Der Diebstahl geringwertiger Speisen führt immer wieder zu Kündigungen:

bekanntester Fall in diesem Zusammenhang ist der Fall »Emmely«.

Die Kündigung der inzwischen verstorbenen Supermarktkassiererin wegen des Verdachts, einen Pfandbon im Wert von nur 1, 30 € unterschlagen zu haben, erklärte das Bundesarbeitsgericht (BAG) letztlich für unwirksam.

Kündigung ist unverhältnismäßig

In einem aktuellen Fall vor dem Arbeitsgericht (ArbG) Hamburg ging es nun um acht belegte Brötchenhälften. Diese hatte eine Krankenschwester aus dem Kühlschrank des Pausenraums genommen und mit ihren Kolleginnen verzehrt. Die Häppchen waren jedoch als Stärkung für externe Mitarbeiter vorgesehen, zum Beispiel für Rettungssanitäter. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin der – ordentlich unkündbaren – Krankenschwester nach 23 Dienstjahren fristlos.

Das Gericht entschied nun: Die Kündigung ist unverhältnismäßig. Vielmehr hätte der Entlassung zunächst eine Abmahnung als milderes Mittel vorausgehen müssen. Zwar könne auch die Entwendung geringwertiger Sachen grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Doch auch bei Handlungen, die gegen das Eigentum des Arbeitgebers gerichtet sind, sei eine Abmahnung nicht grundsätzlich entbehrlich. Letztlich müsse im Einzelfall geprüft werden, ob durch eine Abmahnung das verloren gegangene Vertrauen wieder hergestellt werden kann, begründete das Gericht seine Entscheidung.

Geringwertige Speisen: Abmahnung hätte genügt

Dabei sei zu berücksichtigen, ob die Arbeitnehmerin bei der Pflichtverletzung offen oder heimlich gehandelt habe und wie sie mit den Vorwürfen umgehe. Die Krankenschwester hatte umgehend eingeräumt, die Brötchen aus dem Kühlschrank genommen zu haben, weil ihr eigenes Essen gestohlen worden sei.

Dieses Verhalten sowie die knapp 23 Dienstjahre ohne Beanstandungen war der Krankenschwester zugute zu halten, sodass für das ArbG Hamburg eine Kündigung unverhältnismäßig war. Eine Abmahnung hätte in diesem Fall genügt. Allerdings ist die Entscheidung noch nicht rechtskräftig.

Anmerkung der Redaktion: Folgen für die Praxis

Er hat es schon wieder getan: Ein Arbeitgeber zieht das schärfste Schwert gegen den Bestand eines Arbeitsverhältnis wegen einer verzehrten Brötchenhälfte. Fristlose Kündigung nach 23 Beschäftigungsjahren! Die Auswirkungen für die Arbeitnehmer/-innen sind in diesen Fällen gravierend, denn mit Zugang der Kündigung werden die Lohnzahlungen eingestellt und die zuständige Agentur für Arbeit verhängt eine Sperrzeit von in der Regel zwölf Wochen. Zu der Unsicherheit über den Ausgang des Arbeitsgerichtsprozesses kommen unter Umständen noch finanzielle Schwierigkeiten hinzu.

Unkündbare sind oft unerwünscht

In vielen Tarifverträgen ist geregelt, dass Beschäftigte ab einer bestimmten Betriebszugehörigkeit und Lebensalter nicht ordentlich kündbar sind. Nach dem hier anwendbaren TV-KAH ist dies ab dem 40. Lebensjahr und mit mehr als 15 Jahren der Beschäftigung der Fall. In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass diese besonders geschützten Arbeitnehmer*innen aus vermeintlich geringen Anlässen außerordentlich gekündigt werden. Beispielsweise trifft es langjährige Mitarbeiter eines Hausmeisterservices, die sich regelmäßig zwischen zwei Aufträgen zum Kaffee treffen.


Was über viele Jahre geduldet wurde, ist plötzlich ohne Ankündigung ein Grund für eine Kündigung. Die Besatzung eines LKW zur Entsorgung von Sperrmüll sortiert noch verwendbare Gegenstände für den Eigengebrauch aus. Obwohl dies auch den Vorgesetzten seit Langem bekannt war, beendet der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis von einem Tag auf den anderen. Regelmäßig werden professionelle Detekteien engagiert, um solche Fälle »wasserdicht« zu machen. Dies alles dient dem Versuch, die Beschäftigten trotz besonderen Kündigungsschutzes loszuwerden.

Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung

Die Prüfung für eine außerordentliche Kündigung besteht aus zwei Stufen. Zunächst gilt es herauszufinden, ob der vorgeworfene arbeitsvertragliche Pflichtenverstoß »an sich« geeignet ist, einen Grund für die fristlose Beendigung abzugeben. Dies wird von der Rechtsprechung bei Diebstahl – auch bei Sachen von nur geringem Wert – ausdrücklich bejaht. Wer ohne Genehmigung Eigentum des Arbeitgebers wegnimmt, riskiert seinen Arbeitsplatz!


Allerdings findet auf der zweiten Stufe eine Abwägung darüber statt, ob unter Berücksichtigung des Einzelfalls dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Hier werden das Gewicht und die Auswirkungen einer Pflichtverletzung, der Grad des Verschuldens, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf berücksichtigt.


Insbesondere gilt bei Kündigungen aus verhaltensbedingten Gründen das so genannte Prognoseprinzip. Es geht gerade nicht um die Bestrafung für eine begangene Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, sondern um die Vermeidung weiterer Verstöße in der Zukunft.

Prognose spricht zu Gunsten der Arbeitnehmerin

Hier hat die Arbeitnehmerin nicht versucht, den Vorfall zu vertuschen. Vielmehr hat sie zugegeben, dass dies ein Fehler gewesen ist und damit Reue gezeigt. Auch wurden die Brötchen nicht heimlich aus dem Kühlschrank entnommen. Darüber hinaus hat sie sich durch die langjährige Vertragsbeziehung ohne Beanstandungen einen Vertrauensvorrat erarbeitet, der durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig beseitigt wird.


Dies spricht gegen das Risiko einer Wiederholung. Eine Abmahnung wäre hier als milderes Mittel absolut ausreichend gewesen, um das beschädigte Vertrauen in die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsverhältnisses wieder herzustellen.


Interessanterweise hat das Arbeitsgericht zusätzlich die Frage aufgeworfen, ob eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist möglich sein soll, wenn eine ordentliche Kündigung einzelvertraglich oder tarifvertraglich ausgeschlossen ist. Im Gegensatz zur betriebsbedingten Kündigung wäre bei einem Pflichtenverstoß das Arbeitsverhältnis auf Dauer nicht sinnentleert, sondern könnte normal fortgesetzt werden.


Eine Kündigung mit Auslauffrist darf faktisch nicht zu einer Umgehung der tarifvertraglichen Regelung führen, nach der langjährig Beschäftigte nur unter den sehr strengen Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung ihren Arbeitsplatz verlieren können.

(Dieser Artikel ist zuerst erschienen in: „AiB-Newsletter, Rechtsprechung für den Betriebsrat“ des Bund-Verlags, Ausgabe 14 vom 17. August 2015, www.aib-web.de - www.t1p.de/jvjs)


Das vollständige Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg können Sie hier nachlesen.