Wer bedrohlich schaut, droht nicht unbedingt schon. Respekt vor seinen Mitmenschen sollte aber jede/r haben, ob Vorgesetzter oder nicht. Copyright by Adobe Stock/DDRockstar
Wer bedrohlich schaut, droht nicht unbedingt schon. Respekt vor seinen Mitmenschen sollte aber jede/r haben, ob Vorgesetzter oder nicht. Copyright by Adobe Stock/DDRockstar

Arbeitgeber und Vorgesetzte haben es oft nicht gerne, wenn die Beschäftigten ein Verhalten zeigen, das aus ihrer Sicht von „mangelndem Respekt“ zeugt. Freilich ist gegenseitiger Respekt auch Teil der arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Das LAG Rheinland-Pfalz hat vor einiger Zeit etwa eine Abmahnung für gerechtfertigt gehalten, weil ein Betriebsratsvorsitzender einen Vorgesetzten aus Verärgerung ein "Scheisswochenende" gewünscht hatte.

Vgl. Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. August 2011  - 3 Sa 150/11- Juris

Eine Abmahnung ist lediglich eine Erklärung, dass man ein bestimmtes Verhalten für nicht in Ordnung hält. Sie ist im Arbeitsverhältnis nach gängiger Rechtsprechung lediglich dann unzulässig, wenn sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Anders sieht es bei Kündigungen aus. Fristlos, also außerordentlich, können Arbeitgeber oder Arbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis nur kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, wegen dem einem der Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Das ist in § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) geregelt.

Wer außerordentlich kündigen will, braucht einen Grund „an sich“ und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses darf nicht zumutbar sein

Kündigt ein Arbeitgeber und klagt der Arbeitnehmer dagegen, muss ein Arbeitsgericht  - nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts- zunächst prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht. Es ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abwägen.  
Unsere Kolleg*innen in Augsburg hat ein Fall beschäftigt, in dem es darum ging, ob eine Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis außerordentlich kündigen kann, weil sie etwas zart besaitet ist und deshalb das respektlose Verhalten eines ihrer Beschäftigten als bedrohlich empfunden hat.

Herr Deutlich wehrt sich dagegen, dass er häufig am Mittwoch nicht eingesetzt wird, weil er dann weniger Geld verdient

Frank Deutlich (Name von der Redaktion geändert) ist als studentische Hilfskraft am Empfangstresen einer radiologischen Praxis beschäftigt. Diese wir von sechs Ärzt*innen betrieben, unter anderem von Frau Dr. Pawlow (Name ebenfalls von der Redaktion geändert). Herr Deutlich wird wöchentlich etwa sechs bis zehn Stunden eingesetzt und erhält ein Arbeitsentgelt von durchschnittlich 300 Euro im Monat.
Er ist der Auffassung, dass ihm ein Anspruch auf fixe Wochentage für seine Tätigkeit - nämlich Mittwoch und Samstag - zusteht. Weil er gelegentlich am Mittwoch nicht zum Dienst eingeteilt wird, suchte er immer wieder das Gespräch mit seinen Vorgesetzten, insbesondere mit Frau Dr. Pawlow.

Im September 2019 hat Frank Deutlich Frau Dr. Pawlow gezielt auf einem Flur in der Praxis abgefangen, den Weg versperrt und sie am Weitergehen gehindert. Nach Darstellung der Ärztin soll er sich im kürzest möglichen Abstand vor ihr aufgebaut und sie den gesamten Gesprächsverlauf über auf eine enorm bedrohliche Art und Weise angeschaut haben. Gegenstand des Gesprächs sei erneut die von Herrn Deutlich gewünschte Dienstplaneinteilung gewesen. Darüber hinaus habe er sich über Frau Dr. Pawlow sinngemäß dergestalt abfällig geäußert, dass diese kein Rückgrat habe. Frau Dr. Pawlow habe diese Situation als äußerst bedrohlich empfunden.

Wer für zart besaitete Personen bedrohlich wirkt, begeht noch keine Verletzung des Arbeitsvertrages

Da Herr Deutlich bereits zuvor wegen seines Verhaltens während eines Gesprächs zum selben Thema abgemahnt worden war, kündigten die Ärzt*innen das Arbeitsverhältnis nunmehr fristlos. Hilfsweise kündigten sie zudem mit ordentlicher Kündigungsfrist, falls das Gericht zu der Auffassung käme, eine fristlose Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Frank Deutlich zog mithilfe unseres Büros in Augsburg vor das Arbeitsgericht und gewann.

Das Gericht war zwar davon überzeugt, dass das Verhalten des Frank Deutlich als unangemessen erachtet und bedrohlich wirken könnte. Zudem sei den Beklagten zuzugeben, dass er mit Nachdruck versuche, seinen Standpunkt und sein Anliegen zu vertreten. Auch im Rahmen der mündlichen Verhandlungen habe er sich der in seinem Redefluss nicht bremsen können. Diesen habe er noch mit zahlreichen Gesten wie erhobenem Zeigefinger und Ähnlichem unterstützt. Dies wirke, auch wenn seine Eigenwahrnehmung eine andere sein möge, äußerst befremdlich und könne auch für eine zart besaitete Person als Bedrohung empfunden werden. Objektiv betrachtet ließe sich aber ein konkretes Fehlverhalten des Klägers schwerwiegender Art nicht feststellen.

Da Herr Deutlich bereits mehr als sechs Monate in der Praxis beschäftigt war und dort auch mehr als zehn Arbeitnehmer*innen beschäftigt werden, konnte er sich auch gegen die ordentliche Kündigung wehren. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung sei nach Auffassung des Gerichts sozial nicht gerechtfertigt. Der von den Beklagten vorgetragene Sachverhalt ließe keinen arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß des Klägers erkennen. Somit sei auch diese Kündigung unwirksam.
 
Arbeitsgericht Augsburg, Urteil vom 16. März 2020 - 3 Ca 2478/19

Rechtliche Grundlagen

§ 626 BGB
Fristlose Kündigung aus wichtigem Grund

(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.