Der Chip zur Arbeitszeiterfassung soll die Runde gemacht haben. © Adobe Stock: Ralf Geithe
Der Chip zur Arbeitszeiterfassung soll die Runde gemacht haben. © Adobe Stock: Ralf Geithe

Treu dem Sprichwort „Zeit ist Geld“ haben Arbeitgeber ein hohes Interesse daran, dass sie ihre Beschäftigten nur für die Zeiten bezahlen, in denen sie auch tatsächlich arbeiten. Tricksereien bei der Arbeitszeiterfassung sind im Arbeitsverhältnis keine Kleinigkeit, sondern verwirklichen nicht selten einen strafbaren Arbeitszeitbetrug und können nicht nur zur Abmahnung, sondern auch zur fristlosen Kündigung führen.

 

Eine Kündigung ist nicht nur wegen einer nachweisbaren Tat als Tatkündigung möglich, sondern auch wegen des bloßen Verdachts als sogenannte Verdachtskündigung. Voraussetzung: vernünftige Zweifel sind ausgeschlossen. Werfen Arbeitgeber ihren Beschäftigten eine solche Tat vor oder hegen den Verdacht und kündigen deshalb, müssen sie die Umstände zur vollen Überzeugung des Gerichts darlegen und beweisen. Gelingt dies nicht, ist die Kündigung unwirksam, wie ein Arbeitgeber schmerzlich vor dem Arbeitsgericht Nienburg erfahren musste.

 

Für den Arbeitgeber ein eindeutiger Fall: Betrug mit System

 

Für den Arbeitgeber war die Sache klar. Ein Zusammenschluss von sechs Beschäftigten hat regelmäßig Arbeitszeitbetrug begangen. Sie alle waren in der Spätschicht einer Logistikabteilung eingesetzt, Schichtende war um 22 Uhr. Die Arbeitszeiterfassung erfolgte durch einen Stempelchip an einem Zeiterfassungsterminal. Ein Kollege des Klägers wurde nach 21:30 Uhr nicht mehr an seinem Arbeitsplatz gesehen, die Zeiterfassung endete jedoch um 22 Uhr. Am darauffolgenden Tag fand man den Stempelchip des betreffenden Kollegen in einem unverschlossenen Umkleidespind eines anderen Arbeitskollegen.

 

Der Arbeitgeber mutmaßte, dass die sechs Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze seit mehreren Jahren vor Schichtende verlassen, ohne die Arbeitszeit korrekt zu erfassen. Dies hätte lediglich ein Mitarbeiter mit den überlassenen Stempelchips der anderen zum Schichtende nachgeholt.

 

Der Arbeitgeber lud die sechs Beschäftigten zu Gesprächen und konfrontierte sie damit, dass man Kenntnis von einem Arbeitszeitbetrug habe, ohne auf die näheren Umstände und die Vorgehensweise des mutmaßlichen Betruges einzugehen. Ein Kollege des Klägers bestätigte gegenüber dem Arbeitgeber, dass der Kläger beteiligt gewesen sei. Darüber hinaus entschuldigte sich auch der Kläger selbst gegenüber dem Abteilungsleiter und teilte mit, dass ihm der Arbeitszeitbetrug leidtäte.

 

Der Arbeitgeber kündigte dem Kläger mit der Begründung angesichts des Arbeitszeitbetrugs, zumindest jedoch wegen des dringenden Verdachts, sei ihm eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar. Dagegen erhob der Kläger mithilfe der Kolleg*innen des Rechtsschutzbüros Bremen Klage – und gewann das Verfahren. Die Kündigung wurde für unwirksam erklärt.

 

Vortrag des Arbeitgebers unzureichend für Tat- und Verdachtskündigung

 

Das Arbeitsgericht entschied, dass der Arbeitgeber den hohen Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast nicht ausreichend nachgekommen sei. Bei einer Tatkündigung müsse eine erhebliche Pflichtverletzung nachgewiesen werden. Dieser Nachweis, dass der Kläger vorsätzlich gegen seine Verpflichtung zur korrekten Dokumentation seiner Arbeitszeit verstoßen hat, habe der Arbeitgeber nicht erbracht.

 

Erforderlich gewesen wäre für die richterliche Überzeugung, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen, bestünde. Im Widerspruch dazu habe der Arbeitgeber jedoch im Verfahren für keine einzelne Spätschicht und damit auch für keinen einzelnen Tag dargelegt, wann der Kläger seinen Arbeitsplatz vorzeitig verlassen haben soll. Auch die Indizien reichten nicht aus. Die bloße Aussage eines Kollegen, dass der Kläger „beteiligt“ gewesen war, sei zu pauschal und lasse keinen Schluss zu, wobei genau und auf welche Art und Weise der Kläger an irgend eine Handlung beteiligt war.

 

Auch die eigene Entschuldigung des Klägers gegenüber dem Abteilungsleiter stelle kein belastbares Indiz dar. Zwar habe der Kläger sich für den „Arbeitszeitbetrug“ entschuldigt, es bleibe jedoch weiterhin unklar, was genau der Kläger wann gemacht haben soll. Dies müsste der Arbeitgeber jedoch darlegen.

 

Beschäftigte müssen vor Verdachtskündigung angehört werden

 

Auf den bloßen Verdacht, der Kläger habe sich an einem Arbeitszeitbetrug dadurch beteiligt, dass er den Arbeitsplatz vorzeitig verlassen und durch einen anderen Kollegen den Stempelchip verwenden lassen hat, könne der Arbeitgeber sich nicht berufen. Kündigt ein Arbeitgeber aufgrund eines Verdachts, so sei er verpflichtet, den Sachverhalt vor Ausspruch einer Kündigung so weit wie möglich aufzuklären.

 

Dies setze insbesondere eine vorherige Anhörung der Arbeitnehmer*innen voraus. An eine solche Anhörung sind hohe Anforderungen zu stellen. Beschäftigte müssten erkennen können, zur Aufklärung welchen genauen Sachverhalts sie aufgefordert sind. Ebenso müssten sie die Möglichkeit erhalten, bestimmte, zeitliche und räumliche Tatsachen gegebenenfalls zu bestreiten oder entkräftende Umstände aufzuzeigen.

 

Diese Voraussetzungen hatte der Arbeitgeber zur Überzeugung des Gerichts nicht erfüllt, da nicht ersichtlich wurde, dass er dem Kläger die konkreten Vorwürfe und Umstände des Einzelfalls mitgeteilt habe.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Nienburg.