Jurist, der trotz Rente weiterarbeiten will, unterliegt beim Bundesarbeitsgericht.
Jurist, der trotz Rente weiterarbeiten will, unterliegt beim Bundesarbeitsgericht.

Ein Jurist, der das 65. Lebensjahr längst hinter sich gelassen hat, hatte wegen fehlerhafter Sozialauswahl erfolgreich gegen eine betriebsbedingte Kündigung geklagt. Mit dem Argument, der Kläger sei durch den Bezug einer Altersrente ausreichend versorgt, wurde der Arbeitgeber weder beim Arbeitsgericht Hagen noch beim Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) gehört.

Kriterien für die Sozialauswahl abschließend gesetzlich geregelt

Das musste aufgrund der bisherigen Rechtsprechung auch als zwangsläufig angesehen werden. Denn das Gesetz sieht als Kriterien für die Sozialauswahl nur die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung vor; allgemeine sozialpolitische Wertungen müssen außer Betracht bleiben.

So hatte das LAG nicht einmal die Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen.

Erstens kommt es anders….

Aber es kam anders als gedacht. Zunächst war der Arbeitgeber des Juristen, ein Arbeitgeberverband, mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde beim BAG erfolgreich.

Und dann hebt das BAG die Entscheidung der Vorinstanz auch noch auf. Das BAG hält die Revision der Arbeitgeberseite für begründet, trifft aber für das Kündigungsschutzverfahren keine endgültige Entscheidung. Es verweist die Sache zurück an das LAG. Dieses wird noch darüber entscheiden müssen, ob ein betriebsbedingter Grund für die streitige Kündigung vorliegt.

Dazu waren bisher keine Feststellungen erfolgt, da die Vorinstanzen die Kündigung schon an der fehlerhaften Sozialauswahl scheitern ließen. Das Erreichen der Regelaltersgrenze ändere nichts daran, dass das hohe Lebensalter bei einer Sozialauswahl für die Schutzwürdigkeit von Arbeitnehmer*innen heranzuziehen ist. So das Fazit aus dem Urteil vom LAG.

…und zweitens als man denkt!

Doch eben bei der Sozialauswahl hat das BAG eine ganze andere Meinung.

Zum Hintergrund: Wenn es den Kläger nicht „getroffen“ hätte, wäre eine junge Juristin und Mutter an der Reihe gewesen.
Der Arbeitgeber müsse den Kläger hinsichtlich des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ - entgegen der Annahme des Berufungsgerichts - aufgrund des Bezugs einer Regelaltersrente als deutlich weniger schutzbedürftig ansehen als die junge Kollegin. Das hohe Lebensalter müsse also bei der Sozialauswahl nicht für, sondern gegen den Kläger sprechen, so das BAG.

Das BAG begründet dies anhand der gesetzlichen Regelung zur Sozialauswahl. Nach § 1 Abs. 2 des Kündigungsschutzgesetzes solle grundsätzlich dem Arbeitnehmer gekündigt werden, der auf das Arbeitsverhältnis am wenigsten angewiesen ist. Das Lebensalter verstehe der Gesetzgeber insofern als abstrakten Maßstab für die Vermittlungschancen eines Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt nach einer Kündigung.

Rentner hat schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt, aber ein Ersatzeinkommen

An dieser Stelle könnte man einwenden, dass doch der Kläger in seinem Alter besonders schlechte Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Den Dreh bekommt das BAG hier über den Begriff des „Ersatzeinkommens“.
Es sollen die Rechte der Arbeitnehmer*innen gestärkt werden, deren Chancen aufgrund ihres Alters in der Regel schlechter stehen, überhaupt oder zeitnah ein dauerhaftes Ersatzeinkommen zu erzielen.

Dieser Gesetzeszweck führt nach dem BAG dazu, dass ein Arbeitnehmer, der bereits eine Regelaltersrente beziehen kann, jedenfalls hinsichtlich des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ als deutlich weniger schutzbedürftig anzusehen ist, als Arbeitnehmer*innen, die noch keinen Anspruch auf eine Altersrente haben.

