Die Bildung von Altersgruppen bei der Sozialauswahl vor betriebsbedingten Kündigungen verstößt nicht gegen das Verbot der Altersdiskriminierung im Unionsrecht.
Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zugrunde?
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte über die Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin zu entscheiden. Die 1971 geborene Klägerin war seit 1999 als gewerbliche Produktionsmitarbeiterin in einem Unternehmen beschäftigt, das Tiernahrung herstellt. Ihr Betrieb beschäftigte 242 Mitarbeiter, davon 168 gewerbliche Arbeitnehmer in der Produktion.
Ihre Arbeitgeberin plante einen betriebsbedingten Stellenabbau. Dazu vereinbarte sie am 24.07.2008 mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich, einen Sozialplan sowie eine Auswahlrichtlinie. In der Auswahlrichtlinie war vereinbart, dass die zu kündigenden Mitarbeiter so auszuwählen sind, dass die betriebliche Altersstruktur des Personals, untergliedert in die Altersgruppen 25 - 34, 35 - 44, 45 - 54 und 55 sowie älter erhalten bleibt.
Dem Interessenausgleich war eine Namensliste von 31 zu kündigenden Arbeitnehmern beigefügt, darunter auch derjenige der Klägerin.
Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 31.10.2008. In ihrer Kündigungsschutzklage rügte die Klägerin unter anderem, die Bildung der Altersgruppen in den Auswahlrichtlinien sei willkürlich gewesen. Der Zuschnitt der Altersgruppen führe zu einer Schlechterstellung jüngerer Arbeitnehmer. Das Arbeitsgericht wies die Klage allerdings ab. Auch in der zweiten Instanz wie das Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln, Urteil vom 14.08.2009, - 11 Sa 320/09) die Berufung der Klägerin zurück.
Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?
Auch in der Revision blieb die Kündigungsschutzklage erfolglos. Das Bundesarbeitsgericht entschied, wie die Vorinstanzen, dass die Bildung von Altersgruppen in der Auswahlrichtlinie nicht gegen das europarechtliche Verbot der Altersdiskriminierung verstößt.
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) muss der Arbeitgeber bei betriebsbedingten Kündigungen zwischen Beschäftigten mit vergleichbarer Tätigkeit eine Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten vornehmen. Einer der in § 1 Abs. 3 KSchG genannten Gesichtspunkte ist das Lebensalter. Die Regelung zielt darauf ab, ältere Arbeitnehmer wegen schlechterer Chancen auf eine neue Anstellung bei Kündigungen zu schützen.
Zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur im Betrieb könne der Arbeitgeber die Sozialauswahl auch innerhalb von Altersgruppen - etwa der der 21 bis 30 Jahre alten, der der 31 bis 40 Jahre alten Arbeitnehmer usw. vornehmen. Das Lebensalter sei dann nur im Rahmen der jeweiligen Gruppe von Bedeutung. Die Regelung im KSchG verstößt nach Einschätzung des BAG nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und seine Ausgestaltung in der Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000 (so genannte Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie).
Die Einteilung in Altergruppen führt zwar zu einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters. Diese sei aber durch rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Buchst. a) der Richtlinie gerechtfertigt. Einerseits tragen die Regelungen den mit steigendem Lebensalter regelmäßig sinkenden Chancen auf dem Arbeitsmarkt Rechnung. Andererseits wirke die Möglichkeit der Bildung von Altersgruppen auch zugunsten der jüngeren Arbeitnehmer, da sie verhindert, dass ausschließlich ältere Beschäftigte bei der Sozialauswahl bevorzugt werden.
Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:
Das BAG stellt einmal mehr darauf ab, dass eine Altersdiskriminierung durch rechtmäßige Ziele kompensiert werden kann.
Das Arbeitsgericht Siegburg (2 Ca 2144/09) hatte eine ähnliche Konstellation dem EuGH vorgelegt. Nachdem die Meinungen ausgetauscht waren und der EuGH durchblicken ließ, wie er gedenkt zu entscheiden, haben sich die Parteien geeinigt. Einer Entscheidung des EuGH bedurfte es daher nicht mehr (leider).
Auf der einen Seite besteht Interesse an einer ausgewogenen Altersstruktur. Auf der anderen Seite wird damit der ältere Arbeitnehmer mit den schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt. Durch Excelltabellen ist es möglich, die Altersgruppen so zu bilden, dass auch unliebsame Arbeitsnehmer in der entsprechenden Gruppe landen und daher von einer Kündigung betroffen sind.
Die Ungleichbehandlung durch die Bildung von Altersgruppen dient in erster Linie einem betriebs- und damit unternehmensbezogenen Zweck. Nach meinem Dafürhalten liegt ein Verstoß gegen Europarecht vor. Der EuGH hatte am 05.03.2009 ( C-388/07) entschieden, dass eine Ausnahme zum Verbot der Altersdiskriminierung nur durch sozialpolitische Ziele wie Beschäftigungspolitik Arbeitsmarkt oder beruflicher Bildung gerechtfertigt sein kann. Also Ziele mit Allgemeininteresse im Vordergrund stehen und nicht die Interessen eines Unternehmens. Es ist zu wünschen, dass dem EuGH die Frage der Altersgruppenbildung nochmals vorgelegt wird.
Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 15.12.2011, Az: 2 AZR 42/10