Was ist vorteilhafter für mich: Abfindungsvergleich oder eine längere Kündigungsfrist? Garden leave? Worauf muss ich achten?
Was ist vorteilhafter für mich: Abfindungsvergleich oder eine längere Kündigungsfrist? Garden leave? Worauf muss ich achten?

Das Kind ist im Brunnen. Der Arbeitgeber hat eine Kündigung ausgesprochen und der Arbeitnehmer erhebt rechtzeitig binnen drei Wochen eine Kündigungsschutzklage oder die Parteien verhandeln noch ohne Ausspruch einer Kündigung.


Wenn Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer sich trennen wollen, ist die Zielsetzung sehr konträr. Der Arbeitgeber möchte möglichst wenig zahlen, der Arbeitnehmer möglichst viel für sich rausholen. Oft wird eine Abfindungssumme ausgehandelt.


Der klassische Vergleich vor dem Arbeitsgericht lautet:

 

Die Parteien sind darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch ordentliche Kündigung des Arbeitgebers unter Einhaltung der gesetzlichen /tariflichen Kündigungsfrist betriebsbedingt oder aus betrieblichen Gründen oder bei Krankheit vielleicht auch aus personenbedingten Gründen zum xx geendet hat oder zum xx enden wird.


Nach der Länge des Arbeitsverhältnisses bemisst sich die Kündigungsfrist. Tarifvertragliche Regelungen weisen oft auf § 622 BGB hin. Diese Vorschrift enthält eine Tabelle, bei Erreichung der nächsten Stufe verlängert sich die Kündigungsfrist immer um einen Monat zum Monatsende, maximal bei länger als 20 Jahren Betriebszugehörigkeit auf sieben Monate zum Monatsende.

Beschäftigungszeiten vor dem 25. Lebensjahr zählen mit.

In § 622 Abs. 2 BGB steht zwar noch, dass Beschäftigungszeiten erst ab dem 25. Lebensjahr zählen, diese Vorschrift hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) aber mit Entscheidung vom 19.1.2010 für nicht mehr von Deutschen Gerichten anwendbar erklärt, da diese Vorschrift europarechtswidrig ist und einen Verstoß gegen das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund des Alters darstellt.Im Ergebnis zählen alle Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Kündigungsfrist mit, auch die Zeiten eines Ausbildungsverhältnisses.

 

Voraussetzung ist aber, dass eine durchgängige Beschäftigung vorlag. Bei Unterbrechungen, etwa wenn der Arbeitnehmer zwei Jahre bei einem anderen Arbeitgeber gearbeitet hat und dann zurückkehrt, beginnt die Beschäftigungszeit nach dem Kündigungsschutzgesetz wieder neu.Zur Vermeidung von Problemen mit der Arbeitsagentur muss die Kündigungsfrist eingehalten werden.Gelegentlich verzichten Arbeitnehmer auf die Einhaltung der Kündigungsfrist, wenn sich dafür die Abfindung erhöht. Der Vorteil einer höheren Abfindung kehrt sich jedoch schnell ins Gegenteil, weil die Agentur für Arbeit eine Sperrzeit oder ein Ruhen des Arbeitslosengeldes verhängt.Die sicherste Methode ist daher der Vergleich vor dem Arbeitsgericht, bei dem die Kündigungsfrist eingehalten wird.

Vorteil Abfindung?

Häufig werden in den Verfahren Abfindungen vereinbart. War diese in früheren Jahren zumindest noch ganz bis teilweise steuerbefreit, ist die Abfindung nun voll steuerpflichtig.
In unserem Steuersystem werden höhere Einkünfte prozentual höher besteuert, das ist die sog. Steuerprogression.


Bei Abfindungen kann gegebenenfalls die Fünftelungregelung angewendet werden. Vereinfacht gesagt wird die Abfindung dann etwas niedriger besteuert, es wird 1/5 der Abfindung zum Jahreseinkommen dazu addiert und die Steuer berechnet, dann wird die Steuer ohne die Abfindung berechnet, die Differenz gebildet und diese mal fünf genommen. Klingt kompliziert - führt aber dazu, dass die Steuerprogression nicht voll durchschlägt.


Trotz erhöhter Steuerlast sind Abfindungen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiter reizvoll, da sie nach wie vor sozialversicherungsfrei sind.

Keine Sozialabgaben auf Abfindung

Bei einem Blick auf die Lohnabrechnung wird schnell klar, dass da an Beiträgen für Rentenversicherung, Krankenkasse, Pflege- und Arbeitslosenversicherung schnell über 20 % zusammenkommen.


Würde statt der Abfindung ein Bruttobetrag vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer gezahlt, fielen grundsätzlich für beide Seiten Sozialversicherungsbeiträge an, zumindest bis zu den Bemessungsgrenzen.


Es gibt mehrere Fallgestaltungen, bei der es für den Arbeitnehmer von Interesse ist, dass nicht oder nicht komplett eine Abfindung gezahlt wird, sondern man eine längere Kündigungsfrist mit Lohnanspruch vereinbart.

