LAG Berlin legt bei Zweifeln an der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes die Beweislast den Arbeitgebern auf
LAG Berlin legt bei Zweifeln an der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes die Beweislast den Arbeitgebern auf

Nach der gesetzlichen Regelung ist das Kündigungsschutzgesetz nur in Betrieben anwendbar, in denen mehr als 10 Arbeitnehmer*innen regelmäßig beschäftigt werden. Für Arbeitsverhältnisse, die bereits vor 2004 bestanden haben, liegt die Grenze nur bei mehr als 5 Beschäftigten.

Dabei werden Teilzeitbeschäftigte aber auch nur anteilig gezählt: Bei einem Beschäftigungsumfang von bis zu 20 Wochenstunden werden sie mit 0,5 und bei bis zu 30 Wochenstunden mit 0,75 angerechnet.

Betriebe, die diesen Grenzwert nicht erreichen, fallen nicht unter das Kündigungsschutzgesetz, so dass eine fristgemäße Kündigung des Arbeitsverhältnisses in der Regel ohne besondere Begründung erklärt werden kann.

Wer muss die Anzahl der Beschäftigten beweisen?

Die Darlegungs- und Beweislast für den Nachweis der ausreichenden Arbeitnehmeranzahl soll nach der bisherigen Rechtsprechung zunächst bei den Beschäftigten liegen, weil diese sich auf den Kündigungsschutz berufen. 

Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat hierzu eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast entwickelt. Danach reicht es zunächst aus, wenn der/ die Arbeitnehmer*in die ihm bekannten Tatsachen mitteilt, die auf eine ausreichende Beschäftigtenanzahl schließen lassen. 

Dazu muss der Arbeitgeber sich dann im Einzelnen einlassen. Wenn er behauptet, weniger als 10 Arbeitnehmer*innen zu beschäftigen, muss er diese namentlich und mit ihrem jeweiligen Beschäftigungsumfang benennen. Dazu muss sich dann der Beschäftigte wiederum konkret äußern und einzelne Behauptungen ggf. bestreiten.

Wenn danach ein Punkt streitig bleibt und sich unter Umständen auch durch Beweiserhebung nicht vollständig klären lässt, so bleibt zum Schluss trotzdem die Frage offen, wer die Konsequenz zu tragen hat, Arbeitgeber (Kündigungsschutz gilt) oder Arbeitnehmer*in (Kündigungsschutz gilt nicht) .

Klare Aussage des Landesarbeitsgerichtes: Beweislast trägt der Arbeitgeber

Hierzu hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg jetzt eine grundsätzliche und erfreulich klare Entscheidung getroffen:

Jedenfalls dann, wenn der Sachverhalt sich nicht vollständig aufklären lässt, verbleibt die Beweislast für die Anzahl der Beschäftigten nach der Regelung des Kündigungsschutzgesetzes beim Arbeitgeber. Das heißt, wenn der Arbeitgeber nicht beweisen kann, dass er höchstens 10 Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt oder dass Teilzeitbeschäftigte auch tatsächlich nur 20 oder 30 Stunden wöchentlich arbeiten - und deshalb nur anteilig gezählt werden -, geht dies zu seinen Lasten und das Kündigungsschutzgesetz ist anwendbar.

Schwierigkeiten bei mobiler Arbeit auch außerhalb des Büros

Dem Verfahren liegt ein Sachverhalt zugrunde, in dem es um die Kündigung eines Vertriebsleiters bei einer Fondsgesellschaft geht. Die Gesellschaft beschäftigt insgesamt 11 Arbeitnehmer*innen, davon zwei in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Streitig ist, ob eine der Teilzeitbeschäftigten (die Leiterin Fondsmanagement) mehr als 20 Stunden beschäftigt ist oder nicht.

In deren Arbeitsvertrag war eine Wochenarbeitszeit von 18 Stunden vereinbart, außerdem sollten 8 Stunden monatlich mit dem Gehalt abgegolten sein.

Tatsächliche Arbeitszeit ließ sich nicht aufklären

Der Kläger hat bestritten, dass dies in der Praxis zutreffend sei, vielmehr sei die Kollegin aufgrund ihrer konkreten Aufgaben und Tätigkeiten praktisch im Umfang eines Vollzeitarbeitsverhältnisses tätig. Sie arbeite nicht nur zu den festen Arbeitszeiten im Büro, sondern auch mit dienstlichem Laptop und Handy von zuhause aus. 

Beide Seiten haben im Einzelnen umfangreiche Ausführungen dazu gemacht.

Auch nach Zeugenvernehmung der betreffenden Mitarbeiterin war das Gericht nicht davon überzeugt, dass sie regelmäßig nur 20 Wochenstunden erbringt. Aber auch das Gegenteil, dass sie mehr als 20 Stunden arbeitet, war nicht zur vollen Überzeugung bewiesen. Damit blieb diese Frage offen, so dass sie nur nach prozessualen Beweislastregeln entschieden werden konnte.

In diesem Fall ging die Entscheidung zu Lasten des Arbeitgebers, der aber bereits Revision gegen das Urteil eingelegt hat.

Anmerkung der Redaktion:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist erfreulich und durchaus mutig, weil sie die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts deutlich modifiziert. 

Das Gericht hat dabei ausführlich dazu Stellung genommen, warum die Beweislast in dieser Frage letztlich beim Arbeitgeber verbleiben muss: 

Zunächst handelt es sich bei der Einschränkung im Kündigungsschutzgesetz, wonach eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmer*innen beschäftigt werden muss, gesetzessystematisch um eine Ausnahmeregelung gegenüber der grundsätzlichen Anwendbarkeit auf alle Betriebe. Für die Voraussetzungen von Ausnahmetatbeständen ist aber prozessual in aller Regel derjenige beweispflichtig, der sich darauf beruft.

Außerdem liegt diese Frage, der Umfang der Beschäftigung einzelner Arbeitnehmer*innen, in der Sphäre des Arbeitgebers. D.h., nicht der Gekündigte, sondern der Arbeitgeber verfügt in der Regel über die ausreichenden Detailkenntnisse über die betrieblichen Strukturen und die arbeitszeitrechtliche Gestaltung der Arbeitsverhältnisse. Gerade für teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer*innen können von einem gekündigten Kollegen genaue Kenntnisse über deren Beschäftigungsumfang kaum noch erwartet werden. 

Revision zum BAG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen 

Es wird spannend, ob das Bundesarbeitsgericht dieses Urteil bestätigt, da es die Beweislast für die Kleinbetriebsausnahme bisher zumindest nicht so ausdrücklich den Arbeitgebern auferlegt hat.

Der Begriff Kleinbetrieb wird in unserem Glossar erklärt und ausgeführt


In Praxistipp: § 23 Kündigungsschutzgesetz -> Geltungsbereich

Rechtliche Grundlagen

§ 23 Kündigungsschutzgesetz Geltungsbereich

§ 23 Kündigungsschutzgesetz Geltungsbereich

(1) Die Vorschriften des Ersten und Zweiten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten und des öffentlichen Rechts, vorbehaltlich der Vorschriften des § 24 für die Seeschiffahrts-, Binnenschiffahrts- und Luftverkehrsbetriebe. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. In Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden, gelten die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme der §§ 4 bis 7 und des § 13 Abs. 1 Satz 1 und 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat; diese Arbeitnehmer sind bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 bis zur Beschäftigung von in der Regel zehn Arbeitnehmern nicht zu berücksichtigen. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach den Sätzen 2 und 3 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen.

(2) Die Vorschriften des Dritten Abschnitts gelten für Betriebe und Verwaltungen des privaten Rechts sowie für Betriebe, die von einer öffentlichen Verwaltung geführt werden, soweit sie wirtschaftliche Zwecke verfolgen. Sie gelten nicht für Seeschiffe und ihre Besatzung.