Begeht der Arbeitgeber bei der Erstattung einer nach § 17 KSchG erforderlichen Massenentlassungsanzeige Fehler, werden diese durch einen bestandskräftigen Bescheid der Agentur für Arbeit nach § 18, 20 KSchG nicht geheilt. Die Arbeitsgerichte sind durch einen solchen Bescheid nicht gehindert, die Unwirksamkeit der Massenentlassungsanzeige festzustellen

Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde?


Der Kläger war seit 1990 bei der Schuldnerin beschäftigt. Am 1. März 2009 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Auf der Grundlage eines noch während des vorläufigen Insolvenzverfahrens mit seiner Zustimmung geschlossenen Interessenausgleichs mit Namensliste vom 24. Februar 2009 kündigte der Beklagte am 11. März 2009 das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2009. Am 26. Februar 2009 hatte die Schuldnerin Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet, ohne den Interessenausgleich beizufügen. Der Anzeige war entgegen der gesetzlichen Anordnung in § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG auch keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt. Der Betriebsrat der Schuldnerin erklärte am 26. Februar 2009 allerdings schriftlich gegenüber der Agentur für Arbeit, er sei darüber informiert, dass eine Massenentlassungsanzeige abgesandt worden sei. Noch am 26. Februar 2006 bestätigte die Agentur für Arbeit den Eingang der Massenentlassungsanzeige. Später verkürzte sie die Sperrfrist. Der Kläger greift die Kündigung an, weil der Massenentlassungsanzeige keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt gewesen sei. Die Vorinstanzen sind dem gefolgt.

Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?


Die Revision des Beklagten hatte vor dem Sechsten Senat des BAG keinen Erfolg. Die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats, ersatzweise des Interessenausgleichs mit Namensliste, ist Voraussetzung für eine wirksame Massenentlassungsanzeige. Das Schreiben des Betriebsrats vom 26. Februar 2009 an die Agentur für Arbeit enthielt keine eindeutige, abschließende Meinungsäußerung zu den angezeigten Kündigungen und war deshalb keine ordnungsgemäße Stellungnahme iSv. § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG. Der Bescheid der Agentur für Arbeit über die Verkürzung der Sperrfrist hat den Formfehler nicht geheilt. Die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige ist von der Bindungswirkung eines solchen Bescheids nicht umfasst.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Nach § 17 Abs. 1 S. 1 KSchG müssen Arbeitgeber der Agentur für Arbeit Anzeige erstatten, bevor sie innerhalb eines Zeitraums von 30 Tagen eine im Gesetz abhängig von der Gesamtbelegschaftszahl festgelegte Anzahl von Arbeitnehmern die Kündigung aussprechen.

Der Arbeitnehmer gewann in diesem Fall und die vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung war unwirksam. Der Verstoß gegen die Mussvorschrift des § 17 KSchG hat die Unwirksamkeit der Kündigung auch dann zur Folge hat, wenn die Agentur für Arbeit die ihr nicht ordnungsgemäß angezeigte Massenentlassung nicht beanstandet hat.

Diese Entscheidung ist interessant, da bisher die Gerichte eine andere Ansicht vertreten hatte. Die bisher immer bejahende Bindungswirkung einer Entscheidung der Agentur für Arbeit, an die man im Kündigungsschutzprozess nicht mehr rütteln konnte, obwohl die Massenentlassungsanzeige Fehler beinhaltete, wurde aufgebeben. Das BAG hat nunmehr das LAG bestätigt, dass die Ansicht vertreten hat, nach welcher Arbeitsgerichte an die Entscheidung der Agentur für Arbeit nicht gebunden seien.
Sollte ein Arbeitnehmer gegen seine Kündigung vorgehen wollen, sollten im Verfahren alle Formalien geprüft und Fehler gerügt werden, und zwar auch, wenn das Formblatt der Agentur für Arbeit benutzt wird. Ein geschulter Blick kann hier vielleicht Fehler aufdecken, die dem Arbeitnehmer zu seinem Recht verhelfen.

Pressemitteilung des BAG zum Urteil vom 28.06.2012, Az: 6 AZR 780/10