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Für Ausbildungen ist das Berufsbildungsgesetz (BBiG) anwendbar. Eine Kündigung ist außerhalb der Probezeit nicht so einfach möglich.

 

Ausbildungsverhältnisse sind besonders geschützt

 

Entweder wollte Tanjas Ausbilderin sie täuschen, oder sie kannte die Rechtslage nicht. Sie kündigte fristlos mit den Worten „innerhalb der Probezeit“. Eine Probezeit muss gemäß § 20 BBiG mindestens einen Monat und höchstens 4 Monate betragen. Und nur während dieser Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden. Hintergrund ist, dass sich jeder der Parteien vor der Bindung an die Ausbildungszeit von dem Ausbildungsverhältnis loslösen kann. Danach kann der/die Auszubildende noch fristgemäß mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen kündigen, wenn er/sie sich vom Beruf lösen will. Der Ausbilder / die Ausbilderin kann nur noch unter Einhaltung bestimmter Formvorschriften und mit wichtigem Grund kündigen.

 

Klage beim Arbeitsgericht?

 

Tanja will sich wehren. Sie hat sich nichts zu Schulden kommen lassen. Ihre Schüchternheit und sehr zurückhaltende Art war ja durch Praktikum und Probezeit hinlänglich bekannt.

 

Hier ist eine etwas versteckte Vorschrift zu beachten und zwar § 111 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz. Danach sind grundsätzlich von den zuständigen Stellen, z.B. hier den Handwerksinnungen, Ausschüsse für Streitigkeiten in Ausbildungsverhältnissen zu errichten, die bei Streitigkeiten (nicht nur bei einer Kündigung) vor einer Klage einzuschalten sind.

Da sich wegen des drohenden Ablaufs der dreiwöchigen Klagefrist nicht eindeutig klären ließ, ob ein solcher Ausschuss besteht, wurde vorsorglich auch Klage beim Arbeitsgericht eingereicht. Das Gerichtsverfahren wird dann in der Regel zum Ruhen gebracht, weil definitiv das Verfahren vor dem Ausschuss Vorrang hat. Den Ausschuss gab es bei Tanja. Aber es wurde erst zwei Monate nach Einreichung des Antrags ein Termin bestimmt.

 

Arbeitsgericht war schneller

 

Beim Arbeitsgericht wurde routinemäßig einfach Gütetermin anberaumt. Die Ausbilderin hat sich mittlerweile rechtlich beraten lassen und es folgte eine weitere Kündigung, diesmal mit Begründung durch den Rechtsbeistand.

 

Tanja möchte die Ausbildung sehr gerne weitermachen, aber noch eine so lange Zeit in einem Kleinstbetrieb, wenn zu erwarten ist, dass sie dort nun unter Druck gesetzt wird und nur auf Unzulänglichkeiten gewartet wird, das wird schwierig.

 

Im Gerichtstermin wurde dann auch alles aufgezählt, was sie mittlerweile können müsste und angeblich nicht kann. Das war unschön. Die rechtliche Lage sprach für uns und wir hielten es für einen Kompromiss, wenn Tanja für mehrere Monate freigestellt wird, die Vergütung erhält, weiter in die Berufsschule gehen kann und vielleicht so einen anderen Betrieb findet, wo sie die Ausbildung fortsetzen kann.

Nach vielem Hin- und Her, wurde dieser Vergleich auf Widerruf geschlossen.

 

Tanja ist die Zeit zu kurz

 

Tanja und ihre Eltern hatten erreicht, dass sie jetzt während der schwebenden Zeit weiter in die Berufsschule gehen kann. Aber ein neuer Ausbildungsbetrieb ist nicht in Sicht. Der Vergleich wurde von ihr widerrufen, weil ihr die Zeitspanne der Freistellung zu kurz war. Sie wünschte sich die Frist noch um zwei Monate zu verlängern, was die Ausbilderin ablehnte.

