Einen Kündigungsgrund braucht der Arbeitgeber in einem Kleinbetrieb nicht. Copyright by Adobe Stock/Krakenimages.com
Einen Kündigungsgrund braucht der Arbeitgeber in einem Kleinbetrieb nicht. Copyright by Adobe Stock/Krakenimages.com

 Besteht ein Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate, braucht der Arbeitgeber einen Kündigungsgrund, wenn er einen Beschäftigten kündigen will. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gibt den Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit, binnen drei Wochen gegen eine Kündigung zu klagen. Im Verfahren vor dem Arbeitsgericht muss der Arbeitgeber dann den Kündigungsgrund darlegen und gegebenenfalls beweisen.
Das gilt allerdings nicht für Kleinbetriebe. Welche Betriebe das sind, regelt § 23 KSchG etwas umständlich:


In Kleinbetrieben kann der Arbeitgeber kündigen, ohne dass es einen Grund dafür gibt

Die Vorschriften des Ersten Abschnitts des KSchG gelten mit einigen Ausnahmen nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. Die Ausnahmen betreffen vor allem die Klagefrist und das Recht zur außerordentlichen Kündigung. Einen Kündigungsgrund braucht der Arbeitgeber in Kleinbetrieben nicht.

Und jetzt wird es kompliziert. Das Gesetz unterscheidet zwischen „Altbeschäftigten“ und „Neubeschäftigten“. Für Arbeitnehmer*innen, deren Beschäftigungsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat, gibt es den Kündigungsschutz erst ab einer Betriebsgröße von mehr als zehn Beschäftigten. Für die „Altbeschäftigte“ bleibt der Kündigungsschutz zwar grundsätzlich in Betrieben bestehen, die mehr als fünf Beschäftigte haben. Allerdings bei der Zählung Arbeitnehmer*innen nicht zu berücksichtigen, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat.


Ein Betrieb mit mehr als zehn Beschäftigten, ist kein Kleinbetrieb nach den Kündigungsschutzgesetz

Beschäftigte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden sind mit 0,5 zu berücksichtigen. Arbeitnehmer*innen, die nicht mehr als 30 Stunden regelmäßig in der Woche arbeiten, berücksichtigt das Gesetz mit 0,75.
Ein Betrieb, in dem mehr als zehn Arbeitnehmer*innen beschäftigt sind, ist nach dem Kündigungsschutzgesetz kein Kleinbetrieb und das KSchG ist vollständig anwendbar bei allen Arbeitsverhältnissen, die zum Zeitpunkt einer Kündigung länger als sechs Monate bestanden haben. Hat der Betrieb mehr als fünf Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis spätestens am 31. Dezember 2003 begonnen hat, aber höchstens zehn Beschäftigte insgesamt, gilt der Kündigungsschutz nur für die „Altbeschäftigten“.


Von ehemals mehreren Standorten betreibt der Arbeitgeber heute nur noch einen

Unsere Kolleg*innen aus Kiel mussten sich in einem Verfahren vor dem Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG) mit genau diesem Problem auseinandersetzen. Und damit nicht genug: sie mussten zudem das Gericht davon überzeugen, dass zwei Geschäfte, die der Arbeitgeber betreibt, als ein Betrieb im Sinne des KSchG gelten.

Dorothea Schulz (Name von der Redaktion geändert) hatte die DGB Rechtsschutz GmbH beauftragt, gegen eine nicht gerechtfertigte Kündigung ihres Arbeitgebers vorzugehen, bei dem sie seit 1993 beschäftigt ist. Thomas Berger (Name von der Redaktion geändert) betreibt in einer norddeutschen Großstadt einen Online-Filmverleih und ein Antiquitätengeschäft. Zudem hat er Anteile in Höhe von 90% an einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die eine Videothek betreibt, in der sie DVDs verkauft und verleiht. Von den ehemals mehreren Standorten besteht heute nur noch ein Standort. Mit den Schließungen der weiteren Standorte wechselte die Klägerin ebenfalls die Standorte. Alle Unternehmen hatten ihren Sitz an derselben Adresse.


Der Arbeitgeber meint, er benötige keinen Kündigungsgrund, weil er einen Kleinbetrieb betreibt

Frau Schulz ist zum Zeitpunkt der Kündigung in der Videothek beschäftigt, also formell bei der GbR. Thomas Berger meint, das Kündigungsschutzgesetz sei nicht anwendbar. Er behauptet, bei Ausspruch der Kündigung vom 27.08.2019 habe die GbR weder mehr als fünf Alt-Arbeitnehmer*innen noch insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmer*innen beschäftigt.
Unsere Kolleg*innen aus dem Büro Kiel konnten indessen das LAG davon überzeugen, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Dorothea Schulz anzuwenden ist. Die Videothek GbR führt nach Auffassung des Gerichts mit dem Online-Verleih und dem Antiquitätenhandel einen Gemeinschaftsbetrieb.


