Es erscheint nicht als ausgeschlossen, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer Eigenkündigung im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen (Übelkeit, Kopfschmerzen, Weinkrämpfe) erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen. Die vorherige Eigenkündigung entkräftet die ärztliche Bescheinigung nicht.

Der Fall:

Die Klägerin war als Rechtsanwaltsfachangestellte beim Beklagten beschäftigt. Am 14. November übergab sie diesem die Kündigung zum 30. November. Der Anwalt fragte, ob sie bereit sei, unter Abgeltung des noch offenen Urlaubsanspruchs bis zum Monatsende weiter zu arbeiten. Die Antwort der Klägerin ist streitig. Der Anwalt verließ danach die Kanzlei. Bei seiner Rückkehr stellte er fest, dass die Angestellte die in ihrem Eigentum stehenden Gegenstände (Monitor, Funkmaus und Kaffeemaschine) aus den Büroräumen entfernt hatte.

Am Folgetag ging ihm eine - auf den Vortag ausgestellte - Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) seiner Angestellten zu. Diese war bis zum Monatsende krankgeschrieben. Der Anwalt kündigte seinerseits außerordentlich.

Er meint das Folgeverhalten der Angestellten zeige, dass sie tatsächlich nicht krank war, sondern bereits beim Ausspruch ihrer Kündigung beabsichtigte, sich ein Gefälligkeitsattest ausstellen zu lassen. Da sie ihm zugesagt habe, bis zum Ende der Kündigungsfrist weiterzuarbeiten, habe es überhaupt keinen Sinn ergeben, dass sie ihre persönlichen Gegenstände mitnahm. Zu diesem Zeitpunkt habe sie noch nicht ahnen können, dass sie erkranken würde. Nach ständiger Rechtsprechung komme es nach einer angekündigten Arbeitsunfähigkeit nicht darauf an, ob später tatsächlich Arbeitsunfähigkeit eintritt.

Die Entscheidung:

Das Hessische LAG wollte dieser Argumentation nicht folgen.

Dem Anwalt ist es nicht gelungen den Beweiswert der AU zu erschüttern oder gar zu entkräften. So erscheint es nicht als ausgeschlossen, ja nicht einmal als ungewöhnlich, dass eine Arbeitnehmerin nach Übergabe einer schriftlichen ordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses im Laufe desselben Tages gesundheitliche Störungen der von der Klägerin beschriebenen Art (Übelkeit bis zum Erbrechen, Kopfschmerzen, Weinkrämpfe) erleidet, die zu einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeit führen.

Zwar muss es sich dabei nicht um eine "Konfliktsituation" gehandelt haben. Jedoch kann im Einzelfall auch die Kündigung selbst - auch wegen des im Anschluss daran geführten Gesprächs über die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist - eine Situation darstellen, die zu einer Destabilisierung des kurz zuvor noch stabilen Gesundheitszustandes führen kann.

Dem widerspricht nicht die Tatsache, dass die Klägerin noch am Tage der Kündigungserklärung ihre persönlichen Gegenstände aus der Kanzlei entfernte. Denn dieses Verhalten ist nicht gleichzusetzen mit dem Verhalten der Arbeitnehmer in den vom Beklagten herangezogenen Fällen (BAG; Urt. v. 12.032009 - 2 AZR 251/07; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 13.12.2011 - 5 Sa 63/11).

In beiden Fällen hatten die Arbeitnehmer nämlich eine Arbeitsunfähigkeit für den Fall angekündigt, dass der Arbeitgeber nicht das gewünschte Verhalten (Genehmigung des Urlaubsgesuchs) zeigen würde. Ein damit vergleichbares Verhalten hat die Klägerin gerade nicht an den Tag gelegt. Sie hat weder vom Beklagten die Freistellung für den Rest des Arbeitsverhältnisses verlangt noch für den Fall der Ablehnung dieses Begehrens angekündigt, sie werde sich krankschreiben lassen.

Folgen für die Praxis:

Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen sehr hohen Beweiswert. Will der Arbeitgeber diesen erschüttern, so muss er einen konkreten Sachvortrag liefern. Bloße Behauptungen oder Vermutungen beziehungsweise Schlussfolgerungen genügen dafür nicht.
Kommt hinzu, dass der Arbeitgeber wegen einer aus seiner Sicht vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit eine außerordentliche Kündigung ausspricht, so trifft ihn für das Vorliegen eines wichtigen Grundes die volle Darlegung- und Beweislast.


Die Übergabe einer Kündigung, auch wenn es sich um eine Eigenkündigung handelt ist geeignet, eine Konfliktsituation heraufzubeschwören, obwohl dies nicht zwangsläufig so sein muss. Allein das Gespräch der Abwicklung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, kann zu einer Arbeitsunfähigkeit führen. Es kommt im Einzelfall immer auf den Verlauf an. Der Arbeitgeber hätte hier die Möglichkeit, den medizinischen Dienst der Krankenkasse einzuschalten, um feststellen zu lassen, ob tatsächlich eine Krankheit vorliegt, die den Arbeitnehmer an der Erbringung der Arbeitsleistung hindert.


Insbesondere hat das Gericht im vorliegenden Fall den Unterschied zu den Fällen herausgestellt, in welchen der Arbeitnehmer seinen Willen etwa auf bestimmte Urlaubstage nicht durchsetzen konnte. Wenn nämlich der Arbeitnehmer zum Ausdruck bringt, wenn ich nicht bekomme, was ich will, dann gehe ich zum Arzt und lasse mich krankschreiben, so ist der Sachverhalt ein anderer.


Gerade dies war nicht das Thema im vorliegenden Fall. Aus den Urteilsgründen ist zudem der genaue Wortlaut nicht bekannt. Zumal die Arbeitnehmerin durch das Mitnehmen der persönlichen Gegenstände vor Erteilung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arzt dann auch noch Tatsachen geschaffen hat. Insoweit sollte ein Arbeitnehmer vorsichtig sein.
Als Fazit bleibt: Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist grundsätzlich eine solche, welche vom Arbeitgeber erschüttert werden muss.

 


DGB Rechtsschutz GmbH, Margit Körlings

 

Das Urteil des hessischen LAG vom 01.12.2012, 7 Sa 186/12