So endet ein Betriebliches Eingliederungsmanagement im Idealfall. Copyright by Adobe Stock/studiostoks
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Mit der Problematik „Betriebliches Eingliederungsmanagement“ (BEM) hat sich das Landesarbeitsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 20. November 2019 beschäftigt.


Der Arbeitnehmer ist häufig krank

Ein „Mitarbeiter Food“ ist seit 1999 bei einem Großhandelsunternehmen beschäftigt. In den Jahren 2014 - 2017 war er immer wieder arbeitsunfähig krank. Teilweise über mehrere Monate hinweg. Insbesondere bestand in dem Jahr nach dem 19. März 2015 Arbeitsunfähigkeit von weit mehr als sechs Wochen.


Der Arbeitgeber will das Arbeitsverhältnis beenden

Im März 2015 sowie im  September 2016 fanden auf Einladung des Arbeitgebers Gespräche mit dem Kläger im Rahmen eines BEM statt.
Mit Schreiben vom 24. August 2017 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 28. Februar 2018. Er war der Ansicht, die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung seien gegeben.
Der „Mitarbeiter Food“ erhob dagegen Kündigungsschutzklage. Im Prozess vor dem Arbeitsgericht hat ihn Rechtsschutzsekretärin Sarah Riefer vom Hamburger Büro der DGB-Rechtsschutz GmbH vertreten. Sie empfahl dem Kläger auch, Berufung zum Landesarbeitsgericht einzulegen, nachdem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hatte.

Die Rechtslage (1)

Soll eine krankheitsbedingte Kündigung „Erfolg“ haben, müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

  • Die krankheitsbedingten Fehlzeiten müssen eine negative Zukunftsprognose zulassen.
  • Aufgrund der Fehlzeiten müssen beim Arbeitgeber erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen auftreten.
  • Die Kündigung muss verhältnismäßig sein.


Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes (1)

Im Hinblick auf die erste Voraussetzung geht das Landesarbeitsgericht davon aus, dass die Fehlzeiten des Klägers eine negative Zukunftsprognose rechtfertigen.
Dagegen ist das Gericht der Auffassung, dass der Arbeitgeber die erhebliche Beeinträchtigung von bis betrieblichen Interessen nicht plausibel vorgetragen hat. Deshalb ist die Kündigung bereits aus diesem Grund unwirksam. Dessen ungeachtet befasst sich das Landesarbeitsgericht darüber hinaus noch ausführlich damit, ob die Kündigung auch am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitert. In diesem Zusammenhang geht es um die Frage, ob der Arbeitgeber ein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt hat.


Die Rechtslage (2)

Nach dem Sozialgesetzbuch IX besteht eine Sonderregelung für den Fall, dass Arbeitnehmer*innen innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. In diesen Fällen muss der Arbeitgeber mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten klären,  „ . . .wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.“
Diesen Klärungsprozess nennt man BEM.
Ist danach im konkreten Fall ein BEM erforderlich, muss der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess darlegen, dass die Kündigung verhältnismäßig war, weil sie das mildeste Mittel darstellte. Zu diesem Zweck muss er vortragen, dass er ein ordnungsgemäßes BEM durchgeführt hat.
Entscheidend für die Antwort auf die Frage, ob ein ordnungsgemäßes BEM stattgefunden hat, ist, ob

  • eine ordnungsgemäße Einladung vorliegt,
  • das Eingliederungsgespräch ordnungsgemäß verläuft und
  • das BEM-Verfahren ausnahmsweise entbehrlich war.


Die ordnungsgemäße Einladung

Eine Einladung zu einem BEM ist nur ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber auf dessen Ziele hinweist und über Art, Umfang und Zweck der dabei erhobenen Daten informiert.
Wesentliches Ziel eines BEM ist nach dem Bundesarbeitsgericht die Klärung,  „ . . . wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann.“ 
Der Kläger hätte also darüber informiert werden müssen, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren stattfinden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann.
Darüber hinaus muss der Arbeitgeber bereits im Einladungsschreiben klarstellen, dass er nur solche Daten erhebt, die erforderlich sind, um ein BEM durchführen zu können, das zu dem oben beschriebenen Ziel führt.
Außerdem muss der Arbeitgeber darauf hinweisen, dass die Teilnahme am BEM freiwillig ist.


