Der angehende Konstruktionsmechaniker freut sich über den Erfolg beim Arbeitsgericht. © Adobe Stock: fizkes
Der angehende Konstruktionsmechaniker freut sich über den Erfolg beim Arbeitsgericht. © Adobe Stock: fizkes

Der 2003 geborene Kläger des Eilverfahrens vor dem Arbeitsgericht Braunschweig war als Auszubildender beschäftigt. Im September 2022 hatte er sein 42-monatiges Ausbildungsverhältnis zum Konstruktionsmechaniker begonnen. Gleich im November bewarb er sich um ein Mandat in der Jugend- und Auszubildendenvertretung. Die Wahl erfolgte am 23. November 2022, das Ergebnis verkündete der Wahlvorstand einen Tag später. Der junge Wahlbewerber wurde zum Ersatzmitglied gewählt.

 

Einen Monat später kam die fristlose Kündigung

 

Schon im Dezember kündigte der Arbeitgeber das Ausbildungsverhältnis fristlos währen der Probezeit. Zur Begründung führte er an, dass sich der Auszubildende in der Probezeit nicht bewährt und die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt habe.

Der Betroffene erhob Kündigungsschutzklage. Entscheiden wird das Arbeitsgericht hierüber jedoch erst im April 2023. Ein Antrag auf Erlas einer einstweiligen Verfügung sollte helfen. Gemeinsam mit der Juristin Kübra Bahadir vom DGB Rechtsschutzbüro Braunschweig stritt der Gekündigte im Wege des Eilrechtsschutzes um seine Weiterbeschäftigung bis feststehen würde, ob seine Kündigung rechtens erfolgt war.

 

Der Betroffene hielt seine Kündigung für rechtsunwirksam

 

Seiner Auffassung nach war die Kündigung im Hinblick darauf unwirksam, dass er zum Ersatzmitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung gewählt wurde und zuvor Wahlbewerber war. Außerdem habe er als Auszubildender ein besonderes Interesse an der tatsächlichen Beschäftigung. Andernfalls bestehe die Gefahr, erworbene Qualifikationen einzubüßen. Es drohe eine erhebliche Beeinträchtigung seiner beruflichen Entwicklung.

So sah es auch das Arbeitsgericht

 

Das Arbeitsgericht verurteilte den Arbeitgeber unter Androhung eines Zwangsgeldes dazu, den jungen Mann zu unveränderten Bedingungen als Auszubildenden zum Konstruktionsmechaniker weiterzubeschäftigen.

 

Nach § 940 ZPO sind einstweilige Verfügungen in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zur Regelung eines vorübergehenden Zustandes zulässig, sofern diese Regelung dazu nötig erscheint, wesentliche Nachteile zu vermeiden oder um eine drohender Gewalt zu verhindern. Dabei sind von dem Verfügungskläger sowohl ein Verfügungsanspruch als auch ein Verfügungsgrund glaubhaft zu machen.

 

Wer eine einstweilige Verfügung erwirken will, muss glaubhaft darlegen können, dass ein entsprechender Anspruch besteht. Das nennt man den Verfügungsanspruch. Der Verfügungsgrund ist demgegenüber das besondere Rechtschutzbedürfnis an der gerichtlichen Entscheidung im Eilverfahren.

 

Beschäftigungsanspruch ist nicht gleich Weiterbeschäftigungsanspruch

 

Beides, Verfügungsgrund und Verfügungsanspruch, lägen beim Betroffenen vor, so das Arbeitsgericht.

 

Im ungekündigten Arbeitsverhältnis bestehe ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch. Davon zu unterscheiden sei der Weiterbeschäftigungsanspruch nach Ausspruch einer Kündigung. Mit dem Kündigungstermin ende grundsätzlich auch das Recht auf Beschäftigung. Der Arbeitgeber habe ein schutzwürdiges Interesse daran, die Kündigung praktisch zu vollziehen.

 

Dieses Interesse müsse jedoch zurücktreten, wenn die gerichtliche Prüfung in erster Instanz zu dem Ergebnis komme, dass die Kündigung unwirksam sei. Deshalb könnten Betroffene ihren Weiterbeschäftigungsanspruch auch schon vor dem rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens gerichtlich verfolgen, indem sie erstinstanzlich für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag ihre Weiterbeschäftigung begehrten. Diese Grundsätze würden als Mindeststandard auch für Berufsausbildungsverhältnisse gelten.

 

Die offensichtliche Unwirksamkeit einer Kündigung gibt den Ausschlag

 

Vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag gelte das aber nur mit Einschränkungen. In diesem Zeitraum setze sich das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des*der Gekündigten dann nicht mehr gegen das Beschäftigungsinteresse durch, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam war. Eine derart unwirksame Kündigung entfalte keine Rechtswirkungen. Die Interessenlage der Arbeits- bzw. Ausbildungsvertragsparteien entspreche dann derjenigen im ungekündigten Arbeits- und Ausbildungsverhältnis.

