Der DGB Rechtsschutz Lüneburg vertritt einen Mann Mitte 50, der seit mehr als 30 Jahren in einem Produktionsbetrieb aus der Lebensmittelbranche arbeitet.

Im Januar diesen Jahres sprach der Arbeitgeber eine Kündigung aus. Dazu kam es, da der Mann eine Arbeitskollegin unangemessen angefasst hatte. Die Beiden befanden sich zusammen in einer Hygieneschleuse und der Mann hatte die Frau, als er hinter ihr herging, mit den Händen berührt. Sie sagt am Gesäß, er sagt an den Hüften.

 

Aufgrund des Alters und der langen Betriebszugehörigkeit des Mannes war das Arbeitsverhältnis nicht mehr ordentlich kündbar. Der Arbeitgeber hörte deshalb den Betriebsrat zu einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist an.  Dieser stimmte der Kündigung zu. Der Mann erhob Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Lüneburg.

 

Prüfung einer außerordentlichen Kündigung

 

Eine außerordentliche Kündigung ist nur wirksam, wenn ein wichtiger Grund zur Kündigung vorliegt. Das gilt auch, wenn wie hier ein Sonderkündigungsschutz besteht und eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist ausgesprochen wurde.

 

Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn das Vertragsverhältnis so schwer gestört wurde, dass es dem Kündigenden nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Dabei ist das Interesse der Gegenseite, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, zu berücksichtigen.

 

Sexuelle Belästigung als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung

 

Das Gericht hatte als erstes zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Eine sexuelle Belästigung ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten und ist an sich geeignet als wichtiger Grund eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

 

Die Richter*innen werteten das Verhalten des Klägers als sexuelle Belästigung. Eine solche liegt nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird (§ 3 Absatz 4 AGG). Darunter fallen auch körperliche Berührungen und sexuelle Bemerkungen. Schon einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen.

 

Kläger hat Arbeitskollegin körperlich belästigt

 

Bei der Entscheidung kam es nicht darauf an, ob der Kläger seine Arbeitskollegen tatsächlich am Gesäß getätschelt hat oder an der Hüfte berührt hat. Die Körpermitte einer Person gehört zur Intimsphäre des eigenen Körpers. Das ungewollte Berühren eines anderen Menschen an Gesäß oder Hüfte verletzt das Selbstbestimmungsrecht und damit das allgemeine Persönlichkeitsrecht.

 

Das Gericht klärte deshalb auch nicht auf, welche Absicht oder Motivation des Klägers hinter der Berührung gestanden hat. Soweit man ein solches Verhalten als Spaß bezeichne, mache diese Art der Relativierung deutlich, dass man das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Person gerade nicht respektiert. Und die Umstände ließen nicht den Schluss zu, die Kollegin werde das Verhalten des Klägers ebenfalls als Spaß betrachten oder aus sonst einem Grund akzeptieren. Eine nähere Beziehung zwischen den beiden Personen bestand auch nach dem eigenen Vortrag des Klägers nicht.

 

Prüfung der Verhältnismäßigkeit

 

Mit dem Ergebnis - eine sexuelle Belästigung liegt vor - war das Arbeitsgericht noch lange nicht mit seiner Arbeit durch. Es musste den Kündigungssachverhalt bewerten und dabei berücksichtigen, dass die außerordentliche Kündigung die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) sein muss. Eine Kündigung kommt nur dann in Betracht, wenn andere, nach den jeweiligen Umständen mögliche, mildere Mittel erschöpft oder nicht zumutbar sind. Das ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.

 

Im Kündigungsschutzrecht gilt das Prognoseprinzip. Die verhaltensbedingte Kündigung soll nicht ein Fehlverhalten aus der Vergangenheit ahnden. Ob eine Kündigung gerechtfertigt ist oder nicht bestimmt sich vielmehr danach, ob das Arbeitsverhältnis in der Zukunft störungsfrei fortgesetzt werden kann oder dies unmöglich bzw. unzumutbar ist.

 

Die Frage ist also, ob eine Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch noch zukünftig belastend auf das Arbeitsverhältnis auswirkt. Eine negative Prognose kann dabei regelmäßig nur gestellt werden, wenn der Arbeitnehmer das vertragswidrige Verhalten fortsetzt, obwohl der Arbeitgeber ihn zuvor ausdrücklichen abgemahnt hatte. Beruht das Fehlverhalten auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, muss man grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung einer Kündigung positiv beeinflusst wird.

