Der 30-jährige Elektroanlagenmonteur stand schon seit zehn Jahren in einem Arbeitsverhältnis bei seinem Arbeitgeber. 2020 war es schon einmal zu einem Aufhebungsvertrag gekommen, man einigte sich anschließend jedoch zu einer Weiterbeschäftigung des Mannes als Servicetechniker.
Nachdem der Beschäftigte gegen Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen haben soll, vorher auch schon einschlägig abgemahnt war, kündigte der Arbeitsgeber das Arbeitsverhältnis im Frühjahr 2022. In der vom DGB Rechtsschutzbüro Berlin erhobenen Kündigungsschutzklage machte der Kläger geltend, er sei jung und unerfahren und in der Situation schlichtweg überfordert gewesen.
Der Kläger fühlte sich gemobbt
Weiter argumentierte er, sein Vorgesetzter habe ihn gemobbt. Der mache seit geraumer Zeit auch kein Geheimnis daraus, dass er ihn „loswerden" wolle. Deshalb habe sich der Kläger schon gegenüber dem Vorgesetzten und bei der Geschäftsführerin Personal mehrfach schriftlich beschwert und die Ombudsstelle des Unternehmens angerufen.
Das wiederum nahm der Arbeitgeber zum Anlass, bei Gericht im Rahmen des anhängigen Kündigungsschutzprozesses einen Auflösungsantrag zu stellen. Der Kläger habe unwahre Behauptungen über seinen Vorgesetzten aufgestellt und auch die Ombudsstelle der Firma angerufen. Eine „Anfeindung, Diskriminierung und Drohung durch den Arbeitgeber" habe die Ombudsfrau nicht erkennen können.
Das Gericht gab der Kündigungsschutzklage statt
Ein Kündigungsgrund liegt nicht vor, entschied das Arbeitsgericht. Nach dem Urteil ist eine Kündigung aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers, um das es hier geht, gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer mit dem ihm vorgeworfenen Verhalten eine Vertragspflicht schuldhaft erheblich verletzt, das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird und eine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung nicht besteht. Die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile muss darüber hinaus billigenswert und angemessen erscheinen. Eine Kündigung scheidet dagegen aus, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen von Seiten des Arbeitgebers, wie etwa eine Abmahnung, geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken.
Es gelte das Prognoseprinzip, so das Arbeitsgericht. Die Vertragspflichtverletzung müsse sich auch künftig belastend auswirken. Aus der konkreten Pflichtverletzung müsse daher zu schließen sein, dass der:die Arbeitnehmer:in auch in Zukunft seine Vertragspflichten verletze. Andernfalls müsse der Arbeitgeber zunächst ein milderes Mittel, nämlich die Abmahnung, wählen.
Den Arbeitsschutz hat der Arbeitgeber zu gewährleisten
Bei Verstößen gegen die Arbeitsschutzvorschriften sei es in erster Linie Aufgabe des Arbeitgebers, sicherzustellen, dass es dazu nicht komme. Wenn sich aus dem Verhalten des Arbeitnehmers ergebe, dass er in einschlägigen Situationen offensichtlich überfordert sei, müsse der Arbeitgeber durch geeignete Maßnahmen, etwa Nachschulungen, sicherstellen, dass Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten würden.
Eine Sanktionierung durch eine Kündigung könnte allenfalls dann die richtige Reaktion sein, wenn der Arbeitnehmer vorsätzlich und wiederholt Arbeitsschutzbestimmungen nicht beachte. Davon sei im Fall des Klägers keineswegs auszugehen.
Nach dem Eindruck, den das Gericht in beiden Kammerterminen vom Kläger erhalten hatte, ist dieser tatsächlich „jung und naiv". Die Beklagte sollte deshalb nach Auffassung der Richter:innen durch geeignete Nachschulungen sicherstellen, dass der Kläger zukünftig die Anforderungen und Herausforderungen des Arbeitsschutzes besser begreift und beachtet. Möglicherweise biete es sich auch an, dem Kläger eine andere Betreuungskraft zur Seite zu stellen, da die Kommunikation vorliegend gestört erscheine.
Der Auflösungsantrag der Beklagten ist unbegründet
Stellt das Gericht in einem Kündigungsrechtsstreit fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst worden ist, hat es nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer:in nicht erwarten lassen.
Nach der Grundkonzeption des Kündigungsschutzgesetztes führt eine unwirksame Kündigung zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Bezogen auf den Auflösungsantrag des Arbeitgebers werde dieser Grundsatz durch § 9 KSchG unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht, führt das Gericht im Urteil aus. Da hiernach eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nur ausnahmsweise in Betracht komme, seien an die Auflösungsgründe strenge Anforderungen zu stellen. Entscheidend sei, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertige, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet.
Rechtliches Gehör ist zu gewährleisten
Das Verhalten des Klägers im Kündigungsschutzprozess könne die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Nach dem Grundgesetz habe jedoch jede:r einen Anspruch auf rechtliches Gehör. Im Hinblick darauf dürfe alles vorgetragen werden, was prozesserheblich sein könne. Anerkannt sei insbesondere, dass ein Verfahrensbeteiligter starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen dürfe, um seine Rechtsposition zu unterstreichen. Das gelte selbst dann, wenn der Standpunkt auch vorsichtiger hätte formuliert werden können.
Das gilt freilich nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht, meint das Gericht. Zudem dürften die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liege.
Hier ist kein Auflösungsgrund gegeben
Die Vorwürfe des Klägers dürften überzogen sein. Doch sei zu beachten, dass die von der Beklagten dem Kläger vorgeworfenen Äußerungen dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit (Art 5 Abs. 1 GG) unterfielen und deshalb die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnten. Selbst eine Bezeichnung eines Vorgesetzten als „unterbelichteter Frauen- und Ausländerhasser" stelle nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine unzulässige Schmähkritik dar, auch nicht die Benennung als „Ausbeuter".
Eine besondere persönliche Zuneigung zum Arbeitgeber und dessen Bekunden schulde der:die Arbeitnehmer:in vertragsrechtlich nicht, sondern nur die Erfüllung des Arbeitsvertrages. Die Beklagte halte eine Ombudsstelle vor. Sie könne dem Kläger deshalb nicht vorwerfen, sich an diese gewandt zu haben. Zwar habe die Ombudsstelle keine Anfeindungen erkannt, dass der Kläger das möglicherweise anders sehe, rechtfertige aber keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Rechtliche Grundlagen
§ 9 KSchG; Art. 5 GG
(1) Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.
(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.
Art 5 GG Recht auf Meinungsfreiheit
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.