 

Aufforderung die Ausbildung fortzusetzen

 

Die Prozessvertreterin der Ausbilderin forderte dann Tanja schriftlich auf, die Ausbildung wieder aufzunehmen. Das überraschte. Wir fragten, was denn mit den beiden Kündigungen sei, ob nun erklärt würde, dass aus ihnen keine Rechte hergeleitet werden. Dem war aber nicht so. Das Risiko, ohne Arbeitsleistung Vergütung zahlen zu müssen, wolle man nicht auf sich nehmen, aber weiter um die Kündigungen streiten.

 

Widersprüchliches Verhalten der Ausbilderin

 

Wir wiesen darauf hin, dass das rechtlich nicht geht. Wer fristlos kündigt, erklärt damit, dass eine Fortsetzung der Ausbildung unzumutbar ist. Er verhält sich deshalb widersprüchlich, wenn er den Auszubildenden weiter beschäftigt.

 

Doch die Hinweise verhallten, Tanja wurde zunächst weiterbeschäftigt.

 

Wir brachten diese Entwicklung dem Ausschuss zur Kenntnis.

 

Ausschuss erklärt das Verfahren für erledigt

 

Der Ausschuss fackelte nicht lange, sondern erklärte das Verfahren für erledigt und sagte den Termin ab. Zum einen scheitere die erste Kündigung daran, dass sie nicht innerhalb der Probezeit erfolgte und keine vom Gesetz vorausgesetzte notwendige Begründung enthielt. Die weitere Kündigung durch die Rechtsanwältin enthielt zwar eine Begründung, die Ausspruchsfrist des § 22 Abs. 4 BBiG wurde jedoch nicht gewahrt. Genau wie bei fristlosen Kündigungen muss ein wichtiger Grund vorliegen und der darf dem Kündigungsberechtigten nicht länger als zwei Wochen bekannt sein. In diesem Zeitraum konnte Tanja aber gar keine Fehler mehr gemacht haben, weil sie von der Ausbilderin schon mit der ersten Kündigung nach Hause geschickt worden war. Und selbst, wenn die Ausbilderin diese Hürde genommen hätte, sei ihr Verhalten widersprüchlich und durch die Aufforderung und Wiederaufnahme der Ausbildung sei das Ausbildungsverhältnis fortgesetzt.

Das Verfahren wäre erledigt, die Parteien sollten sich auf die geschilderte Rechtslage einstellen. Im Text stand zwar kein: basta !!!, aber es las sich so.

 

Ausbilderin stimmt Vergleich zu

 

Die resolute Erklärung des Ausschusses entspricht sicher der Rechtslage. Ob eine einfach Einstellung des Verfahrens ohne Verhandlung und ohne entsprechendem Beschluss, wie er gem. § 111 ArbGG vorgesehen ist, möglich war, muss nicht weiter überprüft werden. Die Ausbilderin akzeptierte nun den zuvor vorgeschlagenen geänderten Vergleich mit zwei Monaten längerem Bestand des Ausbildungsverhältnisses. Wirtschaftlich für sie sicher noch immer eine günstige Lösung, aber noch auf den Bestand des Ausbildungsverhältnisses zu pochen, schien keine Lösung zu sein. Es musste befürchtet werden, dass Tanja über diese Situation krank würde und da die Ausbildung noch über zwei Jahre dauern würde, sollte man das nicht riskieren.

Der Vergleich enthielt noch eine Turboklausel, wonach Tanja, falls sie einen neuen Betrieb findet, sofort wechseln kann und die der bisherigen Ausbilderin ersparte Vergütung dann als Abfindung erhält. 

Das sagen wir dazu:

Zähne zusammenbeißen hätte hier nicht gereicht. Wenige Monate vor der Abschlussprüfung hätte vielleicht noch der alte Spruch gegolten „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Aber hier hätte man Tanja ins Feuer geschickt, in den Augen ihrer Ausbilderin traten die behaupteten Defizite immer mehr in den Vordergrund. Und es mag sein, dass Tanja trotz Engagement sich mit manchem schwer getan hat. Es hinterlässt aber einen bitteren Geschmack, wenn sie für das Praktikum gut genug war und man dann noch fünf Monate wartet und sie nach Hause schickt.