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Neumanns Schwager Vogt ist diplomierter Tanz- und Theaterwissenschaftler. Er war hoch dekoriert, Tätigkeiten als Honorar- und außerplanmäßiger Professor führten dazu, dass das Land Berlin ihn 2003 als stellvertretenden künstlerischen Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin einstellte.

 

Vogt bewährte sich

 

In dieser Schule werden Ballett und Artistik unterrichtet, ansonsten wird im normalen Schulbetrieb nach Berliner Lehrplan ausgebildet, wobei auf den Fächern Tanz und Sport gemäß der Ausrichtung der Schule besonderes Gewicht liegt. Das Schulmodell bietet den Realschulabschluss mit der 10. Klasse und wahlweise den gymnasialen Abschluss mit Abitur.

 

Schon 2007 erhielt Vogt den Schulleiterposten zunächst auf Probe. Nach Fortbildungen und hervorragenden Bewertungen wurde er vom Land Berlin dann ab 2010 zum Schulleiter ernannt und arbeitete jahrelang unbeanstandet.

 

Vorwürfe wegen Kindeswohl-Gefährdung

 

Nach neun Jahren tauchten anonyme Anschuldigungen auf, dann wird in der Presse von Missständen gesprochen. Das Land reagierte zunächst mit einer Freistellung von Vogt, was für diesen einer Vorverurteilung gleichkam.

Wegen Gefährdung von Kindeswohl der Schüler veranlasste das Land eine kurze Untersuchung. Darauf reagierte das Land als Arbeitgeber und sprach zunächst eine fristlose und schließlich noch weitere Kündigungen aus.

 

 Vogt wehrt sich gerichtlich

 

Vogt wendet sich nicht nur durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen, sondern will auch in der bisherigen Position als Schulleiter weiterbeschäftigt werden. Er sieht sich als Bauernopfer und hat sich auch gegen die Freistellung gewährt.

 

Verhindert fehlendes Lehramtsstudium die Weiterbeschäftigung?

 

Das Arbeitsgericht Berlin urteilte im September 2020 (Az. 56 Ca 4305/22), dass das Schulgesetz Berlin, hier § 71, einer Weiterbeschäftigung entgegenstehe, da Vogt für die Tätigkeit als Schulleiter ein Lehramtsstudium benötige. Das hatte er unstrittig nicht absolviert. Diese Entscheidung hob das Landesarbeitsgericht auf (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 10. Juni 2021 - 21 Sa 1374/20).

 

Die Sache ging zum Bundesarbeitsgericht (BAG).

 

Ausgesprochene Kündigungen sind unwirksam

 

Die Kündigungsschutzverfahren waren mittlerweile rechtskräftig abgeschlossen. Alle Kündigungen wurden für unwirksam erklärt, so dass es im Revisionsverfahren vor dem BAG nur noch um die Frage der Weiterbeschäftigung ging.

 

Arbeitnehmer haben Anspruch auf vertragsgemäße tatsächlich Beschäftigung

 

Das BAG hat mit Urteil vom 01. Juni 2022 das LAG bestätigt. Es verweist noch einmal auf Grundsätze der Beschäftigung. Wenn Arbeitnehmer*innen es verlangen, haben sie einen Anspruch auf vertragsgemäße tatsächliche Beschäftigung. Als Ausdruck und in Achtung ihrer Persönlichkeits- und Entfaltungsrechte müssen sie auch tatsächlich arbeiten können, also vertragsgemäß beschäftigt werden.

 

Dies gilt hier grundsätzlich auch für Vogt, er hat einen tatsächlichen Anspruch auf Beschäftigung als Leiter der Staatlichen Ballettschule.

 

Keine rechtliche Unmöglichkeit der Beschäftigung?

 

Das BAG musste prüfen, ob das Schulgesetz hier einer Beschäftigung entgegensteht. Eine rechtliche Unmöglichkeit liegt z.B. vor, wenn ein Beschäftigungsverbot besteht oder, wenn eine Erlaubnis für die Ausübung der geschuldeten Tätigkeit erforderlich ist, aber fehlt. Wird dieses Unvermögen bejaht, dann kann der Arbeitnehmer nur dann Vergütung verlangen, wenn der Arbeitgeber für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung allein oder überwiegend verantwortlich ist.

Also nur, wenn die Rechtsordnung die tatsächliche Beschäftigung verbietet, wird es dem Arbeitgeber unmöglich ihn mit der vereinbarten Tätigkeit zu beschäftigen.

 

Schulgesetz verbietet Beschäftigung nicht

 

§ 71 Abs. 1 Schulgesetz Berlin steht der Beschäftigung jedoch nicht entgegen. Darin ist geregelt, dass zum Schulleiter nur derjenige bestellt werden kann, der Erkenntnisse und Fähigkeiten nachweist, die über die Ausübung des Lehramts hinausgehen. Also geht man grundsätzlich davon aus, dass ein Schulleiter ein Lehramtsstudium absolviert haben muss.

Das BAG greift auf das Grundgesetz zurück, wonach das beklagte Land nach Art. 33 Abs. 2 Stellen nur nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu besetzen hat. § 71 konkretisiere nur das Anforderungsprofil. Die Beschäftigung von Vogt sei nach dieser Norm nicht verboten.

 

§ 71 Schulgesetz schützt das Land nicht vor sich selbst

 

Der Satz vom BAG ist so schön, dass er wörtlich zitiert wird:

"Die Norm schützt nicht das beklagte Land vor sich selbst, sondern allenfalls Mitbewerber vor einer Artikel 33 Abs. 2 Grundgesetz widersprechender Stellenbesetzung."

Das BAG hält also dem Land vor, wenn es das Schulgesetz bei der Stellenbesetzung nicht beachtet hat, und die Person über zehn Jahre ohne rechtliche Bedenken oder tatsächliche Beanstandungen beschäftigt wird, dass es dann Vogt auch weiterbeschäftigen kann. Zudem habe das Land sogar die Möglichkeit, mit einer Rechtsverordnung eine Abweichung vom Schulgesetz zu erlauben und damit das behauptete Beschäftigungshindernis selbst auszuräumen.

 

Land verstößt gegen Rechtsgrundsatz Treu und Glauben

 

Dieser Rechtsgrundsatz findet sich in § 242 BGB und soll letztlich einen Rechtsmissbrauch verhindern. Das BAG sah hier einen Verstoß. Selbst, wenn man annehme, das Gesetz verböte die Beschäftigung von Vogt, würde das am Ergebnis nichts ändern. Dem Land sei sein widersprüchliches Verhalten vorzuhalten. Es hatte bei der Einstellung Kenntnis von der Vogts Vorbildung und dem Fehlen der Lehramtsbefähigung und hat ihn trotzdem jahrelang beschäftigt ohne Anstoß zu nehmen. Das sei widersprüchliches Verhalten.

Das Land glaube seine geäußerte Rechtsposition wohl selber nicht. Es hat zwischenzeitlich einen Nachfolger für Vogt eingestellt, der ebenfalls kein Lehramtsstudium absolviert hat.

 

 

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 01. Juni 2022 - 5 AZR 407/21

 

 

Das sagen wir dazu:

Ein solch widersprüchliches Verhalten darf einfach nicht belohnt werden. Schön, dass das BAG dies so deutlich gemacht hat.