Der Weg ins Gericht war für den Kläger noch schwer, obwohl seine Bevollmächtigte ihn begleitete. Raus kam er aber als Sieger. Copyright by Adobe Stock/alotofpeople
Der Weg ins Gericht war für den Kläger noch schwer, obwohl seine Bevollmächtigte ihn begleitete. Raus kam er aber als Sieger. Copyright by Adobe Stock/alotofpeople

Erkrankt ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig, ist das an sich schon nichts Angenehmes. Zusätzlich zu den gesundheitlichen Problemen gibt es dann auch auf dem Arbeitsplatz zunehmende Schwierigkeiten je häufiger Arbeitsunfähigkeit auftritt oder je länger sie andauert.
 

Arbeitsunfähigkeit ist oft ein Kündigungsgrund

Es gibt sehr viele soziale Arbeitgeber, die in diesen Fällen Präventionsmaßnahmen einleiten und auch Gespräche im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements durchführen. Es gibt aber auch die anderen Arbeitgeber. Manch ein Vorgesetzter schiebt lang andauernde oder häufige Krankheiten seines Beschäftigten vor, um zum Mittel der Kündigung zu greifen.
 
In größeren Betrieben gilt das Kündigungsschutzgesetz. Anhand der dort geregelten Vorgaben prüfen Gerichte, ob Kündigungen, die Arbeitgeber ausgesprochen haben, sozial gerechtfertigt sind. Insbesondere zu einer krankheitsbedingten Kündigung gibt es vielfältige Rechtsprechung.
 
Lesen Sie dazu und insbesondere auch zu den Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung:
 
Kündigung wegen häufiger Krankheitszeiten hat keinen Erfolg
 

Der Kläger musste gegen die Kündigung gerichtlich vorgehen

Wie es dem Kläger beim Arbeitsgericht Saarbrücken insgesamt in seinem Arbeitsverhältnis ging, ist im Detail nicht bekannt  - auch nicht, ob sein Arbeitgeber ihn ohnehin los werden wollte. Ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement hatte es jedenfalls gegeben.
 
Wegen seiner häufigen Erkrankungen erhielt er aber die Kündigung und musste dagegen gerichtlich vorgehen. Hierbei unterstütze ihn Jennifer Arnold vom DGB Rechtsschutzbüro in Saarbrücken. Diese sicherte ihm nun den lebenswichtigen Job. Trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen steht der Mann jetzt nicht auf der Straße
 

Der Kläger musste auch andere zumutbare Arbeiten verrichten

Doch was war passiert:
Der über 50-jährigen Mann arbeitete seit etwa zehn Jahren bei seinem Arbeitgeber als Produktionshelfer. Im Arbeitsvertrag stand, dass er auch andere zumutbare Arbeiten in der gleichen oder einer anderen Abteilung ausführen müsse, soweit es die betrieblichen Verhältnisse erforderten. Dies galt auch für Wechselschicht, Sonntagsarbeit und Überstunden.
 
Schon 2017 erkrankte der Kläger in mehreren Intervallen insgesamt fast zehn Wochen lang. 2018 wurde es noch mehr. In mehreren Zeiträumen fehlte er zusammengerechnet fast 15 Wochen. 2019 trat dann aber keine Arbeitsunfähigkeit auf.
 
In den ersten Monaten des Jahres 2020 fehlte der Kläger jedoch wieder rund vier Wochen lang. Das war dem Arbeitgeber zu viel. Er hörte den Betriebsrat zur Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach. Dennoch erhielt der Mann die Kündigung.
 

Das Gericht wandte das Kündigungsschutzgesetz an

So einfach geht das nicht, meint das Arbeitsgericht Saarbrücken. Die Kündigung sei unwirksam. Unter Berücksichtigung der Maßstäbe des Kündigungsschutzgesetzes stehe nämlich fest, dass die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung nicht vorlägen.
 
Die Krankheitszeiten des Klägers rechtfertigen nämlich eine Kündigung nicht. Egal ob das Gericht davon ausgehe, dass beim Kläger häufige Kurzerkrankungen vorlägen oder ob der Grund für die Fehlzeiten eine lang andauernde Erkrankung des Klägers sei, es müsse immer eine sogenannte Negativprognose vorliegen. Diese habe der Arbeitgeber darzulegen. Das sei vorliegend nicht geschehen.
 

Der Arbeitgeber muss eine negative Gesundheitsprognose für die Zukunft anstellen

Bei krankheitsbedingten Kündigungen komme es zunächst einmal immer darauf an, warum der Arbeitgeber kündigen wolle. Der Arbeitgeber müsse darlegen, weshalb der Arbeitnehmer aus seiner Sicht nicht mehr leistungsfähig sei. Das gelte sowohl bei einer lang andauernden Erkrankung als auch bei häufigen Kurzerkrankungen. In all diesen Fällen müsse das Gericht aber zunächst prüfen, ob eine negative Gesundheitsprognose vorliege.
 
