Einmal war es der Wecker, der nicht läutete. Dann liefen die öffentlichen Verkehrsmittel nicht so wie sie sollten. Der 59-jährige Mitarbeiter eines Bewachungsunternehmens hatte deshalb auch nach mehreren Abmahnungen darum gebeten, ihn wohnortnäher einzusetzen. Der Arbeitgeber entschied sich dagegen, und hörte den Betriebsrat zur Kündigung an, die anschließend unmittelbar folgte.
Mit der vom DGB Rechtsschutzbüro Berlin erhobenen Klage argumentierte der Betroffene, jedenfalls sei die Kündigung bei einer 17-jährigen Betriebszugehörigkeit und einem Lebensalter von 59 Jahren und nur vier Verspätungen in der gesamten Zeit nicht verhältnismäßig. Und so sah es auch das Arbeitsgericht. Es hält die Kündigung für rechtsunwirksam, weil sie sozial ungerechtfertigt war. Sie ist aus Sicht des Arbeitsgerichts nicht durch Gründe gerechtfertigt, die im Verhalten des Klägers liegen.
Verspätungen können Kündigungsgrund sein
Wiederholte schuldhafte Verspätungen können als Vertragspflichtverletzungen nach vorheriger Abmahnung geeignet sein, eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen. Sind diese Verspätungen dem Beschäftigten vorwerfbar, sind im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere die Ursachen, die Häufigkeit und Dauer der Verspätungen sowie die unbelastete Dauer des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Von einem/einer einschlägig abgemahnten Arbeitnehmer:in kann ein erhöhtes Maß an Vorsorge erwartet werden, so das Arbeitsgericht zur Rechtslage.
Weiterhin seien die Auswirkungen auf den betrieblichen Ablauf zu beachten. Dazu muss eine umfassende Interessenabwägung durchgeführt werden. Die Interessenabwägung muss alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigen, die für und gegen eine Weiterbeschäftigung des/der Beschäftigten auf dem bisherigen Arbeitsplatz sprechen und vollständig und widerspruchsfrei sein. Da es um die soziale Rechtfertigung der Kündigung geht, können auch die sozialen Verhältnisse, also die soziale Schutzbedürftigkeit berücksichtigt werden. Welche Umstände jeweils gegeneinander abzuwägen sind, richtet sich unter anderem nach der Art des Kündigungsgrundes, so das Gericht.
Interessenabwägung umfasst die Umstände des Einzelfalls
Bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist das Interesse des/der Beschäftigten am Erhalt des Arbeitsplatzes bis zum regulären Ende des Arbeitsverhältnisses mit dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Ablauf der Kündigungsfrist abzuwägen. Sozial gerechtfertigt ist die Kündigung, wenn eine umfassende Interessenabwägung unter Berücksichtigung der relevanten Umstände des Einzelfalles ergibt, dass dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus unzumutbar ist.
Berücksichtigt werden müssten dabei vor allem das Gewicht und die Auswirkungen der Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens, eine mögliche Wiederholungsgefahr und auch die Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie dessen störungsfreier Verlauf.
Beschäftigungsjahre schlagen beim Kläger zu buche
Im Fall des Klägers war demnach zu prüfen, ob eine Kündigung nach der langen Dauer des Arbeitsverhältnisses und nur vier Verspätungen, die allerdings teilweise weit über einer Stunde lagen, verhältnismäßig war. Die Beklagte hatte dazu gemeint, auf Grund der Verspätungen des Klägers seien in den von ihr bewachten Objekten Betriebsablaufstörungen aufgetreten.
Das reichte dem Arbeitsgericht nicht. In 17 Beschäftigungsjahren sei der Kläger vier Mal zu spät gekommen. Die Verspätungen beliefen sich zwischen 15 und 105 Minuten. Dabei sei festzustellen, dass es in den Kalenderjahren 2020 bis 2023 jeweils nur zu einer Verspätung kam. Dies müsse die Beklagte (noch) hinnehmen. Bezogen auf die Gesamtbeschäftigungsdauer hielt das Arbeitsgericht die Anzahl der Verspätungen für äußerst gering. Zudem stellte es fest, dass es pro Jahr nur zu einer Verspätung gekommen war.
Der Blick ist in die Zukunft zu richten
Eine Zukunftsprognose könne daher auch nur dergestalt ausfallen, dass der Kläger in Zukunft auch etwa einmal pro Jahr verspätet zur Arbeit erscheinen wird. Es sei schlechterdings kein Arbeitsverhältnis denkbar, in welchem der/die Arbeitnehmer:in niemals zu spät kommt. Hierfür könnten verschiedene Faktoren eine Rolle spielen, so auch die vom Kläger ins Feld geführten Verzögerungen im Betriebsablauf der öffentlichen Verkehrsmittel. Auch könne es einmal passieren, dass ein Arbeitnehmer den Wecker nicht hört und verschläft. Gravierende Betriebsstörungen seien von der Beklagten nicht vorgetragen. Es handele sich lediglich um übliche Verzögerungen und übliche Folgen einer Verspätung. Auch diese seien - sofern sie nicht häufiger auftreten - noch hinzunehmen.
Das Gericht berücksichtigte dabei vor allem das Lebensalter des Klägers mit 59 Jahren. Der Kläger werde auf dem Arbeitsmarkt naturgemäß in diesem Alter nur noch geringere Beschäftigungschancen haben. Insgesamt erschien der Kammer die Kündigung deshalb als unverhältnismäßig. Gleichwohl sei nicht ausgeschlossen, dass - sofern sich Verspätungen des Klägers in der Zukunft häufen sollten, also häufiger auftreten sollten als bislang - die Beklagte das Mittel der verhaltensbedingten Kündigung erneut ergreifen könnte.
Ein Freibrief für‘s Verschlafen ist das natürlich nicht. Passieren kann das aber immer mal. Kommt das jedoch nicht oft vor, wäre es mit unserer Rechtsordnung nicht weit her, könnte man darauf schon eine Kündigung stützen. Bleibt zu hoffen, dass der Mann aus Berlin die restlichen Jahre in seinem Arbeitsverhältnis unbeschadet und einvernehmlich bis zum Renteneintritt verbringen kann.