Die Kündigung muss übergeben sein – nur dann beginnt die Klagefrist zu laufen. © Adobe Stock: fovito
Die Kündigung muss übergeben sein – nur dann beginnt die Klagefrist zu laufen. © Adobe Stock: fovito

Eine Kündigung muss mit der erkennbaren Absicht, sie zu übergeben, ausgehändigt werden. Nur dann wird die Frist für die Einreichung einer Kündigungsschutzklage in Gang gesetzt. So formuliert es das Arbeitsgericht Hamburg in seinem Urteil.

 

Das hat was mit dem Zugang einer Willenserklärung zu tun. Damit hatte sich das Bundesarbeitsgericht schon 2015 auseinandergesetzt. Diese Entscheidung bildete die Grundlage für das Hamburger Urteil.

 

Eine Willenserklärung geht mit der Übergabe zu

 

Der Zugang einer verkörperten Willenserklärung unter Anwesenden ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts dann bewirkt, wenn das Schriftstück dem Empfänger mit der für ihn erkennbaren Absicht, es ihm zu übergeben, angereicht wird. Es geht dagegen nicht zu, wenn es dem Empfänger zum Zwecke der Übergabe zwar angereicht, aber von dem Erklärenden oder Überbringer wieder an sich genommen wird, weil der Empfänger die Annahme abgelehnt hat.

 

Es genüge für einen Zugang, heißt es dort weiter, wenn der klagenden Arbeitnehmerin das Kündigungsschreiben „mit dem erkennbaren Ziel, es ihr auszuhändigen, angereicht und anschließend vor ihr auf den Tisch gelegt" worden sei; ein bloßes Zeigen oder Hinhalten reiche hingegen nicht aus.

 

Die potentielle Kenntnis vom Inhalt genügt nicht

 

Auch das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte zu einem ähnlichen Fall schon einmal zu entscheiden und ging davon aus, dass eine schriftliche Kündigungserklärung dem Arbeitnehmer jedenfalls dann nicht zugeht, wenn ihm die einzige Ausfertigung des Schriftstücks lediglich kurz zur Empfangsquittierung und anschließender Rückgabe an den Arbeitgeber angereicht wird. Die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt demnach nicht nur auf die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Inhalt der schriftlichen Erklärung ab, sondern verlangt auch, dem Empfänger den Gewahrsam an dem Schriftstuck zu verschaffen. Man müsste keine „Übergabe und Aushändigung" und keine Möglichkeit des „Ansichnehmens" fordern, wenn es schon genüge, potenzielle Kenntnis vom Inhalt der Erklärung zu erlangen.

 

Nur bei diesem Verständnis des Zugangsbegriffs lasse sich die Frage vermeiden, ob dem Empfänger überhaupt die erforderliche Zeit verblieben ist, um die Kündigungserklärung zu erfassen, oder nicht. Habe der Kündigungsempfänger nicht zumindest die Möglichkeit, das Kündigungsschreiben mitzunehmen, liefen außerdem weitere Funktionen des gesetzlichen Schriftformerfordernisses leer. Das gelte insbesondere für die sogenannte Verifikationsfunktion: Der Empfänger der Erklärung solle die Möglichkeit haben, am Original zu überprüfen, ob die Erklärung echt und der Text von der Unterschrift gedeckt ist. Das betreffe vor allem die Unterschrift selbst.

 

Nicht selten sei einer Kündigungserklärung nämlich nicht auf den ersten Blick anzusehen, ob es sich um eine Originalunterschrift handelt oder nur um ein Faksimile, eine Kopie oder Ähnliches. Der:die Kündigungsempfänger:in müsse deshalb die Möglichkeit haben, den Schriftzug unter der Kündigung als Unterschrift zu prüfen und darüber hinaus feststellen können, ob die Unterschrift von einer dazu berechtigten Person geleistet wurde.

 

Diese Grundsätze machen die Entscheidung leicht

 

Nach all dieser Theorie war es für das Gericht nicht mehr schwer, den Hamburger Fall zu entscheiden. Der Arbeitgeber hatte dort behauptet, der Kläger, ein Kellner in deren Restaurant, habe am 31.12. 2022 eine Kündigung erhalten. Der Betroffene selbst wies darauf hin, an dem Tag erkrankt gewesen zu sein und sich zu Hause befunden zu haben. Es gab aber tatsächlich ein Kündigungsschreiben mit Datum 31.12.2022.

 

Nach Angaben des Klägers habe es aber erst am 23. Januar 2023 einen per WhatsApp vereinbarten Termin in einem Restaurant gegeben. Er habe mit einem der Gesellschafter der Beklagten außerhalb des Restaurants zusammengesessen und hier die Kündigung vom 31. Dezember 2022 ausgehändigt bekommen. Das Kündigungsschreiben einschließlich der Empfangsbestätigung sei bereits vorformuliert gewesen, wobei auch das Datum „31.12.22" bereits eingetragen gewesen sei. Die Kündigungsschutzklage erhob der DGB Rechtsschutz Hamburg für den Betroffenen am 9. Februar 2023.

 

Nach Meinung des Arbeitgebers war das zu spät

 

Ausgehend von der Kündigung vom 31.12.2022 habe der Kläger die gesetzliche Klagefrist nicht eingehalten. Der Kläger sei im Übrigen am 31. Dezember 2022 unentschuldigt nicht zur Arbeit gekommen. Auch vorher wäre das bereits mehrfach geschehen. Daher habe die Beklagte den Kläger angerufen und in das Restaurant zitiert, wo er die Kündigung unterzeichnet habe. Richtig sei, dass der Kläger am 31. Dezember 2022 die Kündigung nicht ausgehändigt bekommen habe. Die Beklagte habe lediglich die Unterschrift des Klägers als Empfangsbeleg bei sich behalten. Die Kündigung sollte sich der Kläger danach abholen, da die Beklagte genug von ihm gehabt habe.

 

Die Kündigung war erst im Januar zugegangen

 

Für das Arbeitsgericht stand angesichts der zitierten Rechtsprechung fest, dass dem Kläger die Kündigung erst am 23. Januar zuging. Damit hatte er die Kündigungsschutzklage nicht verspätet erhoben. Die Kündigung sei dem Kläger selbst dann nicht bereits am 31. Dezember 2022 zugegangen, wenn man zugunsten der Beklagten unterstelle, dass deren Vortrag richtig sei; denn die Beklagte habe ausdrücklich zugestanden, dass sie dem Kläger am 31. Dezember 2022 die Kündigung nicht ausgehändigt habe, sondern lediglich die Unterschrift des Klägers als Empfangsbeleg bei sich behalten hatte.

 

Weil die Beklagte auch die Kündigungsgründe im Verfahren nicht ausreichend darlegte, war die Kündigung im Übrigen auch unwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz fand auf Grund einer mehr als sechs Monate dauernden Betriebszugehörigkeit des Klägers Anwendung. Da reichte es nicht aus, dass sich die Beklagte primär auf das Verstreichen der Klagefrist berief. Die pauschale Behauptung, der Kläger habe mehrfach unentschuldigt gefehlt, hielt den Anforderungen, die das Kündigungsschutzgesetz an einen Kündigungsgrund stellt, nicht stand. Damit hatte die Beklagte den Kläger weiter zu beschäftigen.