 

Im Eilverfahren erfolge grundsätzlich ebenso wie im Hauptsacheverfahren eine volle Rechtsprüfung. Das Gericht nehme dabei eine summarische Sachprüfung vor, indem wegen der Eilbedürftigkeit des Verfahrens insbesondere die Beweisführung erleichtert sei.

 

Eine einstweilige Verfügung auf Weiterbeschäftigung komme deshalb vor Erlass einer erstinstanzlichen Entscheidung über eine Kündigung nur im Fall einer offensichtlich unwirksamen Kündigung in Betracht. Zugleich müssten besondere schutzwürdige Belange des*der Gekündigten vorliegen, die das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung im Einzelfall überwiegen. Beide Voraussetzungen müssten im Eilverfahren gemeinsam erfüllt sein; denn das Bestehen eines Weiterbeschäftigungsanspruchs allein genüge noch nicht.

 

Die Unwirksamkeit der Kündigung muss sich aufdrängen

 

Diese Voraussetzungen lägen beim Verfügungskläger vor, so das Arbeitsgericht. Die Kündigung sei offensichtlich unwirksam. Es bestehe darüber hinaus ein besonderes Interesse des Auszubildenden an einer Weiterbeschäftigung.

 

Eine offensichtlich unwirksame Kündigung, die einen Verfügungsanspruch begründe, liege vor, wenn sich schon aus dem eigenen Vortrag des Arbeitgebers ohne Beweiserhebung und ohne, dass ein Beurteilungsspielraum gegeben wäre, jedem Kundigen die Unwirksamkeit der Kündigung geradezu aufdrängen müsse. Die Unwirksamkeit der Kündigung müsse also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und in tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage treten.

 

Das sei der Fall, wenn sich bei feststehendem Sachverhalt die Rechtsfolge der Unwirksamkeit oder Nichtigkeit der Kündigung unzweifelhaft unmittelbar aus dem Gesetz ergebe. Nach dem Kündigungsschutzgesetz sei die Kündigung von Wahlbewerber*innen zur Wahl der Jugend- und Auszubildendenvertretung innerhalb von sechs Monaten nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorlägen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigten.

 

Der Verfügungskläger war Wahlbewerber

 

So liege der Fall beim Verfügungskläger. Bei diesem habe es zwar die Besonderheit gegeben, dass der Mann sich bei seiner rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des Kündigungsschutzgesetzes auf den besonderen Kündigungsschutz für Wahlbewerber berufen hatte. Das bleibe jedoch ohne Konsequenz, entschied das Gericht; denn gem. § 6 KSchG könnten nach fristgerechter Erhebung der Kündigungsschutzklage im weiteren Verlauf des Kündigungsschutzverfahrens in erster Instanz noch alle weiteren Unwirksamkeitsgründe geltend gemacht werden.

 

Auch liege das zusätzlich erforderliche überwiegende Beschäftigungsinteresse des Verfügungsklägers vor. Ein mögliches Interesse des Arbeitgebers sei nämlich nicht schützenswert.

 

Fehlzeiten verhindern den Ausbildungserfolg

 

Der besondere Zweck der Ausbildung verstärke außerdem das Interesse des Auszubildenden an einer Weiterbeschäftigung. Bei einer Ausbildungsdauer von 42 Monaten fielen bereits kürzere Fehlzeiten stark ins Gewicht. Sie könnten einen späteren Anschluss bei Wiederaufnahme der Ausbildung nach einer längeren Unterbrechung unmöglich machen.

 

Der Auszubildende, welcher nicht nur geringfügige Fehlzeiten, sondern Fehlzeiten von mehr als 10% der Ausbildungszeit im Verlauf des Ausbildungsverhältnisses aufweise, erhalte die Zulassung zur Abschlussprüfung nicht. Der alleinige Besuch der Berufsschule bei fehlender Beschäftigung im Betrieb genüge zum Erreichen des Ausbildungsziels nicht.

 

Ein weiterer Erfolg des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes. Es lohnt sich, Mitglied in einer Gewerkschaft des DGB zu sein!

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 940 ZPO; 6 KSchG

§ 940 Einstweilige Verfügung zur Regelung eines einstweiligen Zustandes

Einstweilige Verfügungen sind auch zum Zwecke der Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, sofern diese Regelung, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

§ 6 Verlängerte Anrufungsfrist

Hat ein Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung im Klagewege geltend gemacht, dass eine rechtswirksame Kündigung nicht vorliege, so kann er sich in diesem Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz zur Begründung der Unwirksamkeit der Kündigung auch auf innerhalb der Klagefrist nicht geltend gemachte Gründe berufen. Das Arbeitsgericht soll ihn hierauf hinweisen.