Ein einheitlicher Leitungsapparat zur Erfüllung der arbeitstechnischen Zwecke weist auf einen Gemeinschaftsbetrieb hin

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) liegt ein Gemeinschaftsbetrieb vor, wenn Betriebe hinsichtlich der wesentlichen Arbeitgeberfunktionen einheitlich geleitet werden. Insbesondere müssen die Arbeitgeberfunktionen in den sozialen und personellen Angelegenheiten institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen sein. Sind diese Voraussetzungen gegeben, können verschiedene rechtlich selbstständiger Unternehmen einen gemeinschaftlichen Betrieb betreiben.

Im vorliegenden Fall werden Videothek, Online-Verleih und Antiquitätengeschäft allesamt von Herrn Berger geführt. Er tritt als Chef in allen wesentlichen Belangen auf. Das betrifft sowohl die personellen als auch die sozialen Angelegenheiten, wie das Gericht feststellen konnte. Beim Online-Verleih und beim Antiquitätengeschäft ist Thomas Berger sogar alleiniger Inhaber. Die Videothek betreibt zwar rechtlich eine GbR. Neben Herrn Berger hat noch dessen Bruder Anteile an dieser Gesellschaft in Höhe von 10 Prozent. Dieser hat allerdings keinerlei Leitungsbefugnis.


Auffällig war, dass der Vortrag der Beklagten vielfach wechselte

Hinzu kommt, dass es für beide Betriebe eine einheitliche Buchführung gibt. Die Buchführerin war in der Vergangenheit abwechselnd bei beiden Firmen angestellt. Zuständig war sie aber stets für die Buchführung beider Firmen und gleichbleibend Hauptansprechpartnerin für den Steuerberater.
Das LAG hatte insgesamt sieben Zeugen gehört. Deren Aussagen ließen nach Auffassung des Gerichts darauf schließen, dass Herr Berger die Betriebe gemeinschaftlich führt.
Auffällig sei, so das Gericht, dass selbst der eigene zweitinstanzliche Vortrag der Beklagten vielfach wechselte oder nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Papierform die steuerrechtliche Behandlung der Arbeitnehmer*innen anders gewesen sei als tatsächlich gelebt und tatsächlich vorgetragen. Keiner der sieben vernommenen Zeugen hätte eine konkrete Erklärung für die jeweilige unterschiedliche Anbindung an die beiden Firmen.


Es gab hinsichtlich der Arbeitsverhältnisse nichts Schriftliches

Für eine einheitliche Leitung spreche weiter, dass es im Zusammenhang mit den in den zurückliegenden Jahren vorgenommenen sozialversicherungsrechtlichen Ummeldungen keinerlei Arbeitsverträge, keinerlei neue Arbeitsverträge, keinerlei schriftliche Änderungsvereinbarungen und keinerlei Kündigungsschreiben gebe. All das spreche dafür, dass nur auf dem sozialversicherungs- und steuerrechtlichem Papier Firmenzugehörigkeiten festgelegt gewesen seien. Bestätigt werde das nach der Überzeugung der Kammer noch durch die Tatsache, dass die Mitarbeiter*innen über etwaige Änderungen ihrer konkreten Arbeit infolge Vertragswechsels nichts Konkretes berichtet hätten.


Weil der Arbeitgeber keinen Grund für die Kündigung dargelegt hatte, war sie unwirksam

Der Betriebszweck der Firmen sei zudem kontinuierlich vermischt worden. Herr Berger habe das Personal firmenüber-greifend eingesetzt und vorrangig sowohl in Bezug auf den tatsächlichen Einsatz als auch in Bezug auf die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Anbindung bedarfsorientiert gesteuert. Filme seien dort angekauft worden, wo sie über den Kunden angekommen seien.
Das Gericht war jedenfalls davon überzeugt, dass die Unternehmungen des Herrn Berger als ein Betrieb im Sinne des KSchG anzusehen sind. Das hatte zu Folge, dass kein Kleinbetrieb vorliegt.
Im gemeinschaftlichen Betrieb gab es zum Zeitpunkt der Kündigung nämlich mehr als fünf „Altbeschäftigte“. Da Herr Berger keinen Kündigungsgrund dargelegt hatte, ist die Kündigung sozial nicht gerechtfertigt und unwirksam.
 
Hier geht es zur Entscheidung