 

Eine Abmahnung war nicht entbehrlich

 

Der Arbeitgeber hatte den Kläger zuvor nicht abgemahnt. Entbehrlich kann eine vorherige Abmahnung dann sein, wenn eine besonders schwerwiegende Vertragsverletzung vorliegt und dem Arbeitnehmer klar sein musste, damit seinen Arbeitsplatz aufs Spiel zu setzen. Einer Abmahnung bedarf es auch dann nicht, wenn bereits erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten auch nach einer Abmahnung in Zukunft nicht ändern wird.

 

Das Gericht berücksichtigte sämtliche Umstände des Einzelfalls und auch den ultima-ratio-Grundsatz. Danach hätte eine Abmahnung ausgereicht, um künftige Störungen dieser Art zu unterbinden. Dem Arbeitgeber sei es deshalb zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen, obwohl dieser die Kollegin sexuell belästigt hat.

 

Der Kläger hatte sich bei der Kollegin entschuldigt, nachdem sein Schichtleiter ihm Konsequenzen angekündigt hat. Weder Unrechtsbewusstsein noch Einsichtsfähigkeit fehle ihm also gänzlich. Ob er aus echter Reue oder auf Druck hin gehandelt habe, sei nicht entscheidend. Denn die Motivation des Arbeitnehmers, sein Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung zu ändern, sei letztlich unerheblich.

 

Würdigung der Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer

 

In die Gesamtwürdigung stellte das Gericht auch den Schweregrad der sexuellen Belästigung mit ein. Es stufte das Verhalten des Klägers als übergriffig ein, mit einer geringen Intensität bezogen auf die Körperlichkeit und ihre Auswirkungen.

 

Zu Gunsten des Klägers waren die vielen Jahre zu berücksichtigen, die er im Unternehmen tätig war und die ohne Beanstandungen waren.

 

Das Argument der Arbeitgeberseite, man müsse wegen der Außenwirkung auf die Belegschaft hart durchgreifen, ließ das Gericht nicht gelten. Denn auch eine Abmahnung sei kein rechtliches Nullum im Arbeitsverhältnis. Mahnt ein Arbeitgeber ein Verhalten ab, könne das nicht als Akzeptanz des pflichtwidrigen Verhaltens verstanden werden.

 

Urteil ist nicht rechtskräftig

 

Das beklagte Unternehmen hat sich mit der Entscheidung des Arbeitsgerichts Lüneburg nicht abgefunden und hat Berufung eingelegt.    

Das sagen wir dazu:

Es muss und sollte als eine Selbstverständlichkeit gelten, dass körperliche Berührungen nur einvernehmlich erfolgen dürfen, um nicht den Tatbestand der Belästigung zu erfüllen.“ So steht es im Urteil und dem kann man sich nur anschließen.

 

Das Arbeitsgericht hat bei der Frage, ob eine sexuelle Belästigung vorliegt, nicht lange gefackelt. Das ist auch gut so, weil man ein solches Verhalten wie das des Klägers nicht klein reden darf. Das war völlig inakzeptabel – Punkt! Ob der Kläger die Hüfte oder das Gesäß angefasst hat, ist irrelevant.

Man kann auch Zweifel haben, ob sein Verhalten freundschaftlich-kollegial motiviert war. Denn die beiden Menschen hatten nicht miteinander gesprochen und kannten sich auch kaum.

 

Gut ist aber auch, wenn ein Gericht dieses emotionsgeladene Thema sachlich angeht. Ausgangspunkt ist: Der Kläger hat den Tatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt. Damit ist man aber nicht durch, vielmehr sind viele andere Fragen zu beantworten: Gab es eine einschlägige Abmahnung? Wie gravierend war die Belästigung? War eine Abmahnung entbehrlich? Ist zu befürchten, dass der Kläger so etwas noch einmal tut? War der Kläger sich bewusst, seinen Job zu riskieren? Wie lange besteht das Arbeitsverhältnis schon?

 

Auch wenn es im Urteil und diesem Beitrag nicht viel mehr als ein Satz ist: Die über 30 Jahre, die der Kläger im Betrieb arbeitet, spielen eine große Rolle, wenn es darum geht, bei einer Kündigung alle Umstände abzuwägen. Mitte 50, ordentlich unkündbar – der Kläger würde einen großen sozialen Besitzstand verlieren, wenn die Kündigung für rechtens erklärt würde. Deshalb hat das Arbeitsgericht die vielen Fragen letztlich richtig beantwortet und den Kläger wegen der einmaligen Entgleisung nicht gleich in die Arbeitslosigkeit geschickt.

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

(1), (2), (3)
(4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.
(5)