Nicht jede Falschangabe in der elektronischen Zeiterfassung rechtfertigt eine ordentliche Kündigung. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer zur Ableistung von 10 Überstunden im Monat ohne (weitere) Vergütung verpflichtet ist und dieses Kontingent nicht ausgeschöpft wird.

Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg zu Grunde?


Die Parteien streiten darüber, ob die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger beendet hat und ob der Kläger weiterzubeschäftigen ist.
Die beklagte Arbeitgeberin hatte behauptet, der Kläger habe an vier aufeinander folgenden Tagen das Betriebsgelände verlassen, ohne sich vorher auszuloggen. Es liege eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung (Arbeitszeitbetrug) vor, so dass eine Abmahnung entbehrlich sei.

Wie hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg entschieden?


Ebenso wie die Vorinstanz hat auch das LAG Berlin-Brandenburg das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB verneint.

Selbst wenn die Behauptung der Beklagten zu deren Gunsten der Beklagten als zutreffend unterstellt werden kann, hätte der Kläger damit insgesamt ca. 60 Minuten gefehlt, ohne eine Arbeitsleistung erbracht zu haben. Der maximale Schaden beträgt also einen Stundenlohn, somit 9,81 € brutto.
Es kann offen bleiben, ob angesichts dieser Schadenshöhe in geringem Umfang überhaupt eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung möglich wäre. Jedenfalls rechtfertigt nicht jede Falschangabe in der elektronischen Zeiterfassung eine ordentliche Kündigung im Sinne des § 1 KSchG. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer - wie hier - arbeitsvertraglich zur Ableistung von 10 Überstunden im Monat ohne (weitere) Vergütungszahlung verpflichtet ist und dieses Kontingent nicht ausgeschöpft wird.
Aus dem von der Beklagten eingereichten Zeiterfassungsbogen ergibt sich, dass der Kläger unter Berücksichtigung der Tage, an denen er überhaupt Arbeit geleistet hat, insgesamt 6 Stunden und 17 Minuten über dem arbeitstäglichen Soll von 8 Stunden tätig war. Damit konnte es zu keinem Schaden kommen, da der Kläger jedenfalls bis zu 10 Überstunden ohne weitere Vergütung hätte leisten müssen. Gerade weil die Beklagte keinen materiellen Schaden erlitten hat, stellt sich das Vergehen des Klägers hinsichtlich der Schwere als deutlich geringer heraus.
Unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wäre daher eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen. Gerade weil es sich um eine nicht sehr schwerwiegende Pflichtverletzung handelte, kann im Bezug auf den Kläger auch erwartet werden, dass er sein Verhalten nach Ausspruch einer Abmahnung ändert.
Da es schon an einem Grund für eine ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG fehlt, kann eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB nicht gerechtfertigt sein.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Arbeitszeitbetrug ist kein Kavaliersdelikt. Für jemand anderen ausstempeln, falsch stempeln oder Pausen nicht stempelt kann nach dem Bundesarbeitsgericht grundsätzlich geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein schwerer Vertrauensbruch durch Arbeitszeitbetrug ermöglicht es dem Arbeitgeber fristlos vom Arbeitnehmer zu trennen. Auch nach Ansicht der Rechtsprechung ist dem Arbeitgeber in derartigen Fällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten. So z.B. am 09.06.2011 (2 AZR 381/10): "Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen...“ In dem zu Grunde liegenden Fall wurde ein Arbeitnehmer an sieben Tagen kontrolliert, wobei festgestellt wurde, dass der Arbeitnehmer insgesamt 135 Minuten an Arbeitszeit zu viel und damit zum Nachteil der Arbeitgeberin dokumentierte. Eine vorherige Abmahnung ist in diesen Fällen nicht erforderlich.

Dennoch muss nicht jeder Arbeitszeitbetrug auch gleich das Ende des Arbeitsverhältnisses bedeuten. Wenn denn doch Unregelmäßigkeiten vorliegen lohnt sich ein genauer geschulter Blick. So z.B. wie im vorliegenden Fall, wenn es Regelungen zu Überstunden gibt und wie hier kein Schaden entstanden gibt. Auch wenn der Arbeitgeber nachweislich längere Zeit Ungenauigkeiten geduldet hat kann eine Kündigung unwirksam sein. So entschied das
Arbeitsgerichts Cottbus am 27.01.2010 (7 Ca 868/09), dass das unzulässige Aufrunden von Abwesenheitszeiten auf halbe bzw. volle Stunden bei der Spesenabrechnung nicht zu einer fristlosen Kündigung führen kann, wenn der Arbeitgeber die Ungenauigkeiten bereits über einen längeren Zeitraum hätte erkennen müssen, da alle in der Vergangenheit liegenden Spesenabrechnungen auf halbe bzw. volle Stunden gerundete Zeiten enthielten. Der Arbeitgeber hatte in diesem Fall die nicht minutengenauen gleichartigen Abrechnungen immer über Jahre unbeanstandet entgegengenommen und auch so abgerechnet.

Eine Klage und Rechtsberatung lohnt sich daher immer und ist unbedingt anzuraten.

Das Urteil des LAG Berlin-Brandenburg vom 13.06.2012, 15 Sa 407/12