Wer sich bei einem Wutausbruch verletzt, hat trotzdem Anspruch auf Entgeltfortzahlung.
Wer sich bei einem Wutausbruch verletzt, hat trotzdem Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Die Entgeltfortzahlung entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet ist. Dies setzt ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst voraus. 

Hand gebrochen durch Wutanfall

Der Kläger arbeitet als Warenauffüller in einem Baumarkt in Osthessen und benutzt zum Warentransport einen Gabelstapler. Anfang August 2012 installierte der Kläger an diesem Gabelstapler ein provisorisches Plexiglasdach, um sich vor dem Wetter zu schützen.

Der betriebliche Sicherheitsbeauftragte rügte diese Vorrichtung und wies den Kläger an, sie zu entfernen. Darüber geriet er derart in Rage, dass er mindestens dreimal mit der Faust auf ein Verkaufsschild schlug und sich dabei die Hand brach.

Er war daraufhin einen Monat arbeitsunfähig krankgeschrieben. Seine Arbeitgeberin weigerte sich, für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung zu leisten. Der Kläger sei an seiner Verletzung selbst schuld. 

Entgeltfortzahlung entfällt nur bei grober Fahrlässigkeit

Das LAG Hessen, wie zuvor das Arbeitsgericht Offenbach, sprachen dem Kläger die Entgeltfortzahlung zu. Im Entgeltfortzahlungsrecht gilt ein eigener Verschuldensbegriff. Verschulden bedeute danach einen groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen.

Dieses setze ein besonders leichtfertiges, grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten gegen sich selbst voraus, befand das LAG. Ein solches Verschulden sei dem Kläger aber nicht vorzuwerfen. Er habe lediglich aus Wut und Erregung die erforderliche Kontrolle über sein Handeln verloren.

Ein solches Verhalten sei zwar nicht zu billigen, aber menschlich gleichwohl nachvollziehbar, da niemand in der Lage sei, sich jederzeit vollständig im Griff zu haben. Dies sei sicher leichtfertig gewesen, aber nicht derart schuldhaft, dass von besonderer Leichtfertigkeit oder grober Fahrlässigkeit die Rede sein könne.

Anmerkung

„Aber, aber mein Freund, wer wird denn gleich in die Luft gehen?“ An diesen Werbespot für Zigaretten mögen die hessischen Richter bei ihrer Urteilsbegründung gedacht haben. Ein Wutausbruch, bei dem der Wüterich einen Schaden verursacht, ist - mit den Worten des Gerichts - „nicht zu billigen“.

Gleichzeitig hat das Gericht deutlich gemacht, dass es einen solchen Ausbruch für „menschlich nachvollziehbar“ hält. Hierbei ist dem Kläger sicher zu Gute gekommen, dass er nur sich selbst geschädigt hat.

Man stelle sich vor, bei dem Wutausbruch wäre nicht nur die Hand des Klägers, sondern auch das von ihm bearbeitete Schild, der Gabelstapler oder gar der Sicherheitsbeauftragte zu Schaden gekommen. Dies hätte das Gericht wohl nicht mit dem Hinweis abgetan, man könne von niemandem erwarten, sich jederzeit vollständig im Griff zu haben.

Das Urteil sollte deshalb nicht als Freibrief für ungebremste Übellaunigkeit verstanden werden, sondern als Entscheidung des Einzelfalls. Ein Ausraster am Arbeitsplatz kann vorkommen und ist im Einzelfall auch verzeihlich, trotzdem sollte man sich nach Kräften bemühen, die Beherrschung zu bewahren.

Die Pressemitteilung zum Urteil des Landesarbeitsgerichts Hessen finden sie hier

 

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Im Praxistipp:
§ 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Entgeltfortzahlungsgesetz (Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall)

Rechtliche Grundlagen

§ 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall - Entgeltfortzahlungsgesetz

Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz)
§ 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall

(1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn

1. er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder

2. seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.

(2) Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Absatzes 1 gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Dasselbe gilt für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.

(3) Der Anspruch nach Absatz 1 entsteht nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses.