Fast nichts zeigte der Tacho an und doch sollte es für eine Kündigung reichen. © Adobe Stock: Björn Wylezich
Fast nichts zeigte der Tacho an und doch sollte es für eine Kündigung reichen. © Adobe Stock: Björn Wylezich

Der 50-jährige Kraftfahrer eines norddeutschen Unternehmens musste sich gleich gegen zwei Kündigungen seines Arbeitgebers wehren. Sein Arbeitgeber hatte ihm wegen Verstößen gegen betriebsinterne Anweisungen fristlos gekündigt und dann gleich eine fristgemäße Kündigung mit sozialer Auslauffrist nachgeschoben.

 

Im Kündigungsschutzprozess unterstützte das DGB Rechtsschutzbüro Hamburg den Kläger

 

Der Arbeitgeber warf seinem Mitarbeiter vor, dieser habe an einem Tag im Mai 2022 den von ihm gefahrenen Lkw auf dem Werksgelände unangeschnallt und mit überhöhter Geschwindigkeit geführt. Erlaubt seien 20 km/h.

 

Aus der Fahrerkarte des Klägers ergab sich, dass dieser einmalig für 4 Sekunden und für einen Weg von 23 m die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 20 km/h um 1 km/h überschritten hatte. Die Mehrheit der Daten wies Geschwindigkeiten von bis zu 10 km/h aus bei einer Gesamtfahrstrecke von 194 m.

 

Im Unternehmen gab es einen Aushang, womit der Arbeitgeber die Regeln für Fahrten auf dem Werksgelände vorgab:

 

"Zu ihrer eigenen Sicherheit sowie der Erhaltung Ihrer Gesundheit weisen wir Sie ausdrücklich auf das Anlegen des Sicherheitsgurtes hin".

 

Die Missachtung der Vorgaben stellt nach Angaben des Arbeitgebers einen Verstoß gegen die goldene Regel Nr. 2 "Fahren und Fahrzeuge" sowie gegen die Straßenverkehrsordnung dar. Es gebe davon nur zwei Ausnahmen, einmal das Fahren mit Schrittgeschwindigkeit, zum anderen das Rückwärtsfahren.

 

Mehrere Abmahnungen waren der Kündigung vorausgegangen

 

Im Vorfeld der Kündigungen hatte der Kläger bereits drei Abmahnungen erhalten. Diese betrafen einmal das Nichttragen der persönlichen Schutzausrüstung beim Tanken, zum anderen das Tragen aufgeschnittener Stutzen der Kälteschutzhandschuhe und schließlich noch einmal das unvollständige Anlegen der Schutzausrichtung sowie fehlerhaft angebrachter Unterlegkeile.

 

Im Kündigungsschutzprozess wies der Kläger darauf hin, dass er die erlaubte Höchstgeschwindigkeit lediglich einmal, kurzzeitig und auch äußerst geringfügig überschritten habe. Wenn er tatsächlich überwiegend mit Schrittgeschwindigkeit bis zu 15 Km/h gefahren sei, belege das ein überwiegend regelkonformes Verhalten. Von der Anschnallpflicht laut Aushang habe er nichts gewusst.

 

Dem hielt der Arbeitgeber die elementare Bedeutung des Einhaltens der Sicherheitsvorschriften entgegen. Der Kläger sei mehrere Jahre Mitglied des Betriebsrates und dabei auch Mitglied des Arbeitskreises gewesen, der sich mit sicherheitsrelevanten Fragestellungen des Fuhrparks befasse. Sämtliche Regeln und deren Bedeutung seien ihm infolgedessen sehr wohl bekannt.

 

Beklagte rügt beharrliche Ignoranz des Klägers

 

Während der letzten Jahre sei es zu diversen Beanstandungen mit nachfolgenden Abmahnungen und Gesprächen gekommen. Eine dauerhafte Verhaltensänderung erwarte der Arbeitgeber von Kläger nicht und bezog sich im Prozess auf die von diesem ausgehende Signalwirkung für andere Mitarbeiter*innen des Unternehmens. Die Beklagte hielt die Weiterbeschäftigung des Klägers deshalb für nicht mehr zumutbar. Die Pflichtverletzungen des Klägers stellten keineswegs Bagatellen dar.

