Bundesarbeitsgericht: Fehlerhafte Unterrichtung des Betriebsrats kann geheilt werden
Bundesarbeitsgericht: Fehlerhafte Unterrichtung des Betriebsrats kann geheilt werden

Bei Massenentlassungen muss der Betriebsrat auch über die betroffenen Berufsgruppen informiert werden. BAG: Grundsätzlich ja, aber nicht in jedem Fall!

Bei einer beabsichtigten Massenentlassung muss der Betriebsrat auch über auf die betroffenen Berufsgruppen informiert werden. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 Kündigungsschutzgesetz - KSchG wonach sich die Unterrichtung des Betriebsrats im Rahmen des Konsultationsverfahrens auch auf die betroffenen Berufsgruppen beziehen muss. Wird jedoch die Entlassung aller Arbeitnehmer*innen wegen Stilllegung des Betriebs beabsichtigt, so kann eine unterbliebene Unterrichtung über die Berufsgruppen durch eine abschließende Stellungnahme des Betriebsrats geheilt werden. Dieser muss zu entnehmen sein, dass der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht. 

Mit dieser Begründung wies das Bundesarbeitsgericht die Klage einer Produktionsmitarbeiterin ab, die ihre Kündigung  wegen fehlerhafter Durchführung des Konsultationsverfahrens für unwirksam hielt.

Insolvenzverwalter beschließt Stilllegung des Betriebs. Fehlerhafte Unterrichtung des Betriebsrat – Betriebsrat bestätigt vollständige Unterrichtung und Beendigung des Konsultationsverfahrens

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin beschloss der beklagte Insolvenzverwalter die Stilllegung des Betriebs und unterrichtete den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung aller Arbeitnehmer*innen im Rahmen einer Massenentlassung. Im Rahmen dieser Unterrichtung teilte er die betroffenen Berufsgruppen nicht mit. Der Betriebsrat bestätigte in dem am 23. Dezember 2013 abgeschlossenen Interessenausgleich, dass er vollständig unterrichtet worden und das Konsultationsverfahren nach abschließender Beratung beendet sei. 

Klägerin beruft sich auf Unwirksamkeit des Konsultationsverfahrens ohne Erfolg

Nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige kündigte der Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 27. Dezember 2013 zum 31. März 2014. Gegen diese Kündigung erhob die Klägerin Klage und begründete diese damit, dass die Kündigung wegen fehlerhafter Durchführung des Konsultationsverfahrens unwirksam sei. Die Angaben bezüglich der Berufsgruppen hätten zwingend erteilt werden müssen.

Arbeits- und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Erfolglos blieb auch die Revision der  Klägerin dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts. 

Nach Auffassung der Richter*innen des Sechsten Senats könne offen bleiben, ob die fehlende Information über die Berufsgruppen im Falle einer Betriebsstilllegung überhaupt nachteilige Rechtsfolgen für den Arbeitgeber bewirken. In dem zur Entscheidung gestandenen Fall sei die fehlerhafte Unterrichtung jedenfalls durch die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats im Interessenausgleich geheilt worden. 

Der Sechste Senat hat in neun ähnlich gelagerten Verfahren die Revisionen ebenfalls zurückgewiesen. 

Anmerkung:

Für die Erfurter Richter*innen reicht die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats aus, um die unterbliebene Unterrichtung über die Berufsgruppen zu heilen. Das soll jedenfalls dann gelten, wenn sich aus der Stellungnahme ergibt, dass der Betriebsrat seinen Beratungsanspruch als erfüllt ansieht. Das Bundesarbeitsgericht musste damit nicht entscheiden, ob es eine Information über die Berufsgruppen überhaupt für erforderlich hält, wenn der komplette Betrieb stillgelegt wird. 

Nach § 17 (2) Kündigungsschutzgesetz haben Arbeitgeber und Betriebsrat insbesondere die Möglichkeiten zu beraten haben, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern. Im Rahmen dieser Beratungen macht es natürlich Sinn, dass dem Betriebsrat die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer mitgeteilt werden.