Anwartschaft voll machen durch Verlängerung der Kündigungsfrist

Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld II (Hartz IV) ist es Neumann endlich gelungen, eine Stelle zu finden. Er verdient 1.700 € monatlich. Nach zehn Monaten wird das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der Kündigungsfrist von einem Monat zum 30. November 2016 gekündigt. Das Arbeitsverhältnis hat also insgesamt elf Monate bestanden.


Im Kündigungsverfahren wäre der Arbeitgeber bereit, eine Abfindung von einem Gehalt in Höhe von 1.700 € zu zahlen. Ein Monatsgehalt bei noch nicht mal einem Jahr Beschäftigung, das ist circa das Doppelte vom Üblichen.


Trotzdem würde es Neumann nicht viel bringen, er würde sofort wieder in den Bezug von Arbeitslosengeld II fallen und die Abfindung würde dort angerechnet. Arbeitslosengeld I könnte er erst beanspruchen, wenn er die Anwartschaftszeit von 12 Monaten erfüllt.


Vereinbaren die Parteien, dass das Arbeitsverhältnis statt bis zum 30. November bis zum 31. Dezember 2016 gedauert hat und er für den Dezember noch Lohn erhält, würde er die Anwartschaft erfüllen und könnte Arbeitslosengeld I erhalten. Für den Arbeitgeber wird diese Lösung wegen der Sozialbeiträge etwas teurer, wenn man ihm aber hinsichtlich eventuell bestehender Urlaubstage noch entgegenkommt, ist eine solche Lösung realistisch und unterm Strich für Neumann deutlich günstiger.


Variante: Im Beispiel stand schon lange fest, dass Neumann am 15. Dezember operiert werden muss und länger nicht arbeiten kann. Scheidet er krank aus dem Arbeitsverhältnis aus, besteht für ihn bei unserem Beispiel mit der verlängerten Kündigungsfrist ein Krankengeldanspruch. Arbeitslos wäre er erst dann, wenn er wieder arbeitsfähig ist. Also auch hier wäre die Verlängerung der Kündigungsfrist also von Vorteil.

45 Versicherungsjahre vollmachen?

Im nächsten Beispiel strebt Neumann die Rente mit 45 Versicherungsjahren an, doch er ist zum 31. Dezember 2016 gekündigt worden und hat zu diesem Zeitpunkt die 45 Jahre noch nicht ganz erreicht. Er kann die Zeit nicht mit Arbeitslosengeldbezug erreichen, dies hat der Gesetzgeber verhindert. Arbeitslosengeldzeiten am Ende des Erwerbslebens zählen nicht mit.


Neumann muss also, um die Rente erreichen zu können, mindestens die fehlenden Monate länger im Arbeitsverhältnis stehen.


Wegen Stellenabbau ist auch hier der Arbeitgeber zur Zahlung einer Abfindung bereit, nur fährt Neumann hier deutlich besser, wenn er Abstriche bei der Abfindung hinnimmt und das Arbeitsverhältnis um die Monate verlängert, die noch fehlen.
Solche Regelungen setzen natürlich voraus, dass die versicherungsrechtlichen Zeiten geklärt sind, damit dem frühzeitigen Rentenbezug ohne Abschläge nichts entgegensteht.


Bei diesen Einigungen wird sehr häufig vereinbart, dass der Arbeitnehmer nicht mehr arbeiten muss, sondern bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich freigestellt wird. Es gibt sogar zwischenzeitlich einen Begriff dafür, wenn Abfindungen von Geld in Zeit umgerechnet werden. Das Stichwort heißt Garden leave.

Ausscheiden nach langer Krankheit

In unserem nächsten Beispiel ist Neumann bereits das ganze Jahr 2015 arbeitsunfähig gewesen. Jetzt steht ein Personalabbau an, dafür stehen hohe Abfindungsbeträge zur Debatte. Da Neumann über 20 Jahre beschäftigt ist, muss die Kündigungsfrist von sieben Monaten sowieso eingehalten werden.


Neumann hatte noch nicht verfallenen Urlaub aus 2015 (der verfällt zum 31.3.des Jahres 2017), und aus 2016, als der Arbeitgeber ihn auf Einigungsmöglichkeiten ansprach.
Wenn Neumann weiter krank ist, läuft nach 18 Monaten das Krankengeld aus, es besteht dann unter Umständen trotz Bestehens des Arbeitsverhältnisses die Möglichkeit Arbeitslosengeld zu beziehen. Wenn er so früh Arbeitslosengeld bezieht, reicht das aber nicht bis zur Rente.


Man einigt sich, dass er ab April für den Rest 2016 unter Anrechnung seiner beiden Jahresurlaube unwiderruflich freigestellt wird und seine Vergütung erhält. Da er tatsächlich gesundheitlich die schwere Arbeit dort nicht mehr verrichten kann, verhängt die Agentur für Arbeit keine Sperrzeit.