 

Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. Der Kläger gehöre zwar zwischenzeitlich dem Betriebsrat der Beklagten nicht mehr an, genieße jedoch einen nachstehenden, zwölfmonatigen Kündigungsschutz gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG.

 

Der Arbeitgeber könne das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger daher nur aus wichtigem Grund kündigen. Dabei müssten jedoch Tatsachen vorliegen, aufgrund derer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist dem Arbeitgeber nicht mehr zugemutet werden könne.

 

Es müsse sich dabei um einen Sachverhalt handeln, der "an sich" , d. h. typischerweise, geeignet sei, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu bilden. Anschließend habe eine einzelfallbezogene Interessenabwägung stattzufinden. Eine fristlose Kündigung komme nur in Betracht, wenn dem Arbeitgeber angesichts der Gesamtumstände sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten wie beispielsweise eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung, unzumutbar seien.

 

Das Arbeitsgericht sieht keinen wichtigen Grund

 

Der Vorwurf des Fahrens mit überhöhter Geschwindigkeit stelle keinen wichtigen Grund dar. Der Kläger habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 20 km/h um 1 km/h in einer äußerst kurzen Zeitspanne, nämlich 4 von insgesamt 140 Sekunden, überschritten. Überwiegend sei er nur 10 km/h gefahren. Angesichts dessen falle es dem Gericht schon schwer, sich hier überhaupt einen Pflichtenverstoß vorzustellen. Die vorliegenden Unterlagen belegten vielmehr eine regelhafte und ordnungsgemäße Beachtung der vorgeschriebenen Geschwindigkeit durch den Kläger.

 

Selbst wenn man darin einen Pflichtenverstoß sehen wolle, sei dieser hier so unerheblich, dass er schon per se nicht geeignet wäre, einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung zu bilden.

 

Die weiteren Kündigungsgründe greifen nicht

 

Gleiches gelte für die weiteren Kündigungsgründe des Arbeitgebers. Gehe man mit der Beklagten davon aus, dass eine Geschwindigkeit von über 10 km/h eindeutig nicht mehr als Schrittgeschwindigkeit zu verstehen sei, liege darin unzweifelhaft ein objektiver Pflichtenverstoß des Klägers, wenn er sich hierbei nicht angeschnallt habe.

 

Dieser Pflichtenverstoß sei jedoch keineswegs so gravierend, dass er "an sich" als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung herhalten könne. Die Geschwindigkeit des Klägers habe zu keinem Zeitpunkt über 21 km/h gelegen, die gesamte Fahrzeit nur 140 Sekunden betragen, wobei der Kläger dabei insgesamt eine Wegstrecke von nur 194 m zurückgelegt habe. Das klägerische Fehlverhalten stelle damit ein sehr geringes (Eigen-)Gefährdungspotenzial dar.

 

Die Abmahnungen waren nicht einschlägig

 

Ob der Kläger zuvor schon gegen die Anschnallpflicht verstoßen habe, bleibe offen. Insoweit könne auch keineswegs von einer beharrlichen Missachtung der entsprechenden Anweisung ausgegangen werden. Die zuvor erteilten Abmahnungen hätten allesamt nicht das Anschnallverhalten des Klägers zum Gegenstand gehabt.

 

Es fehle mithin an einem wichtigen Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Weder die fristlose Kündigung habe das Arbeitsverhältnis beendet noch die von der Beklagten ausgesprochene ordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg.

Rechtliche Grundlagen

§ 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG

(1) …Nach Beendigung der Amtszeit ist die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung oder eines Seebetriebsrats innerhalb eines Jahres, die Kündigung eines Mitglieds einer Bordvertretung innerhalb von sechs Monaten, jeweils vom Zeitpunkt der Beendigung der Amtszeit an gerechnet, unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen; dies gilt nicht, wenn die Beendigung der Mitgliedschaft auf einer gerichtlichen Entscheidung beruht.