Die Recticel Automobilsysteme GmbH stellt als Zulieferer für die Automobilindustrie an verschiedenen Standorten Oberflächen für die PKW-Innenausstattung her. Wegen Teilschließung des Standorts Rheinbreitbach und der damit einhergehenden Betriebsänderung wurde im Jahr 2012 ein Interessenausgleich mit Sozialplan geschlossen. 

Als langjähriger Mitarbeiter war von dieser Maßnahme auch ein 1964 geborener Projektingenieur betroffen. Diesem wurde ein Aufhebungsvertrag und eine Abfindung verwehrt, nachdem sich das Unternehmen dazu entschied, ihn doch am Standort Rheinbreitbach zu behalten.

Sozialplan sieht Anspruch auf Aufhebungsvertrag und Abfindung vor

Im Sozialplan war unter anderem geregelt, dass bei Abschluss von freiwilligen Aufhebungsverträgen eine Abfindung fällig wird. „Jeder Arbeitnehmer, der das Unternehmen verlassen will, hat einen Anspruch auf einen Aufhebungsvertrag und die Leistungen des Sozialplans“, so der weitere Wortlaut. 

Als persönlicher Geltungsbereich sind aufgeführt sämtliche mittelbar oder unmittelbar von einer Betriebsänderung durch betriebsbedingte Kündigung, Aufhebungsvertrag oder Teilzeit zur Vermeidung einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer*innen. 

Weiter ist geregelt, dass bei Versetzungen nach Wackersdorf/Schönebeck die Annahme des Arbeitsplatzangebots freiwillig ist und der Arbeitsplatz bei Ablehnung der Versetzung entfällt. Ausdrücklich wird die Anwendbarkeit der Regelungen des Sozialplans genannt, wenn es deswegen zu betriebsbedingten Kündigungen oder Aufhebungsverträgen kommt.

Soweit, so klar: Wer gekündigt wird oder auch wer eine Versetzung ablehnt und einen Aufhebungsvertrag abschließen möchte, hat Anspruch auf eine Abfindung aus dem Sozialplan.

Nachträgliche Ergänzung des Sozialplans schränkt Recht auf Aufhebungsvertrag ein

Aber: Vier Monate nach Abschluss des Sozialplans vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat eine Ergänzung zum Sozialplan. Die Regelung zum Abfindungsanspruch wurde so ergänzt, dass ein Anspruch auf einen Aufhebungsvertrag nicht besteht. Wenn der Mitarbeiter einen Aufhebungsvertrag wünscht, hat das Unternehmen einen solchen anzubieten und zwar für den Fall, dass dadurch eine  betriebsbedingte Kündigung unmittelbar oder mittelbar vermieden werden kann. 

Zeitlich nach dieser Ergänzung zum Sozialplan bot das Unternehmen dem Mitarbeiter die Versetzung an den Standort Wackersdorf an. Rheinbreitbach und Wackersdorf sind etwa 450 km voneinander entfernt. Dieser lehnte ab und forderte den Abschluss eines Aufhebungsvertrages verbunden mit der Gewährung der Sozialplanabfindung. Das lehnte die Recticel GmbH ab. Es folgte ein Rechtsstreit, der nun durch rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz (LAG) für den Kläger positiv abgeschlossen ist.

Klage vor dem Arbeitsgericht Koblenz erfolglos 

Das Arbeitsgericht Koblenz wies die Klage zurück. Denn die Richter waren der Ansicht, die ergänzende Regelung zum Sozialplan stehe dem Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages entgegen. 

Der Kläger ließ sich erstinstanzlich anwaltlich vertreten. Für das Berufungsverfahren nahm er den Rechtsschutz seiner Gewerkschaft in Anspruch. Die Vertretung übernahm Michael Pietsch von der DGB Rechtsschutz GmbH in Mainz. Dieser legte gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Koblenz Berufung beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ein.

Positiver Ausgang nach Berufung von der DGB Rechtsschutz GmbH

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz verkündete im August 2014 seine Entscheidung, mit dem es der Berufung stattgab und das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz aufhob.  Das Unternehmen Recticel Automobilsystem wurde dazu verurteilt, mit dem Kläger einen Aufhebungsvertrag mit Wirkung zum 30.04.2013 zu schließen und diesem eine Abfindung in Höhe von 77.208,01 € zu zahlen. 

Die Begründung: Das LAG geht davon aus, dass der Kläger dem persönlichen Geltungsbereich des Sozialplans unterfällt. Denn dazu gehören auch Mitarbeiter, die für eine Versetzung nach Wackersdorf vorgesehen waren. Und die Versetzung des Klägers war vorgesehen, er wurde sogar namentlich in der Anlage zum Interessenausgleich genannt und das Versetzungsangebot wurde auch unterbreitet. 

Da der Arbeitsplatz damit entsprechend der Regelungen zum Sozialplan und Interessensausgleich weggefallen ist, bestehe der Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages und Zahlung einer Abfindung. 

Die Beklagte hatte im Verfahren eingewandt, sie habe auf die Durchführung der Betriebsänderung verzichtet und da der Kläger damit keine wirtschaftlichen Nachteile zu erleiden habe, sei er vom Sinn und Zweck des Sozialplans nicht erfasst.

Dem stimmt das LAG grundsätzlich zu. Allerdings sei der Anspruch des Klägers auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages bereits entstanden, als dem Kläger die Versetzung angeboten wurde und der dies ablehnte. Der Anspruch habe damit schon zum Zeitpunkt der Mitteilung, auf die Durchführung der Betriebsänderung verzichten zu wollen, bestanden. Die Betriebsänderung sei dem Kläger gegenüber schon durchgeführt worden. Die Folge: Die Beklagte könne sich nicht mehr durch einseitigen Verzicht von der Anwendung der Sozialplanvorschriften lösen. 

Betriebliche Gründe gegen Aufhebungsvertrag nicht ausreichend dargelegt

Etwas anderes ergibt sich nach dem LAG auch nicht durch die ergänzte Fassung des Sozialplans, wonach ein Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht mehr uneingeschränkt bestehe und die Entscheidung dem Arbeitgeber obliege.  Denn der Arbeitgeber sei nach der Vorschrift verpflichtet, einen  Aufhebungsvertrag auf Wunsch des Mitarbeiters abzuschließen, wenn – so wörtlich „dadurch eine betriebsbedingte Kündigung unmittelbar oder mittelbar vermieden werden kann und/oder soweit nicht betriebliche Gründe entgegenstehen“. Das LAG wertete diese Formulierung so, dass dem Wunsch auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses nur dann nicht zu entsprechen sei, wenn betriebliche Gründe entgegenstehen. Und diese Gründe habe die darlegungs- und beweispflichtige Beklagte nicht ausreichend vorgetragen. Der Verweis auf fortbestehenden Fachkräftebedarf und die Unentbehrlichkeit der Funktion des Klägers sei zu pauschal. Betriebliche Gründe, die dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages entgegenstünden, konnte das Gericht nicht daraus herleiten. Als erheblich wertet das LAG dafür, dass die Versetzung des Klägers vorgesehen war und erkennbar sei, dass nach Abschluss des Interessensausgleichs Umstände eingetreten seien, welche die Notwendigkeit für eine Beschäftigung des Klägers am Standort Rheinbreitbach begründen könnten.  

Der Kläger freut sich, den Rechtsstreit nach Inanspruchnahme seines gewerkschaftlichen Rechtsschutzes endgültig zu einem positiven Ende gebracht zu haben. 

Hier zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz im Volltext