Neumann ist hoch zufrieden, dass das jetzt alles nahtlos für ihn klappt.

Achtung Nachteil: fiktive Einstufung

Nur bei der Höhe des Arbeitslosengeldes hat er sich verrechnet. Er hatte fast 3.800 € brutto im Monat verdient und auch die letzten Monate erhalten, Arbeitslosengeld ist ca. 60 % vom netto bei ihm.


Doch da kommt ihm eine Geschäftsanweisung der Agentur für Arbeit in die Quere.


Bei unwiderruflicher Freistellung ist die Agentur für Arbeit jetzt der Auffassung, es zählten diese Zeiten bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes nicht mit. Mit der Freistellung sei zwar nicht das Arbeitsverhältnis, aber das Beschäftigungsverhältnis beendet und Zeiten der Freistellung zählen dann nicht mit.


Es wird ein Bemessungsrahmen gebildet, sogar der erweiterte auf zwei Jahre, aber in dieser Zeit war Neumann entweder freigestellt oder hat Krankengeld bezogen. Die 150 Tage Arbeitsentgelt, die er braucht, damit die Agentur für Arbeit sein Gehalt zugrunde legt, hat er dann deutlich verfehlt, mit der Folge, dass er fiktiv eingestuft wird.


Es gibt vier Qualifikationsgruppen, vom Ungelernten über den Facharbeiter, den Meister bis zum Studierten. Für die Berechnung wird ein gesetzlicher Prozentsatz zur sogenannten Bezugsgröße in der Sozialversicherung genommen.

Fiktive Berechnung mindert Arbeitslosengeld

Unserer Erfahrung nach, und das bekommt Neumann schmerzlich zu spüren, führt die fiktive Einstufung zu deutlich niedrigerem Arbeitslosengeld. Neumann verdiente um die 3.800 €, weil er seine Arbeit als Geselle sehr gut machte und schon lange im Betrieb war.
Bei der fiktiven Bemessung für einen Facharbeiter geht man von ca. 2.400 brutto aus. Das sind 37 % weniger und damit entsprechend weniger Arbeitslosengeld. Das klingt zwar theoretisch, aber solche Fälle gibt es, zum Beispiel bei Arbeitslosigkeit nach Erziehungszeiten.
Kann Neumann dagegen vorgehen?


Ja, das sollte er auch! Widerspruch einlegen und dann Klage vor dem zuständigen Sozialgericht erheben, denn es sprechen gewichtige Argumente gegen die Auffassung der Arbeitsagentur. Durch die Verfahrensdauern im Sozialrecht wird es lange dauern bis Rechtssicherheit besteht.

Anderes Ergebnis durch andere Gestaltung

Ja, denn bei Vereinbarung einer nur widerruflichen Freistellung, ist auch die Agentur für Arbeit der Auffassung, dass diese Zeiten mitzählen. Eine solche Vereinbarung birgt jedoch andere Risiken.


Fazit: Arbeits-und Sozialrecht ist an vielen Stellen verzahnt. Bei arbeitsrechtlichen Einigungen sind nicht nur die Abfindungshöhe und die Sperrzeitverhinderung Trumpf, sondern es sollten die sozialrechtlichen Aspekte in Gänze berücksichtigt werden, weil dies in Summe deutlich vorteilhafter sein kann.

 

Wohl dem, der sich von Fachleuten beraten lässt, die auf langjährigen Erfahrungen in beiden Rechtsgebieten verfügen, wie unsere Rechtsschützer der DGB-Rechtsschutz GmbH.

 

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Rechtliche Grundlagen

§ 622 BGB

§ 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen
(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.

(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen
1. zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5. zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt.

(3) Während einer vereinbarten Probezeit, längstens für die Dauer von sechs Monaten, kann das Arbeitsverhältnis mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden.

(4) Von den Absätzen 1 bis 3 abweichende Regelungen können durch Tarifvertrag vereinbart werden. Im Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags gelten die abweichenden tarifvertraglichen Bestimmungen zwischen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, wenn ihre Anwendung zwischen ihnen vereinbart ist.

(5) Einzelvertraglich kann eine kürzere als die in Absatz 1 genannte Kündigungsfrist nur vereinbart werden,
1. wenn ein Arbeitnehmer zur vorübergehenden Aushilfe eingestellt ist; dies gilt nicht, wenn das Arbeitsverhältnis über die Zeit von drei Monaten hinaus fortgesetzt wird;
2. wenn der Arbeitgeber in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt und die Kündigungsfrist vier Wochen nicht unterschreitet.Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die einzelvertragliche Vereinbarung längerer als der in den Absätzen 1 bis 3 genannten Kündigungsfristen bleibt hiervon unberührt.

(6) Für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer darf keine längere Frist vereinbart werden als für die Kündigung durch den Arbeitgeber.