Der Kläger ist seit April 2008 bei der Beklagten als Luftsicherheitsassistent beschäftigt. Die Beklagte erbringt Sicherheitsdienstleistungen am Flughafen Düsseldorf. Sie beschäftigt in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer*innen. Im Jahr 2018 war der Kläger an 61 Kalendertagen arbeitsunfähig erkrankt, 2019 an 74 und 2020 an 45 Kalendertagen.

Im Streit steht die Wirksamkeit zweier krankheitsbedingter Kündigungen. 

Beklagte spricht 34 krankheitsbedingte Kündigungen aus

Im Zeitraum vom 25.11.2020 bis zum 22.12.2020 sprach die Beklagte insgesamt 34 Kündigungen aus krankheitsbedingten Gründen aus.

Der Kläger hält beide Kündigungen für unwirksam

Der Kläger begründete seine Klage hinsichtlich der ersten Kündigung damit, diese könne schon deshalb nicht durchgreifen, da es an einer Massenentlassungsanzeige fehle. Eine solche Anzeige habe der Arbeitgeber gemäß § 17 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) bei der Agentur für Arbeit erstatten müssen. Überdies seien seine Erkrankungen auch vollständig ausgeheilt.

Die Beklagte führte in ihrer Klageerwiderung aus, dass sie eine Massenentlassungsanzeige bei krankheitsbedingten Kündigungen nicht für erforderlich halte. Die aus ihrer Sicht überdurchschnittlichen Fehlzeiten des Klägers würden für eine negative Gesundheitsprognose sprechen. Auch hätten die krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Klägers zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen und Störungen im Betriebsablauf geführt.

In zwei Instanzen erfolgreich

Die Argumentation der Beklagten vermochte weder das Arbeitsgericht, noch das Landesarbeitsgericht (LAG) überzeugen. In seiner Entscheidung bestätigt das LAG die Rechtsauffassung des Klägers, wonach die erste Kündigung schon aus formalen Gründen zum Scheitern verurteilt ist. Denn die Beklagte versäumte es, ihrer Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit nachzukommen.

Nach dem Wortlaut, der Systematik und dem Sinn und Zweck von § 17 KSchG, so das Berufungsgericht, besteht die Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit auch bei krankheitsbedingten Massenentlassungen. Die ausdrückliche Anregung im Gesetzgebungsverfahrens, personen- und verhaltensbedingte Entlassungen von der Anzeigepflicht auszunehmen, habe der Gesetzgeber nicht aufgegriffen.

Beide Kündigungen scheitern an den Grundsätzen für krankheitsbedingte Kündigungen

Unabhängig von alledem sind beide Kündigungen unwirksam, weil sie nicht die vom Bundesarbeitsgericht (BAG) aufgestellten Anforderungen für krankheitsbedingte Kündigungen aufgrund häufiger Kurzzeiterkrankungen erfüllen. Eine negative Gesundheitsprognose lasse sich aus den im Jahr 2020 angefallenen Krankheitszeiten nicht ableiten, da diese im Vergleich zu den Vorjahren geringer anfielen. Der Beklagten unzumutbare wirtschaftliche Belastungen liegen nach Feststellung des LAG nicht vor. Diese habe nur in einem Jahr Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 42 Tagen aufwenden müssen. Die kurzfristig erforderliche Anpassung des Dienstplans aufgrund von krankheitsbedingen Ausfällen allein begründe keine erhebliche Betriebsablaufstörung. Denn, so die Richter*innen, hierbei handelt es sich um eine Maßnahme, die jedem krankheitsbedingten Arbeitsausfall immanent ist.

 

Die Revision zum BAG wurde durch das LAG nicht zugelassen.

Hier finden Sie die Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 15. Oktober 2021

Rechtliche Grundlagen

Auszug aus dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG)

§ 17 KSchG (Anzeigepflicht)

(1) Der Arbeitgeber ist verpflichtet, der Agentur für Arbeit Anzeige zu erstatten, bevor er

1. in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 und weniger als 60 Arbeitnehmern mehr als 5 Arbeitnehmer,

2. in Betrieben mit in der Regel mindestens 60 und weniger als 500 Arbeitnehmern 10 vom Hundert der im Betrieb regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer oder aber mehr als 25 Arbeitnehmer,

3. in Betrieben mit in der Regel mindestens 500 Arbeitnehmern mindestens 30 Arbeitnehmer
innerhalb von 30 Kalendertagen entlässt. Den Entlassungen stehen andere Beendigungen des Arbeitsverhältnisses gleich, die vom Arbeitgeber veranlasst werden.