Fehlerhafte Bildung von Altersgruppen führt zu einer Veränderung der vorhandenen Altersstruktur!
Fehlerhafte Bildung von Altersgruppen führt zu einer Veränderung der vorhandenen Altersstruktur!

Diese Entscheidungen sind nur verständlich, wenn klar ist, in welchem Zusammenhang sie
ergangen sind.

Ausgangslage

Will eine Arbeitgeberin betriebsbedingt kündigen, muss sie durch eine so genannte Sozialauswahl sicherstellen, dass es diejenigen Mitarbeiter*innen trifft, die sozial am wenigsten schutzwürdig sind. Dazu muss sie innerhalb jeder Gruppe von Mitarbeiter*innen, die eine vergleichbare Tätigkeit ausüben, überprüfen, wer den geringsten sozialen Schutz verdient. Die Notwendigkeit einer Sozialauswahl entfällt nur, wenn alle Mitarbeiter*innen des Betriebs oder einer Vergleichsgruppe die Kündigung bekommen sollen.

Vergleichbarkeit

Vergleichbar sind Tätigkeiten, wenn die Personen, die sie verrichten, austauschbar sind. Voraussetzung ist jedoch, dass die Arbeitgeberin diesen Austausch allein aufgrund ihres Weisungsrechtes vornehmen kann. Müsste sie für den Austausch eine Änderungskündigung aussprechen, sind die beiden Tätigkeiten nicht vergleichbar.
So ist beispielsweise ein Lagerleiter nicht mit einem Lagerarbeiter vergleichbar, denn die Arbeitgeberin kann den Leiter nicht ohne Änderungskündigung zum Lagerarbeiter degradieren.
Ausschlaggebend für die Frage der Vergleichbarkeit ist diejenige Tätigkeit, die nach dem Arbeitsvertrag zu erbringen ist. Weicht die tatsächliche Tätigkeit davon ab, ist dies ohne Belang.
Verrichtet bei sechs Mitarbeitern, die laut Arbeitsvertrag alle als Lagerarbeiter beschäftigt sind, nur einer tatsächlich unter anderem auch höherwertige Tätigkeiten, bleibt er dennoch mit seinen fünf Kollegen vergleichbar. Denn alle sechs haben nach ihrem Arbeitsvertrag identische Tätigkeiten zu verrichten.

Kriterien bei der Sozialauswahl

Kriterien, um das Ausmaß der sozialen Schutzwürdigkeit zu bestimmen, sind

  • Lebensalter
  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Unterhaltsverpflichtungen
  • Schwerbehinderung.

Interesse der Arbeitgeber*innen

Die Kritik der Arbeitgeber*innen bei der Anwendung dieser Kriterien war, dass sie auf der einen Seite vielen älteren Mitarbeiter*innen nicht kündigen können, und auf der anderen Seite viele junge, leistungsstarke Arbeitnehmer*innen verlieren.
Die Arbeitgeber*innen konnten durchsetzen, dass der Gesetzgeber das Kündigungsschutzgesetz geändert hat. Aufgrund dieser Änderung sind Mitarbeiter*innen nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen, „ … deren Weiterbeschäftigung … zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur … im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.“

Vorgehen der Arbeitgeber*innen

Mit dieser neuen Vorschrift im Rücken haben die Arbeitgeber*innen bei der Sozialauswahl innerhalb der Gruppen vergleichbarer Arbeitnehmer*innen Altersgruppen gebildet. Also etwa

  • die 20 bis 30-Jährigen
  • die 31 bis 40-Jährigen
  • die 41 bis 50-Jährigen
  • die 51 bis 60-Jährigen
  • die über 60-Jährigen.

Damit wollten die Arbeitgeber erreichen, dass diejenigen Mitarbeiter*innen, die eine Kündigung erhalten sollen, trotz der maßgeblichen Kriterien zur Sozialauswahl mehr aus den Gruppen der Älteren kommen als dies der Fall wäre, wenn die Kriterien ohne Altersgruppen angewendet würden.

Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts

Diese Vorgehensweise der Arbeitgeber*innen hat das Bundesarbeitsgericht grundsätzlich für zulässig erachtet. In späteren Entscheidungen hat es jedoch konkretisiert, unter welchen Voraussetzungen Arbeitgeber*innen sich erfolgreich auf Altersgruppen berufen können.

Das Urteil vom 26.03.2015

Bereits vor diesem Datum hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass Altersgruppen nur dann Bestandteil einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl sein können, wenn die Gruppen tatsächlich zur Sicherung der bestehenden Altersstruktur geeignet sind.
Mit der Frage, wann dies der Fall ist, beschäftigt sich die Entscheidung vom 26.03.2015.
Darin gibt es Arbeitgeber*innen die einzelnen Schritte vor, die sie gehen müssen, wenn sie Altersgruppen bilden wollen.

Schritt 1

Die Arbeitgeberin muss zunächst Gruppen von vergleichbaren Mitarbeiter*innen bilden. Sie muss also überlegen, in welchen Tätigkeitsbereichen sie das Personal reduzieren will, und welche Mitarbeiter*innen diese Tätigkeit direkt ausüben oder eine Arbeit verrichten, die damit vergleichbar ist. Innerhalb jeder einzelnen Vergleichsgruppe kann die Arbeitgeberin dann Altersgruppen bilden.

Schritt 2

Jetzt muss die Arbeitgeberin feststellen, wie viel Prozent der Gesamtbelegschaft in jeder Altersgruppe vertreten sind. Beschäftigt der Betrieb beispielsweise insgesamt 500 Mitarbeiter*innen und besteht die Altersgruppe I aus 100 Mitgliedern, so besteht sie aus 20 Prozent der Gesamtbelegschaft. In der Altersgruppe II etwa sind 150 Mitarbeiter*innen, also 30 Prozent der Gesamtbelegschaft.

