Das kann ich auch allein machen, mag der Chef gedacht haben. © Adobe Stock: InsideCreativeHouse
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Bei einer Kündigung ist die Beklagte als kündigender Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses, erläutert das Arbeitsgericht die Rechtslage. Aus dem Vorbringen der Beklagten werde nicht deutlich, dass der Arbeitsplatz der Klägerin unmittelbar aufgrund außerbetrieblicher Umstände weggefallen ist. Nach deren Vortrag bedurfte es nämlich zusätzlich einer unternehmerischen Entscheidung ihres Geschäftsführers mit dem Ziel, die rückläufigen Arbeitsaufgaben der Klägerin zu verteilen, damit der Arbeitsplatz der Klägerin auch tatsächlich wegfiel. Die Juristen des DGB Rechtsschutzbüros Hagen wendeten sich erfolgreich gegen die Rechtsansicht des Arbeitgebers.                         

 

Was zuvor geschah

 

Seit 2021 arbeitete die knapp 60-jährige 30 Stunden wöchentlich im Unternehmen. Sie war dort die einzige Vertriebssachbearbeiterin. Ihr Arbeitgeber ist auf die Entwicklung und Herstellung von Systemkomponenten für die Bergbauindustrie spezialisiert. Dieser Bereich umfasst 100% des gesamten Vertriebsgeschäfts. 90% der Produkte vertreibt das Unternehmen ins Ausland, u.a. auch in die Ukraine.

 

Im Mai 2023 erhielt die Frau ihre Kündigung. Aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung sei der Arbeitsplatz spätestens Ende Mai 2023 weggefallen, argumentierte der Arbeitgeber im nachfolgenden Kündigungsschutzprozess. Eine Sozialauswahl vor Ausspruch der Kündigung habe zu keinem für die Klägerin günstigen Ergebnis geführt und eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, gegebenenfalls zu geänderten Vertragsbedingungen, bestehe nicht.

 

Die Auftragslage ging zurück

 

Die Beklagte behauptete weiter, ihre Auftragslage in der Bergbauindustrie sei im Vergleich des Geschäftsjahres 2022 zum Vorjahr 2021 um 36% gesunken. Dies habe zum Abbau eines Arbeitsplatzes im Vertrieb geführt. Der Geschäftsführer hätte daher im April 2023 entschieden, den gesamten Vertrieb und die Lagerleitung auf einen einzigen Vollzeitarbeitsplatz zu kürzen. Internationale Vertriebsaufgaben wolle er künftig selbst übernehmen. Die restlichen Arbeiten der Klägerin würden auf einen anderen Mitarbeiter übertragen.

 

Die Klägerin hielt die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Ihre Prozessvertreter bestritten den von der Beklagten vorgetragenen Auftragsrückgang um 36 % - innerhalb welchen Zeitraums auch immer – und die Möglichkeit, dass ein Kollege der Klägerin in der Lage sei, ohne überobligatorischen Mehreinsatz zusätzlich zu seinen Aufgaben als Lagerarbeiter die Aufgaben der Klägerin mit zu übernehmen. Die rechtliche Befugnis des Geschäftsführers, die von der Beklagten vorgetragene Organisationsentscheidung treffen zu dürfen, sei ebenfalls nicht dargelegt.

 

Kündigung verstößt gegen das Kündigungsschutzgesetz

 

Die angegriffene Kündigung ist nicht aus dringenden, betrieblichen Gründen sozial gerechtfertigt, entschied das Arbeitsgericht. Die Beklagte wolle sich auf dringende betriebliche Erfordernisse berufen, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen. Sie stütze sich auf eine Unternehmerentscheidung, wonach der Arbeitsplatz der Klägerin nach Auftragsrückgang und Neuverteilung der verbliebenen Arbeitsaufgaben wegfallen solle.

 

Ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne von § 1 KSchG zum Ausspruch der Kündigung konnte die Kammer des Gerichts anhand des Vortrages der darlegungs- und beweispflichtigen Beklagten nicht feststellen. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine betriebsbedingte Kündigung auf außerbetriebliche und innerbetriebliche Gründe gestützt werden kann, so das Gericht. Es werde aus dem Vorbringen der Beklagten jedoch nicht deutlich, dass der Arbeitsplatz der Klägerin unmittelbar aufgrund außerbetrieblicher Umstände weggefallen sei. Das habe die Beklagte nicht ausreichend substantiiert vorgetragen.

