Auch länger zurückliegende sexuelle Belästigung kann zur fristlosen Kündigung führen, wenn Arbeitgeber später davon erfährt.
Auch länger zurückliegende sexuelle Belästigung kann zur fristlosen Kündigung führen, wenn Arbeitgeber später davon erfährt.

Der 1962 geborene Kläger ist seit dem 01.03.1993 als Schlachtermeister und Abteilungsleiter bei der Beklagten beschäftigt, die drei Lebensmittelmärkte betreibt. Am 19.01.2015 hat er eine Scheibe Bauchfleisch oder durchwachsenen Speck mit einer Länge von 20 bis 30 cm und einem Wert von etwa 0,80 EUR gebraten und zum Teil aufgegessen. Hieraufhin kündigte die Beklagte das seit 22 Jahren bestehende Arbeitsverhältnis fristlos.

Ursprünglicher Kündigungsgrund: Nicht genehmigter Fleischverzehr im Wert von ca. 0,80 EUR.

Gegen diese Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Als Begründung brachte er vor, es habe sich um eine erforderliche Fleischprobe gehandelt. 


Erst nachdem die Arbeitgeberin ihrem langjährigen Mitarbeiter wegen des unerlaubten  Fleischverzehrs gekündigt hatte, erfuhr sie von einem Vorfall, der sich ungefähr ein Jahr zuvor zugetragen hatte. 

Der betroffene Abteilungsleiter hatte eine Mitarbeiterin in einem Raum umarmt und sexuell belästigt. Er hatte sie an die Wand gedrängt, umarmt und  ihr mit den Armen den Rücken hinab bis zum Po gestrichen. Dies hatte die Mitarbeiterin bis dahin nur der Marktleiterin erzählt.

Landesarbeitsgericht sieht Kündigung als gerechtfertigt an

Während das Arbeitsgericht Elmshorn der Klage des Klägers noch stattgab, kam das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein in seiner Entscheidung vom 10.11.2015 zu einem anderen Ergebnis. 

Unter Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung erachteten die Richter*innen der Berufungsinstanz die ausgesprochene fristlose Kündigung für rechtmäßig und wiesen die Kündigungsschutzklage ab.

Das Landesarbeitsgericht sah es nach der Beweisaufnahme als erwiesen an, dass die Angabe des Abteilungsleiters, dass es sich um eine zulässige Probe gehandelt habe, eine Schutzbehauptung gewesen sei. Der Kläger habe ein Vermögensdelikt zulasten seines Arbeitgebers begangen, was grundsätzlich einen Grund für eine Kündigung darstelle. 

Nach der Ansicht des Gerichts hätte der teilweise Verzehr einer von dem Kläger angebratenen Scheibe Bauchfleisch oder durchwachsenen Speck, trotz des langjährigen Arbeitsverhältnisses, angesichts der Vorgesetztenstellung, zumindest eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt.

Späte Kenntnis der Geschäftsführung eines sexuellen Übergriffs rechtfertigt fristlose Kündigung.

Ebenfalls als erwiesen sah das Landesarbeitsgericht nach der Beweisaufnahme an, dass der Kläger den sexuellen Übergriff auf die Mitarbeiterin ein Jahr zuvor begangen habe. Dies wertete das Gericht als wichtigen, die fristlose Kündigung rechtfertigenden, Grund. 

Zweiwochenfrist beginnt erst nach Kenntnis des Arbeitgebers.

Wirksam ist eine außerordentliche Kündigung nur, wenn der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt und die Kündigung innerhalb der zweiwöchigen Ausschlussfrist erfolgt. 

Da der Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung davon erfuhr, begann die Ausschlussfrist erst mit Beginn der Kenntnis des Arbeitgebers zu laufen.

Kenntnis der Marktleiterin ist der Arbeitgeberin nicht zuzurechnen.

Obwohl der Vorfall lange zurück lag, konnte dieser die Kündigung nach Ansicht des Berufungsgerichts aber dennoch begründen, da die Marktleiterin nicht die Erlaubnis des Opfers hatte, den Vorfall an die Geschäftsführung weiter zu melden. 

Da das Wissen der Marktleiterin dem Arbeitgeber nicht zuzurechnen, war, begann die zweiwöchige Ausschlussfrist erst zu dem Zeitpunkt zu laufen, an dem die Geschäftsführung hiervon Kenntnis erlangte. Angesichts der Schwere des Vorfalls befand das Gericht, dass es dem Arbeitgeber nicht zuzumuten war, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.

Das Landesarbeitsgericht ließ Revision zum Bundesarbeitsgericht nicht zu, wogegen der Kläger  Nichtzulassungsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht einlegte. Wie sich aus der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Schleswig Holstein vom18.02.2016 ergibt, hat das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers –Az:  2 AZN 1164/15 – zwischenzeitlich zurückgewiesen, sodass die Entscheidung des Landesarbeitsgericht in Rechtskraft erwachsen ist.

Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts Schleswig Holstein vom 18.02.2016 zum Urteil

Vollständiges Urteil Landesarbeitsgerichts Schleswig Holstein vom 10.11.2015


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