einen Zustelldienstleister erhalten und dabei erkennen können, dass auf dem Brief jeweils dessen Logo erkennbar und ein auffallender Adressaufkleber auf den Umschlägen angebracht gewesen sei.

 

Im Übrigen sei die Betriebsratsanhörung unwirksam, da die Beklagte dem Betriebsrat fälschlicherweise mitgeteilt habe, dass er (erst) am 6. September 2004 bei der Beklagten eingetreten sei, sie dann aber im weiteren Lauf des Anhörungsschreibens gar sein Eintrittsdatum erst mit dem 4. März 2015 angegeben hatte. Die auf der Grundlage seines Eintritts am 4. März 2015 berechneten 21 Sozialpunkte für seine Person seien ebenfalls nicht korrekt. Die Beklagte die Sozialpunktezahl richtigerweise mit 35 Punkten mitteilen müssen.

 

Das LAG hält die Feststellungsklagen für begründet

 

Die Klage betreffend die Versetzung sei - wie auch vom Arbeitsgericht in erster Instanz entschieden – deshalb begründet, weil im Arbeitsvertrag zwar die Möglichkeit einer Versetzung des Klägers in eine andere Abteilung oder einen anderen Betriebsteil geregelt sei, nicht hingegen an eine örtlich zu einem anderen Betrieb gehörenden Abteilung oder zu einem anderen Betrieb gehörenden Betriebsteil.

 

Die Kündigung scheitere an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates. Ob die Beklagte die gesetzliche Wochenfrist eingehalten habe, könne dahingestellt bleiben.

 

Die Anhörung des Betriebsrates regelt das Gesetz in § 102 BetrVG

 

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Nach Satz 3 dieser Bestimmung ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. gegebenenfalls zugunsten des:der Betroffenen auf den Arbeitgeber einzuwirken.

 

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er den Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Eine dabei zwar vermeidbare, aber unbewusst erfolgte, „bloß“ objektive Fehlinformation führt für sich genommen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Schildert der Arbeitgeber dem Betriebsrat demgegenüber einen unrichtigen oder unvollständigen - und damit irreführenden - Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung deshalb unwirksam.

 

Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren.

 

Bestreitet ein:e Arbeitnehmer:in die „ordnungsgemäße'' Betriebsratsanhörung, ist es Sache des Arbeitgebers, deren Richtigkeit und Vollständigkeit darzulegen. Aus Gründen der Sachnähe ist es Aufgabe des Arbeitgebers, darzulegen und notfalls zu beweisen, dass er den Betriebsrat nicht bewusst in die Irre geführt hat.

 

Eine Fehlinformation mit Folgen lag hier vor

 

An diesen Gesichtspunkten, die sich aus der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ergeben, orientierte sich das LAG auch im hier streitigen Fall.

 

Die Beklagte habe den Betriebsrat unbewusst falsch informiert. Nach dem Kündigungsschutzgesetz müsse sie aber die Sozialdaten wegen der zu treffenden sozialen Auswahl korrekt angeben. Hier lägen Fehler hinsichtlich des Eintrittsdatums und der Sozialpunkte vor. Das Gericht war diesbezüglich schon nicht davon überzeugt, dass die Beklagte den Betriebsrat nicht bewusst in die Irre geführt hatte, nachdem die objektiven Umstände nicht mit den von der Beklagten mitgeteilten Umständen übereinstimmten. Die Beklagte habe nicht nur ein falsches Eintrittsdatum, sondern sogar unterschiedliche Eintrittsdaten genannt.

 

Die Kündigungsschutzklage gewann der Kläger  

 

Anders sah es bzgl. seines ebenfalls gestellten Weiterbeschäftigungsantrages aus. Diesen hielt das LAG für nicht begründet.

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beende eine erneute Kündigung des Arbeitgebers grundsätzlich den vorläufigen Weiterbeschäftigungsanspruch des:der Gekündigten. Ausnahmen gebe es nur, wenn die zeitlich nachfolgende Kündigung offensichtlich unwirksam sei oder vom Kündigenden auf dieselben Gründe gestützt werde, die bereits nach Auffassung des Arbeitsgerichts für die dieser Kündigung vorausgehende (erste) Kündigung nicht ausgereicht hätten.

 

Sei in einem Kündigungsrechtsstreit entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden sei, könne der Arbeitgeber eine erneute Kündigung damit nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht habe und die im ersten Kündigungsschutzprozess vom Gericht auch materiell geprüft worden seien.

 

Der zweiten, rechtzeitig erhobenen, Klage müsse das Arbeitsgericht dann ohne weiteres stattgeben. Das Urteil in dem ersten Prozess wirke in diesem Fall in der Weise für das zweite Verfahren, dass eine erneute Nachprüfung des Kündigungsgrundes nicht erfolgen dürfe.

 

Bei der Nachkündigung im Fall des Klägers handele es sich nicht um eine Wiederholungskündigung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

 

Für seinen Weiterbeschäftigungsantrag half das dem Kläger nicht weiter

 

Vorliegend habe das Arbeitsgericht die erste Kündigung der Beklagten, über die hier zu entscheiden sei, einer materiell-rechtlichen Prüfung, insbesondere einer Prüfung der sozialen Rechtfertigung nach dem Kündigungsschutzgesetz, nicht unterzogen. Die Kündigung habe es ausschließlich aus formellen Gründen, nämlich u.a. wegen fehlerhafter Betriebsratsanhörung, für unwirksam erachtet.

 

Im Hinblick darauf habe das Arbeitsgericht nicht entschieden, dass der Sachverhalt für einen Kündigungsgrund nicht ausreiche. Darüber hinaus unterscheide sich der

von der Beklagten angeführte Lebenssachverhalt in der Nachkündigung auch von der streitgegenständlichen ersten Kündigung. Dieser ersten Kündigung habe noch die Prognose des Wegfalls des Arbeitsplatzes zu Grunde gelegen, während der späteren Kündigung im Dezember 2021 der tatsächliche - nicht nur prognostizierte - Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger den Kündigungsgrund bilden sollte.

 

Der eigentliche Prozess war damit gewonnen, eine Weiterbeschäftigung bis zur Entscheidung in den weiteren Kündigungsschutzprozessen konnte der Kläger aber leider nicht durchsetzen.

 

 

Das sagen wir dazu:

Lena Wintergerst-Hölle vertritt den Kläger. Sie berichtet uns, das DGB Rechtsschutzbüro Stuttgart führe mehrere Kündigungsschutzklagen gegen diesen Arbeitgeber. Dabei handelte es sich um Beschäftigte, welche in der Produktion des Unternehmens tätig gewesen seien. Die Produktion will die Beklagte seit dem 31.12.2022 geschlossen haben. Es wurde in Wellen gekündigt. In diesem Verfahren gibt es noch zwei weitere Nachkündigungen. Der Kläger habe schon nach dem erstinstanzlich gewonnen Urteil die Weiterbeschäftigung vollstrecken wollen. Auch bereits hier hatte das Landesarbeitsgericht dem Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung der Beklagten statt stattgegeben.

 

Leider habe sich das Landesarbeitsgericht in den schriftlichen Urteilsgründen nur mit dem formalen Fehler der Betriebsratsanhörung beschäftigt, obwohl in der mündlichen Verhandlung auch materielle Probleme bei der Sozialauswahl seitens des Gerichts angesprochen worden seien. Bei der zweiten Kündigung des Klägers habe der Arbeitgeber die Sozialpunkte ebenfalls falsch berechnet, allerdings in einem kleineren Ausmaß als bei der ersten Kündigung.