Wer mit Krankheit, Selbstmord oder Amoklauf droht, um seinen Arbeitgeber zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, riskiert die fristlose Kündigung.
Wer mit Krankheit, Selbstmord oder Amoklauf droht, um seinen Arbeitgeber zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, riskiert die fristlose Kündigung.


Drohungen mit Gefahren für Leib und Leben des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer können eine fristlose Kündigung rechtfertigen. Das gilt auch für den Fall, dass der Arbeitnehmer mit Selbstmord droht. Dies hat das Bundesarbeitsgericht mit einem Urteil vom Juni 2017 entschieden.

Kläger in der Autobahnmeisterei nicht mehr einsetzbar

Der Kläger war Land Hessen als Straßenwärter beschäftigt. Aufgrund besonderer Vorschriften im anzuwendenden Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst des Landes Hessen (TV-H) war er nur noch aus wichtigem Grund kündbar.

Ursprünglich wurde der Kläger in einer Autobahnmeisterei beschäftigt. Es kam jedoch zu krankheitsbedingten Fehlzeiten, die der Kläger auf Probleme in der Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten zurückführte.

Von Mai 2008 bis Ende 2011 wurde dem Kläger daher zur Fortbildung eine Tätigkeit als Bauaufseher übertragen. Anfang 2012 wurde er zu einer anderen Autobahnmeisterei versetzt. Hier wurde der Kläger als Straßenaufseher beschäftigt. Bereits nach zwei Arbeitstagen erkrankte der Kläger erneut. 

Nach einer stationären psychosomatischen Behandlung erfolgte aus arbeitsmedizinischer Sicht die Empfehlung, den Kläger nicht mehr als Straßenwärter einzusetzen. Der Kläger selbst wollte auch nicht mehr in der Autobahnmeisterei beschäftigt werden. 

Im Juli 2013 erfolgte ein betriebliches Eingliederungsmanagement. Das beklagte Land legte dem Kläger in diesem Zusammenhang dar, ihn nicht mehr als Bauaufseher beschäftigen zu wollen; lediglich eine Beschäftigung in der Autobahnmeisterei sei noch eingeschränkt möglich.

Kläger droht beklagtem Land

In einem weiteren Gespräch im Rahmen der betrieblichen Eingliederung im August 2013 erklärte der Kläger, er könne im Fall der Rückkehr nicht garantieren, nicht wieder arbeitsunfähig zu erkranken. Zudem bestünde die Gefahr, dass er sich umbringen oder Amok laufen werde.

In diesem Zusammenhang erwähnte der Kläger seine Mitgliedschaft in einem Schützenverein und machte klar, „dass man glücklich sein solle, dass er noch nicht über einen Waffenschein verfüge“. Die Leiterin des Gesprächs informierte daraufhin den sozialpsychiatrischen Dienst. 

Dieser empfahl, die Polizei hinzuzuziehen. Der Kläger wurde daraufhin von den Polizeibeamten in die psychiatrische Ambulanz eines Klinikums gebracht. Die Ärzte des Klinikums stellten beim Kläger eine depressive Störung fest. 

Land reagiert mit fristloser Kündigung

Das Land entschloss sich im Nachgang des Gesprächs zur außerordentlichen Kündigung und sprach diese im September 2013 aus. Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sollte fristlos enden. 

Gegen die Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Er beteuerte, die von ihm ausgesprochenen Drohungen seien nicht ernst gemeint gewesen. Er habe lediglich versucht, seinen von Resignation geprägten Zustand zu beschreiben. 

Außerdem seien die Äußerungen in einem „geschützten Raum“, dem Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement getätigt worden. Der Kläger habe darauf vertrauen dürfen, sein Befinden ganz offen auszudrücken zu können.

Landesarbeitsgericht gibt Kläger recht

Das Arbeitsgericht sah die Kündigung als wirksam an und wies die Kündigungsschutzklage ab. Das Landesarbeitsgericht entschied dagegen im Berufungsverfahren zugunsten des Klägers. 

Das Landesarbeitsgericht war der Ansicht, die Äußerungen des Klägers seien nicht als ernsthaft zu werten gewesen, ein wichtiger Grund habe daher nicht vorgelegen. Die fristlose Kündigung sei daher unwirksam. 

Mit seiner Entscheidung hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichtes auf und verwies die Sache zur weiteren Tatsachenfeststellung zurück. Das Landesarbeitsgericht habe Ernstlichkeit der Drohungen allzu schnell verneint. Die im Berufungsurteil dargelegten Beweiswürdigungen genügen dem BAG nicht. 

Bundesarbeitsgericht sieht „an sich“ wichtigen Grund

Das Bundesarbeitsgericht sieht in dem Verhalten des Klägers im Rahmen des Eingliederungsgespräches einen „an sich“ wichtigen Grund. Ein solcher liegt vor, wenn ein Verhalten ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund darzustellen. 

Sofern die Drohungen des Klägers ernst gemeint waren, stelle sie einen „an sich“ wichtigen Grund dar, welcher eine fristlose Kündigung rechtfertigen könne. 

Anders als noch das Landesarbeitsgericht gewichtet das Bundesarbeitsgericht die Aussagen des Klägers, er werde erneut erkranken und sich unter Umständen selbst töten stärker als die Ankündigung des Amoklaufs. 

Nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts muss sich das beklagte Land nicht drängen lassen, den Kläger in einer bestimmten Weise zu beschäftigen. Die unverhohlene Ankündigung eines Suizids -wenn sie denn ernst gemeint ist - stellt nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts ein nötigendes Verhalten dar, das sich ein Arbeitgeber nicht gefallen lassen müsse.

Bundesarbeitsgericht stellt Maßstab auf

Auch die Ankündigung eines Amoklaufs sieht das Bundesarbeitsgericht, anders als das Landesarbeitsgericht, als möglicherweise ernsthafte Drohung an. Hier müssten nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts weitere Feststellungen getroffen werden, ob die geäußerte Drohung ernst gemeint war. 

Dies ergibt sich nach Ansicht des Gerichts danach, ob der Erklärungsgehalt objektiv dazu geeignet ist, bei einem „normal“ empfindenden Menschen den Eindruck einer ernstgemeinten Drohung hervorzurufen. 

Zwar habe der Kläger sich nach dem Gespräch im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagement den Ärzten gegenüber glaubhaft von der Absicht, sich oder andere zu gefährden, distanziert; maßgeblich sei aber die Situation im Moment der geäußerten Drohungen.

Äußerungen nicht gerechtfertigt

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts trug der Kläger die Drohungen in ziemlich klarer und bestimmender Weise vor. Zudem erwähnte der Kläger unterstützend seine Mitgliedschaft im Schützenverein. 

Die Äußerung sei auch nicht dadurch zu relativieren, dass sie im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gefallen sei: Das Gespräch zum betrieblichen Eingliederungsmanagement sei zwar kein „normales“ Personalgespräch, auf der anderen Seite aber auch kein außerdienstlicher Vorgang.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement sei eine Institution der betrieblichen Prävention. Erfolg oder Misserfolg hingen in entscheidendem Maße von der Bereitschaft des Arbeitnehmers ab, sich Lösungen für die Behebung von Arbeitsunfähigkeit zu öffnen, ohne dass er Gründe für Fehlzeiten offenbaren müsse. Daraus folge aber keine Billigung eines vertragswidrigen Verhaltens in Form von widerrechtlichen Drohungen.

LAG muss erneut entscheiden

Das Landesarbeitsgericht muss erneut in die Beweisaufnahme einsteigen. Sofern die Drohungen des Klägers ernst gemeint waren, dürfe eine fristlose Kündigung verhältnismäßig sein.

Dann hätte der Kläger versucht, das beklagte Land mit Hilfe der Drohung dazu zu bewegen, ihm keinen Tätigkeitsbereich als Straßenmeister zuzuweisen. Das Verhalten des Klägers wäre dann als schwerwiegende Vertragsverletzung anzusehen.

Demgegenüber genügt das bloße Erwähnen eines Amoklaufs durch den Kläger für sich betrachtet nicht, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. „Nicht jede bloße Ankündigung eines Amoklaufs wird notwendig auch umgesetzt“, so das Bundesarbeitsgericht.

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Urteil des Bundesarbeitsgerichts

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Das sagen wir dazu:

Dem Urteil des BAG ist zuzustimmen. Im Arbeitsleben ist es nun mal wie in der Politik: Vieles, was gesagt wird, wird oft und gerne schnell falsch verstanden. Dabei kommt es ganz entscheidend darauf an, wie der Empfänger die jeweilige Aussage verstehen durfte. 

Niemand muss sich bedrohen lassen

Eine rechtskräftige Entscheidung ist im vorliegenden Fall noch nicht gefallen – das Landesarbeitsgericht muss erneut die Tatsachen des Falls bewerten. 

Man muss beachten, dass der vom Bundesarbeitsgericht aufgezeigte Maßstab einen Schutz für die „Allgemeinheit der Arbeitnehmer“ darstellt: Niemand soll und muss sich ernstlich bedrohen lassen oder mit Schuldgefühlen für einen Selbstmord leben müssen. 

Wichtig ist, dass die Sichtweise des Empfängers maßgeblich ist. Dabei kann der Anwendungsbereich auch auf andere „Baustellen“ des Arbeitslebens angewendet werden: So müssen sich Frauen nicht „anmachen lassen“, wenn etwa männliche Kollegen meinen „nur einen lustigen Spruch“ abgegeben zu haben, dieser aber eben ganz anders ankommt. 

Rechtliche Grundlagen

§ 240 StGB

Nötigung
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) 1In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. 2Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
1. eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2. seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.