Schritt 3

Die Arbeitgeberin darf in jeder Altersgruppe nur entsprechend dem prozentualen Anteil der Altersgruppe an der Gesamtbelegschaft kündigen. Das bedeutet, dass sie in Altersgruppe I nur 20 Prozent von 100 Mitgliedern, also 20 Mitarbeiter*innen kündigen darf. In Altersgruppe II sind es 30 Prozent von 150, also 45 Mitarbeiter*innen.

Folgen eines Verstoßes gegen die Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts

Kündigt die Arbeitgeberin in einer Altersgruppe mehr Mitarbeiter*innen als sie darf, führt die Bildung der Altersgruppen gerade nicht zu einer Sicherung der bisher bestehenden Personalstruktur, sondern schafft eine neue. Deshalb ist die Sozialauswahl in diesem Fall so vorzunehmen, als ob es keine Altersgruppen gäbe. Stellt sich dann heraus, dass eine gekündigte Mitarbeiterin sozial schutzwürdiger als eine vergleichbare, nicht gekündigte, ist die Sozialauswahl fehlerhaft. Damit ist die Kündigung unwirksam.

Das Urteil vom 18.03.2010

Sprechen Arbeitgeber*innen betriebsbedingte Kündigungen aus und kommt es zu einem Kündigungsschutzprozess vor dem Arbeitsgericht, müssen sie im Hinblick auf die Bildung von Altersgruppen umfassend vortragen. Dazu gehört, dass sie in ihren Schriftsätzen folgende Fragen beantworten:

  • Welche konkreten Nachteile ergäben sich, wenn die Sozialauswahl ohne statt mit den Altersgruppen erfolgt wäre? Dabei reicht es nicht aus vorzutragen, dass sich die Altersstruktur überhaupt in nennenswertem Umfang ändern würde. Es ist vielmehr aufzuzeigen, welche konkreten Nachteile sich dadurch für den Betrieb ergäben.
  • Inwiefern sind die gebildeten Altersgruppen dazu geeignet, die Personalstruktur zu sichern? In diesem Zusammenhang ist im Detail darzulegen, warum die Arbeitgeberin welche Altersgruppen gebildet hat, und wie sich aus dieser Altersgruppenbildung ergibt, dass die bestehende Altersstruktur erhalten bleibt.

Tragen die Arbeitgeber*innen hierzu gar nicht oder zu wenig vor, darf das Gericht nicht davon ausgehen, dass die Sozialauswahl anhand der Altersgruppen ordnungsgemäß war. Es muss dann überprüfen, ob die Kündigung bei einer Sozialauswahl ohne Altersgruppen gerechtfertigt wäre. Wäre sie dies nicht, ist sie unwirksam.

Die Entscheidungen des Bundesarbeitsgericht jeweils im Volltext hier

Entscheidung vom 20.04.2005, Aktenzeichen 2 AZR 201/04

Entscheidung vom 18.03.2010, Aktenzeichen 2 AZR 468/08

Entscheidung vom 26.03.2015, Aktenzeichen 2 AZR 478/13

 

Im Praxistipp: § 1 Kündigungsschutzgesetz - KSchG

Rechtliche Grundlagen

§ 1 Kündigungsschutzgesetz

Kündigungsschutzgesetz (KSchG)
§ 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen
(1) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat, ist rechtsunwirksam, wenn sie sozial ungerechtfertigt ist.
(2) Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist auch sozial ungerechtfertigt, wenn

1.
in Betrieben des privaten Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann
und der Betriebsrat oder eine andere nach dem Betriebsverfassungsgesetz insoweit zuständige Vertretung der Arbeitnehmer aus einem dieser Gründe der Kündigung innerhalb der Frist des § 102 Abs. 2 Satz 1 des Betriebsverfassungsgesetzes schriftlich widersprochen hat,

2.
in Betrieben und Verwaltungen des öffentlichen Rechts
a)
die Kündigung gegen eine Richtlinie über die personelle Auswahl bei Kündigungen verstößt,
b)
der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz in derselben Dienststelle oder in einer anderen Dienststelle desselben Verwaltungszweigs an demselben Dienstort einschließlich seines Einzugsgebiets weiterbeschäftigt werden kann
und die zuständige Personalvertretung aus einem dieser Gründe fristgerecht gegen die Kündigung Einwendungen erhoben hat, es sei denn, daß die Stufenvertretung in der Verhandlung mit der übergeordneten Dienststelle die Einwendungen nicht aufrechterhalten hat.

Satz 2 gilt entsprechend, wenn die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen oder eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(3) Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne des Absatzes 2 gekündigt worden, so ist die Kündigung trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat; auf Verlangen des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Gründe anzugeben, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. In die soziale Auswahl nach Satz 1 sind Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Der Arbeitnehmer hat die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des Satzes 1 erscheinen lassen.

(4) Ist in einem Tarifvertrag, in einer Betriebsvereinbarung nach § 95 des Betriebsverfassungsgesetzes oder in einer entsprechenden Richtlinie nach den Personalvertretungsgesetzen festgelegt, wie die sozialen Gesichtspunkte nach Absatz 3 Satz 1 im Verhältnis zueinander zu bewerten sind, so kann die Bewertung nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

(5) Sind bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 des Betriebsverfassungsgesetzes die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden soll, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet, so wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des Absatzes 2 bedingt ist. Die soziale Auswahl der Arbeitnehmer kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, soweit sich die Sachlage nach Zustandekommen des Interessenausgleichs wesentlich geändert hat. Der Interessenausgleich nach Satz 1 ersetzt die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 Satz 2.