Kirchliches Arbeitsrecht nicht mehr zeitgemäß!
Kirchliches Arbeitsrecht nicht mehr zeitgemäß!

Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau im Jahr 2008 heiratete der als Chefarzt bei einem katholischen Krankenhausträger tätige Kläger ein zweites Mal standesamtlich. Als die Beklagte hiervon erfahren hatte, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 30. März 2009 ordentlich zum 30. September 2009.

Klage bis zum Bundesarbeitsgericht erfolgreich!

Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage und begründete diese damit, dass seine erneute Eheschließung nicht geeignet, sei die Kündigung zu rechtfertigen. Er verwies darauf, dass bei evangelischen Chefärzten eine Wiederheirat ohne arbeitsrechtliche Folgen bleibe.

Die Klage des Klägers war in allen drei Instanzen der Arbeitsgerichtsbarkeit erfolgreich. Mit Urteil vom 08. September 2011 wies das Bundesarbeitsgericht die Revision der Beklagten zurück. Nach dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts konnte man davon ausgehen, dass die Entscheidung als Beginn einer Kehrtwende zu sehen ist, die den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMBR) entsprach.
Denn das Straßburger Gericht hatte in mehreren Entscheidungen die Auffassung vertreten, dass auch in Kündigungsstreitigkeiten zwischen kirchlichen Einrichtungen und Arbeitnehmern eine offene Güterabwägung stattfinden müsse, bei der alle sozialen Aspekte eine Rolle zu spielen haben.

Bundesverfassungsgericht kippt Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Bei dieser Annahme handelte sich jedoch um eine irrige. Denn weitestgehend unbemerkt von der interessierten Öffentlichkeit rief die Beklagte das Bundesverfassungsgericht an, um die ihrer Annahme nach nicht haltbare Entscheidung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts zu kippen.

Mit Beschluss vom 22. Oktober 2014 folgte der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts der Auffassung der Beklagten und bestätigte die bisherige Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, wonach staatliche Gerichte die Loyalitätsobliegenheiten in kirchlichen Arbeitsverhältnissen nur eingeschränkt überprüfen dürfen.

Hiernach, so die Schützer*innen der Verfassung, entscheide allein die Kirche, welche Grundverpflichtungen für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sind und welche nicht. Die Gerichte dürfen nur einschreiten, wenn diese im Widerspruch zu grundlegend verfassungsrechtlichen Gewährleistungen stehen. Die Sache wurde an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Bundesarbeitsgericht erbittet Vorabentscheidung des EuGH

Am 28. Juli1 2016 entschied der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts, der nun, unter Beachtung der Auffassung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts erneut über die aus seiner Sicht unzulässige Kündigung des Chefarztes zu entscheiden hatte, den Gerichtshof der Europäischen Union nach Artikel 267 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) um die Beantwortung von Fragen zur Auslegung von Artikel 4 Abs. 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG Nr. L 303 S. 16) gebeten. 


Für die Richter*innen des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts war es erheblich, ob die Kirchen nach dem Unionsrecht bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten unterscheiden dürfen zwischen Arbeitnehmern, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören.

Das Bundesarbeitsgericht ersucht den Europäischen Gerichtshof um Beantwortung folgender Fragen:

1. Ist Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) dahin auszulegen, dass die Kirche für eine Organisation wie die Beklagte des vorliegenden Rechtsstreits verbindlich bestimmen kann, bei einem an Arbeitnehmer in leitender Stellung gerichteten Verlangen nach loyalem und aufrichtigem Verhalten zwischen Arbeitnehmern zu unterscheiden, die der Kirche angehören, und solchen, die einer anderen oder keiner Kirche angehören?

2. Sofern die erste Frage verneint wird:

a) Muss eine Bestimmung des nationalen Rechts, wie hier § 9 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG), (Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung), wonach eine solche Ungleichbehandlung aufgrund der Konfessionszugehörigkeit der Arbeitnehmer entsprechend dem jeweiligen Selbstverständnis der Kirche gerechtfertigt ist, im vorliegenden Rechtsstreit unangewendet bleiben?

b) Welche Anforderungen gelten gemäß Art. 4 Abs. 2 Unterabs. 2 der RL 2000/78/EG für ein an die Arbeitnehmer einer Kirche oder einer der dort genannten anderen Organisationen gerichtetes Verlangen nach einem loyalen und aufrichtigen Verhalten im Sinne des Ethos der Organisation?

Das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ausgesetzt.

Man darf der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs gespannt entgegen sehen und hoffen, dass das katholische Kirchenrecht nicht weiterhin dafür herhalten kann, bestehende Menschenrechte zu brechen.

Welche seltsamen „Blüten“ das Kirchenrecht treibt, können Sie auch unseren bisherigen Beiträgen zu diesem Thema entnehmen:

Kirchliches Arbeitsrecht noch zeitgemäß?

Kirchliches Arbeitsrecht: Bundesverfassungsgericht kassiert Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts!

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.07.2016