Leistungsausschluss für EU-Ausländer verfassungswidrig? Copyright by MQ-Illustrations/Adobe Stock
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In Deutschland lebende EU-Ausländer, die nicht arbeiten und kein anderes  Aufenthaltsrecht haben, haben keinen Anspruch auf so genannte Hartz-IV-Leistungen. Einen entsprechenden Leistungsausschluss hat der Gesetzgeber 2016 auch für die Sozialhilfe in das Gesetz aufgenommen.

EU-Ausländer schlechter gestellt als Ausländer aus Drittstaaten

EU-Ausländer, die gegen den Verlust ihres Aufenthaltsrechts vor den Verwaltungsgerichten klagen, sind damit während der Dauer des Klageverfahrens vollständig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen. Gegenüber Ausländern aus Drittstaaten sind EU-Ausländer ersichtlich schlechter gestellt, denn diese erhalten in vergleichbaren  Situationen regelmäßig Asylbewerber.
 

Mutter mit drei Kindern erhält weder Arbeitslosengeld noch Sozialleistungen

In dem vom Sozialgericht (SG) Darmstadt zu entscheidenden Fall geht es um eine Mutter mit drei minderjährigen Kindern. Sie sind rumänische Staatsangehörige. Seit 2010 leben sie in Deutschland. Die Kinder sind schulpflichtig und gehen hier zur Schule.
Die Ausländerbehörde stellte 2018 das Fehlen eines Aufenthaltsrechts fest. Dagegen klagte die Familie vor dem Verwaltungsgericht (VG). Aufgrund des ungeklärten Aufenthaltsrechts wurden der Familie keine Arbeitslosengeld-II- Leistungen mehr gewährt. Auch wurde ein Antrag auf Sozialhilfe abgelehnt. Ende Oktober 2019 stellte die Familie einen Eilantrag beim SG Darmstadt. Derzeit wird der Bedarf der Familie im Wesentlichen durch Sachspenden einer Kirchengemeinde gesichert. Da eine Räumungsklage wegen rückständiger Mieten erhoben wurde, droht Obdachlosigkeit.
 

Sozialgericht sieht Grundrecht auf menschenwürdiges Existenzminimum verletzt

Nach Überzeugung des SG Darmstadt wird durch den vollständigen Leistungsausschluss das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt.
Als Menschenrecht stehe dieses Grundrecht deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zu.
Mit Beschluss vom 14.1.2020 hat das SG Darmstadt das Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) folgende Frage zur Entscheidung vorgelegt:
Ist es mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Unionsbürger, bei denen das Nichtbestehen der Freizügigkeit zwar festgestellt, diese Feststellung aber noch nicht in Bestandskraft erwachsen ist, vollständig von existenzsichernden Leistungen ausgeschlossen sind?
Es ist zu wünschen, dass das BVerfG alsbald die Frage des SG Darmstadt beantwortet und sich aus der Entscheidung ergibt, dass der vollständige Ausschluss existenzsichernder Leistungen mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.
 
Hier geht es zum Beschluss des SG Darmstadt vom 14.1.2020

Rechtliche Grundlagen

§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII; Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG i.V. mit Art. 20 Abs. 1 GG

§ 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII; Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG i.V. mit Art. 20 Abs. 1 GG

(1) Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, ist Hilfe zum Lebensunterhalt, Hilfe bei Krankheit, Hilfe bei Schwangerschaft und Mutterschaft sowie Hilfe zur Pflege nach diesem Buch zu leisten. Die Vorschriften des Vierten Kapitels bleiben unberührt. Im Übrigen kann Sozialhilfe geleistet werden, soweit dies im Einzelfall gerechtfertigt ist. Die Einschränkungen nach Satz 1 gelten nicht für Ausländer, die im Besitz einer Niederlassungserlaubnis oder eines befristeten Aufenthaltstitels sind und sich voraussichtlich dauerhaft im Bundesgebiet aufhalten. Rechtsvorschriften, nach denen außer den in Satz 1 genannten Leistungen auch sonstige Sozialhilfe zu leisten ist oder geleistet werden soll, bleiben unberührt.

(2) Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes erhalten keine Leistungen der Sozialhilfe.

(3) Ausländer und ihre Familienangehörigen erhalten keine Leistungen nach Absatz 1 oder nach dem Vierten Kapitel, wenn
1.
sie weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
sie kein Aufenthaltsrecht haben oder sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,

Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 Grundgesetz

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 1
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 20
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.