Das ordnungsgemäße Gespräch

Voraussetzung dafür ist, dass beide Seiten in dem Gespräch nach Möglichkeiten suchen, wie sie die Arbeitsunfähigkeit überwinden oder ihr vorbeugen können. Diese Suche muss ergebnisoffen und konstruktiv sein. Die Arbeitnehmer*innen sind in das Verfahren einzubeziehen.


Die Entbehrlichkeit des BEM

Ein BEM ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn von vornherein offensichtlich ist, dass es keinen Erfolg haben wird. Dass also angesichts der konkreten Umstände und der Art der Erkrankung selbst ein ordnungsgemäßes BEM kein positives Ergebnis hätte bringen können. Ist dies der Fall, darf dem Arbeitgeber kein Nachteil dadurch entstehen, dass er das BEM nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat.


Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts (2)

Zunächst stellt das Landesarbeitsgericht klar, dass es alleine das BEM-Gespräch vom 12. Oktober 2016 ankommt. Das Gespräch vom 19. März 2015 kann außer Betracht bleiben, weil der Kläger im darauffolgenden Jahr (ebenfalls) mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig krank war.
Zum Gespräch vom 12. Oktober 2016 hat der Arbeitgeber nach Auffassung des Landesarbeitsgerichtes nicht ordnungsgemäß eingeladen. Er habe den Kläger weder über die Freiwilligkeit des BEM informiert, noch über den Umgang mit seinen Daten. Auch über die Ziele des BEM habe er den Kläger nicht ausreichend in Kenntnis gesetzt. Zwar habe der Arbeitgeber darauf hingewiesen, es gehe darum, zu  „ . . . prüfen ob wir durch geeignete Maßnahmen . . . aktiv zu einer nachhaltigen Verbesserung ihres Gesundheitszustandes beitragen können.“
Dabei habe der Kläger aber nicht erkennen können, dass es um einen aktiven Suchprozess gehe, in den er eigene Vorstellungen einbringen könne.
Auch das Eingliederungsgespräch selbst ist nach Auffassung des Landesarbeitsgerichtes nicht ordnungsgemäß verlaufen. Das Gericht führt dazu aus:  „ Welche Abhilfe Maßnahmen und welche alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten besprochen worden sein sollen, wie sich konkrete offene Suchprozess, den das Gesetz verlangt, gestaltet haben soll, ist aus dem Vortrag der Beklagten hierzu nicht ersichtlich.“
Ein Ausnahmefall, in dem ein BEM entbehrlich wäre, liegt nach Auffassung der Berufungsrichter*innen nicht vor. Denn ein BEM war im Fall des Klägers nicht von vornherein aussichtslos. Möglich wäre nämlich gewesen, dass der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnimmt. Dafür, dass eine solche Maßnahme von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, sah das Landesarbeitsgericht keine Anhaltspunkte.
 

Das Ergebnis

Damit steht fest, dass der Arbeitgeber weder ordnungsgemäß zum BEM eingeladen, noch das Gespräch ordnungsgemäß geführt hat. Daraus folgt allerdings noch nicht unmittelbar die Unwirksamkeit der Kündigung. Vielmehr führen die Fehler des Arbeitgebers dazu, dass er darlegen muss, warum ein milderes Mittel als die Kündigung nicht möglich sein soll. Da aber eine Rehabilitationsmaßnahme ein solches milderes Mittel ist, hätte er vortragen müssen, dass und warum die Maßnahme keinen Erfolg haben wird. Da ein solcher Vortrag nicht erfolgt ist, hat der Arbeitgeber seiner Darlegungslast nicht genügt. Die Kündigung ist damit (auch) deshalb unwirksam, weil sie gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (Artikel 1 des Gesetzes v. 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3234) (Neuntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB IX)
§ 167 Prävention
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(2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter ist zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die Rehabilitationsträger oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Diese wirken darauf hin, dass die erforderlichen Leistungen oder Hilfen unverzüglich beantragt und innerhalb der Frist des § 14 Absatz 2 Satz 2 erbracht werden. Die zuständige Interessenvertretung im Sinne des § 176, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt.