„Nicht alles, was vereinbart ist, gilt auch“ -  mag der Mann gedacht haben. © Adobe Stock: Janina_PLD
„Nicht alles, was vereinbart ist, gilt auch“ - mag der Mann gedacht haben. © Adobe Stock: Janina_PLD

Der 30-jährige Betriebsschlosser stritt mit seinem Arbeitgeber vor dem Arbeitsgericht Neumünster um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit einer sozialen Auslauffrist. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war der Mann Mitglied des Betriebsrates und Wahlbewerber für die kommende Betriebsratswahl. Die Beschäftigten des Unternehmens wählten ihn wieder in den Betriebsrat.

 

Verzichtserklärung vor Gericht

 

In einem früheren Verfahren hatte der Kläger mit dem Arbeitgeber einen Vergleich geschlossen. Darin verpflichtete er sich unter anderem dazu, sein Amt als Mitglied des Betriebsrats nach Ablauf der derzeitigen Amtsperiode niederzulegen und bei der nächsten Wahl zum Betriebsrat nicht zu kandidieren.

 

Er stellte sich dennoch zur Wahl und erhielt auch einen Platz im Betriebsrat. Der Arbeitgeber sprach daraufhin die Kündigung aus. Diese stützte er darauf, der Kläger habe gegen die mit dem Vergleich übernommene Verpflichtung verstoßen. Das habe insgesamt - praktisch wie ein Prozess- bzw. Eingehungsbetrug -  unabhängig von einer strafrechtlichen Bewertung zu einem erheblichen Vertrauensverlust bei der Beklagten geführt.

 

Keine schuldhafte Pflichtverletzung

 

Das Arbeitsgericht ließ die außerordentliche Kündigung nicht gelten. Der Kläger habe nicht schuldhaft gegen eine vertragliche Pflicht verstoßen. Die Kandidatur des Klägers für den Betriebsrat sei zulässig gewesen. Die entgegenstehende Verpflichtung im Vergleich des früheren Verfahrens sei unwirksam. Der Kläger könne für die Zukunft auf eine Kandidatur für den Betriebsrat nicht verzichten.

 

Das zeige ein Blick auf die Regelungen zu den Voraussetzungen der Wählbarkeit nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Das Bundesarbeitsgericht habe entschieden, dass § 8 BetrVG die zwingenden Wählbarkeitsvoraussetzungen erschöpfend aufzähle. § 15 BetrVG enthalte demgegenüber nur Empfehlungen für die Zusammensetzung des Betriebsrates im Ganzen nach Beschäftigungsarten und Geschlechtern. Regelungen, die vom Gesetz abweichen und zusätzliche gesetzliche Erfordernisse aufstellten, dürfe ein Tarifvertrag nicht bestimmen.

 

Freie Entscheidung des Klägers

 

Was für Tarifverträge gelte, gelte erst recht für eine individualrechtliche Vereinbarung. Zwar könne der Kläger frei entscheiden, ob er kandidiere und auch, ob er etwa vom Betriebsratsamt zurücktrete. Daraus ergebe sich jedoch nicht, dass die abgeschlossene Vereinbarung zulässig sei. Anders als im Vorprozess gehe es hier um eine neue, aktuell freie Entscheidung des Klägers, nicht jedoch um eine Festlegung für die Zukunft, die mittelbar auch die Wahlmöglichkeiten der Belegschaft einschränken.

 

Die Möglichkeit, den Verzicht auf eine Kandidatur für die Zukunft zu vereinbaren, öffne Manipulationsmöglichkeiten Tür und Tor. Arbeitgeber könnten das Kandidatenfeld praktisch leer kaufen oder in anderer Weise beeinflussen. Dieser Möglichkeit werde entgegengewirkt, wenn derartige Vereinbarungen unwirksam seien und die handelnden Protagonisten deshalb damit rechnen müssten, solche Vereinbarungen nicht durchsetzen zu können.

 

Der Beklagten sei nicht darin zuzustimmen, der Kläger habe gegen einen bindenden gerichtlichen Beschluss verstoßen. Das Gericht habe im Vorprozess lediglich eine individualrechtliche Vereinbarung protokolliert. Dies führe zwar zur Vollstreckbarkeit der titulierten Verpflichtung, könne aber der Vereinbarung in der Regel keine besondere Wirksamkeit verleihen. Auch durch den gerichtlichen Vergleich habe sich der Kläger für die Zukunft nicht dahingehend binden können, für den Betriebsrat nicht mehr zu kandidieren.

 

Keine Würdigkeitsprüfung durch den Arbeitgeber

 

Der Arbeitgeber meine, es könne nicht im Sinne der Belegschaft sein, von einem Betriebsratsmitglied vertreten zu werden, dass sowohl individual- als auch kollektivarbeitsrechtliche Pflichten missachte und verletze. Der Arbeitgeber möge damit eine Art Würdigkeitsprüfung für die Betriebsratskandidatur meinen.

 

Diese sei im Gesetz nicht vorgesehen. Die Belegschaft werde im Rahmen der Wahl selbst in der Lage sein, das Verhalten des Klägers zu bewerten. Sie sei nicht auf eine Selektion der möglichen Kandidaten durch den Arbeitgeber im Wege einer Kündigung angewiesen.

 

Unabhängig davon, dass das Arbeitsgericht einen Grund für die fristlose Kündigung nicht erkannte, fehlte es auch an der nach dem Gesetz erforderlichen Zustimmung des Betriebsrates zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitglieds.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 8 BetrVG; § 15 BetrVG

§ 8 Wählbarkeit
(1) Wählbar sind alle Wahlberechtigten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und sechs Monate dem Betrieb angehören oder als in Heimarbeit Beschäftigte in der Hauptsache für den Betrieb gearbeitet haben. Auf diese sechsmonatige Betriebszugehörigkeit werden Zeiten angerechnet, in denen der Arbeitnehmer unmittelbar vorher einem anderen Betrieb desselben Unternehmens oder Konzerns (§ 18 Abs. 1 des Aktiengesetzes) angehört hat. Nicht wählbar ist, wer infolge strafgerichtlicher Verurteilung die Fähigkeit, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, nicht besitzt.
(2) Besteht der Betrieb weniger als sechs Monate, so sind abweichend von der Vorschrift in Absatz 1 über die sechsmonatige Betriebszugehörigkeit diejenigen Arbeitnehmer wählbar, die bei der Einleitung der Betriebsratswahl im Betrieb beschäftigt sind und die übrigen Voraussetzungen für die Wählbarkeit erfüllen.

§ 15 Zusammensetzung nach Beschäftigungsarten und Geschlechter
(1) Der Betriebsrat soll sich möglichst aus Arbeitnehmern der einzelnen Organisationsbereiche und der verschiedenen Beschäftigungsarten der im Betrieb tätigen Arbeitnehmer zusammensetzen.
(2) Das Geschlecht, das in der Belegschaft in der Minderheit ist, muss mindestens entsprechend seinem zahlenmäßigen Verhältnis im Betriebsrat vertreten sein, wenn dieser aus mindestens drei Mitgliedern besteht.