Bundesarbeitsgericht sieht Ungleichbehandlung wegen des Alters als gerechtfertigt an

Das BAG setzt sich in dieser Entscheidung auch damit auseinander, ob ein Verstoß gegen europäisches Recht vorliegen könnte. Dies wird geprüft anhand der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG) und wird verneint.

Zwar liege eine Ungleichbehandlung wegen des Alters vor, wenn im Rahmen der Sozialauswahl beim Lebensalter auf eine Rentenberechtigung abgestellt wird. Diese sei durch ein rechtmäßiges Ziel des Gesetzgebers gerechtfertigt. Es diene als „Instrument der nationalen Arbeitsmarktpolitik, mit dem über eine gerechtere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen die wirtschaftliche Existenz von Arbeitnehmern durch den Verbleib in Beschäftigung gesichert werden soll“. Das BAG beruft sich hier auf europäische Rechtsprechung zu den Altersgrenzen, wonach ein Arbeitsvertrag ein Ende mit Erreichen des 67. Lebensjahres vorsehen darf.

Lesen Sie hier unseren Beitrag zum zweitinstanzlichen Urteil in dieser Sache:
Mit 66 Jahren, ist noch lang noch nicht Schluss!
Lesen Sie das vollständige Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27.4.2017, 2 AZR 67/16 hier nach.

Das sagen wir dazu:

Eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, die wir so nicht erwartet hätten, die aber zumindest in diesem Fall sicher sachgerecht ist.

 

Die Idee, nicht mit sozialpolitischen Erwägungen über die gesetzlichen Kriterien für die Sozialauswahl hinauszugehen, sondern das Rentenalter gegen statt für eine Schutzbedürftigkeit heranzuziehen, wird für Fälle wie diesen sicher (auch) ergebnisorientiert motiviert gewesen sein.

 

Es stellen sich aber wichtige Fragen, da sozialpolitische Erwägungen hier eben nicht ausgeklammert werden können.

 

Ein regelaltersrentenberechtigter Arbeitnehmer ist in einer Sozialauswahl hinsichtlich des Kriteriums "Lebensalter" deutlich weniger schutzbedürftig als ein Arbeitnehmer, der noch keine Altersrente beanspruchen kann. So der Leitsatz der BAG-Entscheidung. Die Auswirkungen wären fatal, wenn man diese Rechtsprechung auf vorzeitige Renten übertragen würde. Allerdings betont das BAG die Regelaltersrente, so dass dieser Punkt klar und eine vorzeitige Rente – auch die ab 63 Jahren für besonders langjährig Versicherte - ausgeschlossen sein dürfte.

 

Und: Gilt das immer oder nur, wenn der Arbeitnehmer mit der Rente tatsächlich gut versorgt ist? Hier spielt die steigende Altersarmut eine Rolle. Der gekündigte Jurist ist mehr als ausreichend versorgt, so dass es richtig erscheint, ihn als weniger schutzbedürftig anzusehen, als seine junge Kollegin. Ganz anders kann das aber bei Arbeitnehmer*innen aussehen, die finanziell darauf angewiesen sind trotz Rente weiter zu arbeiten und die es mehr als schwer auf dem Arbeitsmarkt haben würden. In solchen Fällen erscheint es nicht sachgerecht, das hohe Alter nicht für, sondern gegen eine Schutzbedürftigkeit sprechen zu lassen.

 

Eine große rechtliche und politische Brisanz steckt in dieser Entscheidung. Trotzdem – oder grade deshalb (?) hat das BAG fast klammheimlich entschieden, ohne Terminsankündigung und ohne Pressemitteilung.

 

Wir werden berichten, ob das LAG in Hamm einen betriebsbedingten Grund für die Kündigung bejaht. Interessant wird auch, ob das Thema Sozialauswahl mit der Entscheidung vom BAG vom Tisch ist. Denn der Kläger ist bei der Sozialauswahl auch bei Ausklammerung des Kriteriums „Lebensalter“ ganz weit vorne, da er die deutlich höhere Betriebszugehörigkeit hat. Und dieses Kriterium hat das BAG nicht gekippt.