Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg lehnte in dem von ihm entschiedenen Fall einen Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung einer Abfindung aufgrund eines Sozialplans zusätzlich zu einem Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleiches ab.
Entschluss der Arbeitgeberin zur Betriebsstillegung und verspätete Mitteilung an Betriebsrat
Der Arbeitnehmer und Kläger in diesem Verfahren war seit 1991 bei der Arbeitgeberin beschäftigt. Im Betrieb bestand ein Betriebsrat.
Im März 2014 beschloss die Arbeitgeberin, den Betrieb in Berlin, in dem der Kläger beschäftigt war, stillzulegen. Am 26. März 2014 unterrichtete die Arbeitgeberin den Betriebsrat über die Schließung und verhandelte mit ihm am 8. April 2014 erfolglos über einen Interessenausgleich.
Erst am 16. April 2014 übermittelte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat eine Anzeige der von ihr geplanten Entlassungen wegen Stilllegung des Betriebs.
Die Arbeitgeberin kündigte dem Arbeitnehmer sodann. In der Folge bestellte das Arbeitsgericht Berlin am 2. Mai 2014 einen Vorsitzenden der Schlichtungsstelle. Am 13. September 2014 schlossen Betriebsrat und Arbeitgeberin einen Sozialplan. Aus diesem Sozialplan ergab sich für den Arbeitnehmer ein potentieller Anspruch auf Zahlung einer Abfindung in Höhe von 9.000 EUR. Ein Verbot der Anrechnung der Sozialplanabfindung auf den Nachteilsausgleich wurde von Betriebsrat und Arbeitgeberin nicht vereinbart.
Erfolgreiche Klage auf Nachteilsausgleich
Der Arbeitnehmer erhob fristgerecht Kündigungsschutzklage und beantragte hilfsweise, d.h. für den Fall, dass die Kündigung wirksam sein sollte, die Verurteilung der Arbeitgeberin zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs.
Die Kündigungsschutzklage nahm der Kläger dann im Laufe des Prozesses zurück und machte nur noch den Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs geltend.
Mit Urteil vom 8. September 2015 verurteile das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die Arbeitgeberin zur Zahlung eines Nachteilsausgleichs in Höhe von 16.307,20 Euro. Zur Begründung führte das Gericht aus, die Arbeitgeberin habe es nicht bei der einmaligen Verhandlung mit dem Betriebsrat belassen dürfen. Vielmehr hätte sie die Einigungsstelle anrufen müssen.
Arbeitgeberin zahlt Nachteilsausgleichs aus
Sodann zahlte die beklagte Arbeitgeberin den Betrag in Höhe von 16.307,20 EUR an den Kläger. Die Zahlung erfolgte in vier Raten. Auf dem Kontoauszug fand sich bei der ersten Zahlung ein Hinweis mit dem Wortlaut „Abschlag“ und bei den drei weiteren Raten der Hinweis „Abfindung“.
Die Arbeitgeberin zahlte jedoch danach keine weiteren 9.000 EUR Abfindung aus dem Sozialplan. Hiergegen klagte der Arbeitnehmer erneut.
Gerichte verneinen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan
Das Landesarbeitsgericht Berlin -Brandenburg bestätigte nun das Urteil der Vorinstanz, des Arbeitsgerichts Berlin, hinsichtlich der vom Kläger begehrten Sozialplanabfindung. Demnach ist eine Sozialplanabfindung grundsätzlich auf einen gezahlten Nachteilsausgleichsanspruch anzurechnen.
Der Kläger rügte unter anderem im Prozess, die Arbeitgeberin habe weder den Betriebsrat ausreichend über die geplanten Massenentlassungen unterrichtet, noch hätten hinreichende Verhandlungen und Erörterungen mit dem Betriebsrat stattgefunden.
Damit habe die Arbeitgeberin gegen Europa-Recht verstoßen, sei die verletzte Norm (§ 17 Absatz 2 Satz 2 KSchG) doch Ausdruck eines europaweit gleichlautenden Schutzes von Arbeitnehmern vor Massenentlassungen.
Kein Verstoß gegen EU-Recht
Das Gericht sah keinen Verstoß gegen EU-Recht. Es führte aus, dass sich aufgrund der Tatsache, wonach die Beklagte den Betriebsrat nicht gemäß § 17 Absatz 2 KSchG ausreichend über die geplante Massenentlassung informiert habe, kein Ausschluss der Anrechenbarkeit ergebe.