Dazu müsse der Arbeitgeber bezogen auf den Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung eine Zukunftsprognose anstellen. Die Gründe, die der Arbeitgeber für diese Zukunftsprognose heranziehe, müssten auch tatsächlich vorliegen. Gehe der Arbeitgeber von häufigen Kurzerkrankungen aus, müsse sich aus der Prognose ergeben, dass der Kläger auch in Zukunft häufig krank sein werde.
 
Eine Kündigung dürfe er demgegenüber wegen einer langandauernden Arbeitsunfähigkeit dann aussprechen, wenn der betreffende Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung arbeitsunfähig sei und wenn des Weiteren damit gerechnet werden könne, dass er auch weiterhin arbeitsunfähig bleibe.
 

Der Arbeitgeber konnte eine negative Gesundheitsprognose nicht beweise

Beides sei hier jedoch nicht gegeben. Der Arbeitgeber wolle wegen der häufigen Kurzerkrankungen des Klägers kündigen. Er müsse dafür die negative Prognose beweisen. Er müsse außerdem nachweisen, dass er den Betroffenen auf anderen Arbeitsplätzen nicht mehr weiter beschäftigen könne.
 
All das sei dem Arbeitgeber in diesem Prozess jedoch nicht gelungen. Er habe schon keine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes des Klägers vorgebracht. Der Kläger habe zwar in früheren Jahren häufig krankheitsbedingt gefehlt und durchaus auch für längere Zeiträume. 2019 habe er jedoch durchgehend gearbeitet. Zu dem Zeitpunkt im Jahr 2020, als der Arbeitgeber seine Kündigung ausgesprochen hatte, sei noch keine Arbeitsunfähigkeit von wenigstens sechs Wochen aufgetreten.
 

So einfach geht das nicht!

Die Beklagte habe sich auch etwas einfach gemacht, indem sie nur die Summe der Fehltage aufgeführt habe. Es fehle der Hinweis, an welchen Kalendertagen der Kläger tatsächlich krank war und in welchem Zusammenhang die einzelnen Zeiträume zueinander stünden.
 
Zwar hätten die Fehltage aus 2018 und 2019 eine gewisse Indizwirkung. Der Kläger sei jedoch von Mai 2018 bis Februar 2020 überhaupt nicht arbeitsunfähig krank gewesen.
 
Der Prognosezeitraum erstreckte sich grundsätzlich auf die Dauer von drei Jahren. Weil der Kläger hier jedoch fast zwei Jahre durchgehend ohne Krankheitszeiten gearbeitet habe, müsse das Gericht besondere Umstände berücksichtigen. Hieraus abgeleitet ließe sich anhand der vorliegenden Fehlzeiten eine negative Prognose nicht schließen. Die Voraussetzungen zum Ausspruch einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen lägen damit nicht vor.
 

2020 gab es nur wenige Krankheitstage

Zum Zeitpunkt der Kündigung sei der Kläger 2020 auch erst wenige Tage krank gewesen. Von einer lang andauernden Arbeitsunfähigkeit könne das Gericht für 2020 deshalb nicht ausgehen.
 
Außerdem habe zum Zeitpunkt der Kündigung keine Arbeitsunfähigkeit bestanden. Der Kläger habe zwar zunächst als Produktionshelfer gearbeitet, während des Prozesses setze der Arbeitgeber ihn jedoch in der Reinigung ein.
 

Ohne Negativprognose keine Kündigung

Nachdem schon keine negative Gesundheitsprognose hinsichtlich des Klägers vorliegen, komme es auch nicht darauf an, ob die Fehlzeiten des Klägers die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigten. Eine Interessenabwägung scheide deshalb ebenfalls aus. Schließlich habe es keine Bedeutung, ob der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Kündigung des Klägers sei bereits wegen der fehlenden Negativprognose unwirksam.
 
Der Arbeitgeber müsse den Kläger deshalb auch weiter beschäftigen. Allerdings bestehe diese Pflicht nicht nur bezogen auf die frühere Tätigkeit des Klägers als Produktionshelfer. Auch als Reiniger müsse er nicht unbedingt weiter beschäftigt werden. Darauf habe er keinen Anspruch, denn der Arbeitsvertrag ließe auch eine weiter gefächerte berufliche Tätigkeit zu. Im Rahmen des Arbeitsvertrages müsse der Arbeitgeber aber nun eine passende Tätigkeit zuweisen.

Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

§ 1 KSchG

(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts

a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann

und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,
2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts

a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann

und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.

Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.
(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.
(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.
(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.