Die Uhr tickt für die Einhaltung der Klagefrist, aber nicht immer so schnell wie man befürchten könnte. © Adobe Stock: Ananya
Die Uhr tickt für die Einhaltung der Klagefrist, aber nicht immer so schnell wie man befürchten könnte. © Adobe Stock: Ananya

Der 60-jährige, schwerbehinderte Produktionshelfer hatte mit einem Leiharbeitsunternehmen einen befristeten Arbeitsvertrag geschlossen, der die tariflichen Ausschlussfristen der Zeitarbeitsbranche ausschloss. Statt dessen war eine Ausschlussfrist von vier Monaten nach Fälligkeit zur Geltendmachung von Forderungen und eine weitere Ausschlussfrist zur Klageerhebung von ebenfalls vier Monaten vereinbart. Die Fälligkeit des Arbeitsentgelts legte der Tarifvertrag auf den 15. des jeweils folgenden Abrechnungsmonats fest. Das Arbeitsverhältnis des Mannes war bis zum 30. Juni 2023 befristet.

 

Kündigung vor Ablauf der Befristung

 

Im Januar 2023 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum Ende des Monats Februar 2023 noch vor Auslaufen der Befristung. Die Kündigung erfolgte ohne Anhörung des Inklusionsamtes, obwohl die Schwerbehinderung des Betroffenen bekannt war. Zu diesem Zeitpunkt standen dem Mann noch mehrere Stunden aus einem Arbeitszeitkonto zu. Die hatte der Arbeitsgeber auch in der letzten Abrechnung aufgeführt. Angebote, auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt zu werden, lehnte der Produktionshelfer ab. Eine Kündigungsschutzklage erhob er zunächst nicht.

 

Nach Rechtsrat durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz kam es erst im Juni 2023 zur Klageerhebung. Im Klageverfahren beantragte Martin Kühtz aus dem DGB Rechtsschutzbüro Hagen festzustellen, dass die Kündigung wegen der fehlenden Zustimmung des Inklusionsamtes unwirksam war und seinem Mandanten die offenstehenden Zahlungsansprüche aus dem Arbeitszeitkonto sowie Lohn aus Annahmeverzug ab März 2023 zur Auszahlung zu bringen sind. Die Befristung griffen die Prozessbevollmächtigten des Mannes nicht an.

 

Klagefrist nach dem Kündigungsschutzgesetz abgelaufen

 

Der Arbeitgeber berief sich darauf, dass die Klagefrist für die Kündigungsschutzklage und auch die Ausschlussfristen aus dem Arbeitsvertrag verstrichen waren. Lohn aus Annahmeverzug stünde dem Mann im Übrigen deshalb nicht zu, weil er zumutbare Arbeitsangebote abgelehnt habe.

 

Die Kündigung war wegen fehlender Zustimmung des Inklusionsamtes nicht nur unwirksam, sondern sogar nichtig. So entschied es das Arbeitsgericht. Die Kündigung gelte auch nicht etwa deshalb als wirksam, weil der Kläger die Klagefrist versäumt habe. Das Kündigungsschutzgesetz bestimme nämlich, dass die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den/die Arbeitnehmer:in zu laufen beginnt, wenn die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf.

 

Weil das bei schwerbehinderten Menschen so ist und dem Kläger zu keinem Zeitpunkt eine Zustimmung des Inklusionsamtes bekannt gegeben worden war, habe die Klagefrist nicht zu laufen begonnen. Die Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Kündigung werde in diesen Fällen nur durch den Einwand der Verwirkung zeitlich begrenzt, so das Gericht.

 

Nur eine Verwirkung war zu prüfen

 

Verwirkt habe der Kläger seinen Anspruch auf Erhebung der Klage nicht. Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit seiner Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist – das nennt man den Zeitmoment - und besondere Umstände hinzutreten, die eine spätere Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen – das sogenannte Umstandsmoment. Bereits das Zeitmoment war aus Sicht des Arbeitsgerichts beim Kläger nicht erfüllt.

 

Für eine Kündigung, die aus anderen als den im Kündigungsschutzgesetz genannten Gründen unwirksam ist, gebe es keine Klagefrist, so die Richter*innen. Die fehlende Zustimmung des Inklusionsamtes sei ein solcher außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes liegender Unwirksamkeitsgrund.

 

Grundsätze des BAG zur Verwirkung gelten

 

Eine Verwirkung des Klagerechts im Kündigungsschutzrecht fordert nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts,

1.     dass seit der Möglichkeit, das Recht in Anspruch zu nehmen, längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment),

2.     dass besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Inanspruchnahme als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment) und

3.     dass der Verpflichtete sich im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (Zumutbarkeitsmoment).

 

Dabei liegt das Umstandsmoment vor, wenn ein:e Verpflichtete:r bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des/der Berechtigten entnehmen durfte, dass diese:r sein Recht nicht mehr geltend machen werde; der/die Berechtigte muss unter Umständen untätig geblieben sein, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen wird. Aus Gründen des Vertrauensschutzes muss das Interesse des/der Berechtigten an der sachlichen Prüfung derart überwiegen, dass dem Gegner die Einlassung auf die nicht innerhalb angemessener Frist erhobene Klage nicht mehr zumutbar ist.

 

Rechtskontrolle unterliegt auch Verwirkung

 

Die Verwirkung umfasst dabei auch die Möglichkeit zu einer rechtlichen Kontrolle. Bei einer Verwirkung des Klagerechts ist im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG zu beachten, dass der Weg zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird. All dies ist mit den Anforderungen zu prüfen, die an das Umstands- und das Zeitmoment gestellt werden, erläutert das Arbeitsgericht.

 

Zwar seien zwischen dem Zugang der Kündigung beim Kläger und dem Eingang der Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht etwas über vier Monate verstrichen, dennoch sei das Zeitmoment der Verwirkung im Streitfall nicht gegeben. Das lasse sich nämlich nicht durch eine schematische Betrachtungsweise ermitteln, sondern die Frage eines Rechtsmissbrauchs müsse an Hand des Einzelfalls geklärt werden.

 

Drei Wochen gelten hier nicht

 

Die dreiwöchige Klagefrist des Kündigungsschutzgesetzes könne nicht als Maßstab für das Zeitmoment herangezogen werden. In § 4 KSchG heißt es nämlich auch:

 

„Soweit die Kündigung der Zustimmung einer Behörde bedarf, läuft die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts erst von der Bekanntgabe der Entscheidung der Behörde an den Arbeitnehmer ab.“

 

Damit werde das Vertrauen des/der Gekündigten bis zum Vorliegen der behördlichen Zustimmung geschützt. § 4 KSchG wolle ein Informationsdefizit des/der Betroffenen im Hinblick auf die erforderliche behördliche Zustimmung ausgleichen.

 

Kündigungsschutzgesetz enthält weitere Frist

 

Daneben verwies das Arbeitsgericht auf § 5 KSchG. Dort gibt es eine Regelung zur nachträglichen Zulassung einer Kündigungsschutzklage.

 

„War ein Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung trotz Anwendung aller ihm nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt verhindert, die Klage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung zu erheben, so ist auf seinen Antrag die Klage nachträglich zuzulassen...“

 

Und

 

„Der Antrag ist nur innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses zulässig. Nach Ablauf von sechs Monaten, vom Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann der Antrag nicht mehr gestellt werden.“

 

Sechs Monate gelten auch hier

 

§ 5 KSchG nennt eine Sechsmonatsfrist. Das mache deutlich, dass ein Arbeitgeber vor Ablauf dieser Frist nicht damit rechnen kann, keiner Kündigungsschutzklage mehr ausgesetzt zu werden. Bei einer ohne Zustimmung des Inklusionsamtes ausgesprochenen Kündigung habe der Arbeitgeber nicht damit rechnen können, keiner Kündigungsschutzklage mehr ausgesetzt zu werden.

 

Die ausstehenden Lohnansprüche standen dem Kläger ebenfalls zu. Er habe seine Arbeitskraft nicht ausdrücklich anbieten müssen. Dem Arbeitgeber obliege es, dem Arbeitnehmer für jeden Tag einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Spreche ein Arbeitgeber eine Kündigung aus, die sich im Nachhinein als unwirksam herausstelle, fehle es für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist an der erforderlichen Mitwirkungshandlung. Ein Angebot des Arbeitnehmers sei dann nicht erforderlich. Ein Leistungsunwille des Klägers war für das Gericht nicht erkennbar.

 

Mit seiner Klageerhebung im Juni 2023 habe der Kläger auch die vereinbarte Ausschlussfrist für Ansprüche ab dem 1. März 2023 gewahrt.

 

Alles richtig gemacht, hieß es am Ende!