Ausreichende Sanktion für den Verstoß der Arbeitgeberin gegen diese Norm sei die Unwirksamkeit der Kündigung, so das LAG Berlin-Brandenburg. Das Gericht verweist hier auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach ein Verstoß gegen die Informations- und Konsultationspflicht gemäß § 17 Absatz 2 KSchG zur Unwirksamkeit der Kündigung führt (Urteil des BAG vom 21. März 2013, Az.: 2 AZR 60/12).
Dies stellte gar eine Sanktion dar, die die vom EU-Recht verfolgte Zielsetzung „Schutz vor Massenentlassungen“ übertrifft.
Der Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs oder die Abfindung aus einem Sozialplan sei gegenüber dem Bestand des Arbeitsplatzes lediglich ein Ersatzanspruch, ein sog. „Sekundäranspruch“.
Abfindung und Sozialplan verfolgen den gleichen Zweck
Weiter führt das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg aus, dass der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan und der Anspruch auf Zahlung eines Nachteilsausgleich nicht beziehungslos nebeneinanderstehen.
Beide Ansprüche verfolgen den gleichen Zweck:
Der Anspruch auf Nachteilsausgleich (§ 113 BetrVG) verfolgt nicht nur einen Sanktionscharakter für die zu späte oder gar gänzlich unterbliebene Unterrichtung des Betriebsrates. Er soll - genauso wie der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan - wirtschaftliche Nachteile des Arbeitnehmers ausgleichen.
Es soll also ein Ausgleich für die Arbeitnehmer dafür bestehen, dass eine im Gesetz vorgesehen Beteiligung des Betriebsrates als Arbeitnehmervertretung von der Arbeitgeberin nicht genutzt wurde.
Auf ein Verschulden der Arbeitgeberin kommt es hierbei nicht an.
Dem Betriebsrat wurde letztlich durch das Versäumnis der Arbeitgeberin die Chance genommen, einen Interessenausgleich zur Verhinderung von Entlassungen und/oder zur Abmilderung von wirtschaftlichen Nachteilen für die Belegschaft zu vereinbaren.
Dies wird durch die Abfindung aus dem Sozialplan letztlich jedoch auch erreicht.
Anspruch auf Zahlung des Nachteilsausgleich darf nicht hinter Höhe des Sozialplans zurückbleiben
Die Arbeitgeberin schuldete dem Arbeitnehmer deshalb nur die 16.307,20 EUR Zahlung eines Nachteilsausgleichs.
Eine Anrechnung der Abfindung aus dem Sozialplan auf die Zahlung des Nachteilsausgleiches findet zwar statt. Jedoch stimmt das LAG Berlin-Brandenburg im vorliegenden Fall der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu: Mit der Abfindung aus dem Sozialplan war der Nachteilsausgleich nicht ausreichend abgegolten. Die Höhe der Zahlung wegen Nachteilsausgleich darf nicht hinter der Höhe der Abfindung aus dem Sozialplan zurückbleiben.
Arbeitnehmer darf selbst bestimmen, ob er Kündigungsschutzklage weiterverfolgt
Eine wichtige Sache noch nebenbei: Das LAG Berlin -Brandenburg sah es als unbeachtlich an, dass der Kläger die Wirksamkeit der Kündigung und damit den endgültigen Verlust seines Arbeitsplatzes selbst herbeiführte, indem er die Kündigungsschutzklage zurücknahm. Dies sei dem Arbeitnehmer als „autonome Entscheidung“ nicht anzulasten. Dies bedeutet, der Arbeitnehmer kann selbst entscheiden, ob der im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung weiter um den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses kämpft, oder stattdessen lieber die Abfindung aus dem Sozialplan akzeptiert beziehungsweise eine Zahlung eines Nachteilsausgleichs durch die Arbeitgeberin verfolgt. Im vorliegenden Fall war die Rücknahme der Kündigungsschutzklage und die Konzentration auf die Ansprüche auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs und/oder einer Abfindung aus dem Sozialplan zweckmäßig: Da der Betrieb der Arbeitgeberin stillgelegt wurde, ist anzunehmen, dass für den Arbeitnehmer die Kündigungsschutzklage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte. Effektiver war es dann wohl, sich auf die Zahlungsansprüche als Ersatz für den wohl sicheren Verlust des Arbeitsplatzes zu konzentrieren. Ob eine Weiterverfolgung der Kündigungsschutzklage oder die Geltendmachung der Ansprüche auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs und/oder auf Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan sinnvoller ist, muss jedoch im Einzelfall genau im Rahmen einer juristischen Beratung geprüft werden.
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