 

Die Beklagte habe das auch erkannt. Allein die außerbetrieblichen Umstände ließen der Arbeitsplatz der Klägerin nicht vollständig entfallen. Nach dem Vortrag der Beklagten habe es hierfür nämlich einer weiteren unternehmerischen Entscheidung des Geschäftsführers mit dem Ziel bedurft, die rückläufigen Arbeitsaufgaben der Klägerin neu zu verteilen. Erst damit sei der Arbeitsplatz der Klägerin weggefallen.

 

Auch innerbetrieblich keine Gründe in Sicht

 

Die Beklagte trage zudem nicht nachvollziehbar vor, inwieweit der Arbeitsplatz der Klägerin aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung und daraus resultierender organisatorischer Maßnahmen entfallen sei.

 

Liegt eine unternehmerische Entscheidung und eine damit verbundene organisatorische Maßnahme vor, die auf innerbetriebliche oder außerbetriebliche Umstände zurückzuführen ist, kann diese Entscheidung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung unmittelbar ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Rechtfertigung der Kündigung darstellen. Dazu muss der betreffende Arbeitsplatz ersatzlos wegfallen und es darf keine Möglichkeit geben, den/die Beschäftigten auf einem anderen freien, gleichwertigen Arbeitsplatz im Betrieb zu versetzen.

 

Eine solche unternehmerische Entscheidung kann das Arbeitsgericht nur eingeschränkt darauf überprüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Die unternehmerische Entscheidung selbst muss dabei aber tatsächlich und für das Gericht nachvollziehbar vorliegen.

 

Beschäftigungsbedürfnis muss entfallen

 

Der Ausspruch der Kündigung selbst stellt keine unternehmerische Entscheidung dar, die zur deren Begründung ausreichen würde, so das Gericht. Es bedarf dazu vielmehr stets einer Unternehmerentscheidung bezogen auf die Betriebsorganisation, die einen Überhang von Arbeitskräften mit sich bringt und damit das Bedürfnis entfallen lässt, eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmer:innen weiter zu beschäftigen.

 

Eine solche Unternehmerentscheidung kann darin bestehen, dass der Arbeitgeber durch eine Neuverteilung der vorhandenen Arbeit auf vorhandene Arbeitskräfte den Personalbestand dauerhaft reduziert. Eine Verteilung darf auch auf vorhandene gesetzliche Vertreter wie den Geschäftsführer eines Unternehmens erfolgen. Dabei muss aber klar sein, inwiefern von einer „dauerhaften“ Übertragung der Aufgaben auszugehen sei.

 

Seien die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und die Kündigungsentscheidung ohne nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich, müsse der Arbeitgeber darlegen, in welchem Umfang die fraglichen Arbeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand anfallen. Er müsse eine detaillierte Prognose der Entwicklung aufgrund außerbetrieblicher Faktoren oder unternehmerischer Vorgaben darlegen und aufführen, wie diese Arbeiten von dem verbliebenen Personal – oder einem gesetzlichen Vertreter – ohne überobligatorische Leistungen erledigt werden können.

 

Übertragung auf Dauer blieb unklar

 

Im Fall der Klägerin konnte das Arbeitsgericht nicht feststellen, inwiefern deren Beschäftigungsbedürfnis dadurch entfallen war, dass eine dauerhafte Übertragung ihrer Aufgaben auf den Geschäftsführer erfolgte. Allein die unternehmerische Entscheidung des Geschäftsführers, das künftig selbst erledigen zu wollen, reichte dem Gericht nicht aus. Es fehle an einer genauen Beschreibung der Auftragslage und des Auftragsrückgangs, heißt es im Urteil. Zudem hatte die Beklagte nicht dazu vorgetragen, wie sich ihrer Ansicht nach der behauptete Auftragsrückgang in Zukunft entwickeln würde.

 

Die Klägerin habe das alles bestritten und deshalb hätte die Beklagte sich dazu näher äußern müssen. Das gelte auch für die Behauptung der Klägerin, dass deren Kollege durch die zusätzlichen Aufgaben der Klägerin, die man ihm übertragen habe, überobligatorische Mehrarbeit leisten müsse. Des Weiteren wurde für das Gericht nicht deutlich, ob und inwiefern der Geschäftsführer selbst über so viele offene Kapazitäten verfügt, dass er das Auslandsgeschäft der Klägerin übernehmen konnte, ohne seinerseits Mehrarbeit leisten zu müssen.

 

Damit lag ein dringendes betriebliches Erfordernis zur Kündigung der Klägerin im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes nicht vor. Das Gericht erklärte die Kündigung deshalb für rechtsunwirksam. Arbeitsplatz durch den DGB Rechtsschutz gerettet! - hieß es daher am Ende des Prozesses.