Das Betriebsverfassungsgesetz kann die Tür zum Arbeitsplatz öffnen. Copyright by Alexander / Fotolia
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Zum Anspruch auf Weiterbeschäftigung vergleiche:

Anspruch auf Weiterbeschäftigung

Was war passiert?

Eine Fachschule für Technik kündigte im Juni 2017 einem Fachbereichsleiter zum 31.12.2017. Seine Kündigungsschutzklage wies das Arbeitsgericht mit Urteil vom November 2017 ab. Gegen diese Entscheidung legte der Fachbereichsleiter Berufung ein.
Im Januar 2018 verlangte er außergerichtlich von der Beklagten, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen, weil der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hatte. Die Arbeitgeberin lehnte dies ab. Sie beantragte beim Arbeitsgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Deren Ziel war, die Beklagte von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung zu entbinden.
Über diesen Antrag hatte das Arbeitsgericht Kiel zu entscheiden.
 

Problem 1: Welches Gericht ist zuständig?

 
Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nach der Zivilprozessordnung das Gericht der Hauptsache zuständig. Das ist das Arbeitsgericht, solange der Rechtsstreit in der Hauptsache noch nicht beim Landesarbeitsgericht anhängig ist.
Das Arbeitsgericht Kiel ist der Auffassung, der Kläger habe seine Weiterbeschäftigung erstinstanzlich nicht verlangt. Der Weiterbeschäftigungsanspruch könne also nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden sein. Deshalb verbleibe es bei der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts.
 

Anmerkung der Redaktion 1

 
Die Ausführungen des Arbeitsgerichts Kiel überzeugen nicht. Wenn auch die Hauptsache, also der Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers, Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, ist dieses Gericht für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zuständig.
Ob und gegebenenfalls wann der Kläger seine Weiterbeschäftigung beim Landesarbeitsgericht beantragt hat, ist dem Urteil des Arbeitsgerichts Kiel nicht zu entnehmen. Auf diese Frage kommt es aber entscheidend an. Denn wenn der Kläger diesen Antrag zulässig beim Landesarbeitsgericht gestellt hat, wird dieses Gericht auch zuständig für den Erlass einer einstweiligen Verfügung.
Hier hat also das Arbeitsgericht Kiel eine entscheidungserhebliche Frage nicht einmal gestellt, geschweige denn beantwortet.
 

Problem 2: Besteht ein Rechtsschutzbedürfnis?

 
Das Betriebsverfassungsgesetz sieht vor, dass sich ein Arbeitgeber von seiner Pflicht zur Weiterbeschäftigung befreien lassen kann. Eine solche Befreiung setzt jedoch eigentlich notwendigerweise voraus, dass eine Pflicht zur Weiterbeschäftigung besteht. Genau das war aber zwischen den Parteien mehr als streitig. Denn der Arbeitgeber hat zum einen bestritten, dass der Widerspruch des Betriebsrats ordnungsgemäß war. Und zum anderen hat er behauptet, der Kläger sei leitender Angestellter gewesen.
Hier verweist das Arbeitsgericht Kiel jedoch darauf, dass ein Rechtsschutzbedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bereits dann gegeben ist, „wenn das Bestehen der Pflicht zur Weiterbeschäftigung zwischen den Parteien streitig ist und nicht vollständig ausgeschlossen werden kann.“
 

Anmerkung der Redaktion 2

 
Dem ist aus Gründen der Prozessökonomie zuzustimmen.
 

Problem 3: Ist ein Verfügungsgrund erforderlich?

 
Für einen Anspruch auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist neben dem Verfügungsanspruch auch ein Verfügungsgrund erforderlich. Das bedeutet, die Angelegenheit muss so dringend sein, dass dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, auf eine Entscheidung in der Hauptsache zu warten.
Hier vertritt das Arbeitsgericht Kiel die Auffassung, „angesichts des klaren Wortlauts“  der maßgeblichen gesetzlichen Vorschrift ergebe sich, dass für den Arbeitgeber ein Verfügungsgrund nicht erforderlich sei. Weitere Ausführungen macht das Gericht hierzu nicht.
 

Anmerkung der Redaktion 3


Wenn der Gesetzgeber regeln möchte, dass für den Erlass einer einstweiligen Verfügung  - ausnahmsweise  - kein Verfügungsgrund erforderlich ist, sagt er das ausdrücklich. So zum Beispiel in einer sachenrechtlichen Vorschrift des Bürgerlichen Gesetzbuches.
Das Betriebsverfassungsgesetz regelt eine solche Ausnahme aber gerade nicht.
Warum dem Wortlaut der Vorschrift im Betriebsverfassungsgesetz klar zu entnehmen sein soll, dass ein Verfügungsgrund nicht erforderlich ist, bleibt das Geheimnis des Arbeitsgerichts Kiel.
 
 
Hier finden Sie die vollständige Entscheidung des Arbeitsgerichts Kiel, Urteil vom 17. April 2018, Aktenzeichen 1 Ga 5 c/18

Rechtliche Grundlagen

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 885 Voraussetzung für die Eintragung der Vormerkung

(1) Die Eintragung einer Vormerkung erfolgt auf Grund einer einstweiligen Verfügung oder auf Grund der Bewilligung desjenigen, dessen Grundstück oder dessen Recht von der Vormerkung betroffen wird. Zur Erlassung der einstweiligen Verfügung ist nicht erforderlich, dass eine Gefährdung des zu sichernden Anspruchs glaubhaft gemacht wird.

Betriebsverfassungsgesetz
§ 102 Mitbestimmung bei Kündigungen
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder
2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder
3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.