Unter Einbeziehung der BAG- Entscheidung vom 09.06.2016 liegt der Gedanke jedoch nicht fern, dass das Bundesarbeitsgericht, im Falle einer Betriebsstilllegung, bei passender Gelegenheit zu dem Ergebnis kommen wird, dass fehlende Information über die Berufsgruppen keine nachteiligen Rechtsfolgen für den Arbeitgeber bewirken.

Es bleibt abzuwarten wie sich die Rechtsprechung zum Thema „Muss der Betriebsrat bei beabsichtigten Massenentlassung auch über die betroffenen Berufsgruppen informiert werden?“ weiter entwickelt

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.06.2016 zum Urteil vom 9. Juni 2016 - 6 AZR 405/15

 

Im Praxistipp: § 17 Kündigungsschutzgesetz (Anzeigepflicht)

Rechtliche Grundlagen

§ 17 Kündigungsschutzgesetz (Anzeigepflicht)

Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
§ 17 Anzeigepflicht

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er
1.
in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,
2.
in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,
3.
in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entläßt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlaßt werden.
(2) Beabsichtigt der Arbeitgeber, nach Absatz 1 anzeigepflichtige Entlassungen vorzunehmen, hat er dem Betriebsrat rechtzeitig die zweckdienlichen Auskünfte zu erteilen und ihn schriftlich insbesondere zu unterrichten über
1.
die Gründe für die geplanten Entlassungen,
2.
die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer,
3.
die Zahl und die Berufsgruppen der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer,
4.
den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen,
5.
die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer,
6.
die für die Berechnung etwaiger Abfindungen vorgesehenen Kriterien.
Arbeitgeber und Betriebsrat haben insbesondere die Möglichkeiten zu beraten, Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern.
(3) Der Arbeitgeber hat gleichzeitig der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten; sie muß zumindest die in Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 bis 5 vorgeschriebenen Angaben enthalten. Die Anzeige nach Absatz 1 ist schriftlich unter Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen zu erstatten. Liegt eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vor, so ist die Anzeige wirksam, wenn der Arbeitgeber glaubhaft macht, daß er den Betriebsrat mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige nach Absatz 2 Satz 1 unterrichtet hat, und er den Stand der Beratungen darlegt. Die Anzeige muß Angaben über den Namen des Arbeitgebers, den Sitz und die Art des Betriebes enthalten, ferner die Gründe für die geplanten Entlassungen, die Zahl und die Berufsgruppen der zu entlassenden und der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer, den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen und die vorgesehenen Kriteren für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer. In der Anzeige sollen ferner im Einvernehmen mit dem Betriebsrat für die Arbeitsvermittlung Angaben über Geschlecht, Alter, Beruf und Staatsangehörigkeit der zu entlassenden Arbeitnehmer gemacht werden. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Abschrift der Anzeige zuzuleiten. Der Betriebsrat kann gegenüber der Agentur für Arbeit weitere Stellungnahmen abgeben. Er hat dem Arbeitgeber eine Abschrift der Stellungnahme zuzuleiten.
(3a) Die Auskunfts-, Beratungs- und Anzeigepflichten nach den Absätzen 1 bis 3 gelten auch dann, wenn die Entscheidung über die Entlassungen von einem den Arbeitgeber beherrschenden Unternehmen getroffen wurde. Der Arbeitgeber kann sich nicht darauf berufen, daß das für die Entlassungen verantwortliche Unternehmen die notwendigen Auskünfte nicht übermittelt hat.
(4) Das Recht zur fristlosen Entlassung bleibt unberührt. Fristlose Entlassungen werden bei Berechnung der Mindestzahl der Entlassungen nach Absatz 1 nicht mitgerechnet.
(5) Als Arbeitnehmer im Sinne dieser Vorschrift gelten nicht
1.
in Betrieben einer juristischen Person die Mitglieder des Organs, das zur gesetzlichen Vertretung der juristischen Person berufen ist,
2.
in Betrieben einer Personengesamtheit die durch Gesetz, Satzung oder Gesellschaftsvertrag zur Vertretung der Personengesamtheit berufenen Personen,
3.
Geschäftsführer, Betriebsleiter und ähnliche leitende Personen, soweit diese zur selbständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind.