Hoffentlich verletzt sich keiner . . . Copyright by Adobe Stock/Erica Guilane-Nachez
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Mit dieser Frage hatte sich das Landesarbeitsgericht Köln in seinem Urteil vom 30. Januar 2020 zu beschäftigen.

Eine Umarmung hat Folgen

Ein 24 Jahre alter Mann arbeitet als Servicetechniker in einer Kfz-Werkstatt. Außer ihm ist noch ein weiterer Mann in der Werkstatt beschäftigt.
Kurz vor Weihnachten 2018 kommt es vor Arbeitsbeginn zwischen diesen beiden Männern zu einer Rangelei. Dabei umklammert der Servicetechniker seinen Kollegen von hinten. Der wehrt sich gegen die „Umarmung“. Schließlich fallen beide zu Boden. Der Servicetechniker verletzt sich am Knöchel. Er ist deshalb knapp eine Woche arbeitsunfähig krank.
 

Der Arbeitgeber zeigt kein Mitleid

Er bringt kein Verständnis für das Verhalten seines Mitarbeiters auf. Insbesondere ist er nicht bereit, das Entgelt für die Zeit der Krankheit fortzuzahlen. Denn  - so der Arbeitgeber  - der Servicetechniker habe seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet.
 

Der junge Mann wehrt sich

Er klagt beim Arbeitsgericht und beantragt, den Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung zu verurteilen.
Das Arbeitsgericht weist die Klage ab. Es ist der Auffassung, eine Pflicht zur Entgeltfortzahlung bestehe für den Arbeitgeber nicht. Denn der Kläger trage selbst die Schuld an seiner Arbeitsunfähigkeit.
Mit dieser Entscheidung ist der Kläger nicht einverstanden. Er legt Berufung zum Landesarbeitsgericht ein.
 

Das Landesarbeitsgericht erläutert die Rechtslage

Zunächst weisen die Berufungsrichter*innen darauf hin, dass das Verschulden, von dem im Entgeltfortzahlungsgesetz die Rede sei, darin bestehe, Sorgfaltspflichten zu verletzen. Diese Sorgfaltspflichten bestünden aber nicht dem Arbeitgeber, Kolleg*innen oder Dritten, sondern allein der arbeitsunfähigen Person selbst gegenüber.

In einem zweiten Schritt stellt das Landesarbeitsgericht dann fest, dass zur Annahme eines solchen „Verschuldens gegen sich selbst“ nicht jede Fahrlässigkeit genüge, die eine Arbeitsunfähigkeit herbeiführe. Vielmehr sei erforderlich, dass ein grober Verstoß . . . gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse billigerweise zu erwartende Verhalten . . .“  vorliege. Im Anschluss fährt das Berufungsgericht fort, ein Verschulden liege nur vor, wenn die Arbeitsunfähigkeit auf ein  „ . . . unverständiges, ungewöhnlich leichtfertiges oder mutwilliges oder gegen die guten Sitten verstoßendes Verhalten . . .“  zurückzuführen sei.
Ein Ausschluss der Entgeltfortzahlung komme also „ . . . nur bei vorsätzlichem oder besonders leichtfertigen Verhalten in Betracht.“
 

„Alberner Körpereinsatz“

So bezeichnet das Landesarbeitsgericht die Umarmung des Arbeitskollegen durch den Kläger. Das sei zwar  - so die Richter*innen weiter  - eine  „ . . . unvernünftige postadoleszente Übergriffigkeit . . .“   Sie lasse deshalb eine Sorglosigkeit vermuten, die dem jungen männlichen Körper innezuwohnen scheine. Dessen ungeachtet könne man  - bezogen auf seine eigene Verletzung  - nicht von einem besonders leichtfertigen oder gar vorsätzlichen Verhalten des Klägers ausgehen. Der Kläger habe nicht einen persönlichen Konflikt gewalttätig austragen wollen. Vielmehr sei es ihm um ein kumpelhaftes Kräftemessen gegangen.
Diese Einschätzung stützt auch das „Opfer“ der Umarmung. Der Kollege des Klägers hat erklärt, es habe sich lediglich um einen „Spaß“ gehandelt. Als „Angriff“ habe er die Umarmung in keiner Weise empfunden.
 
Deshalb sei das Verhalten des Klägers nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts keinesfalls mit einem Fall vergleichbar, bei dem Arbeitnehmer*innen eine Schlägerei provozieren.
 

Das Landesarbeitsgericht ändert das erstinstanzliche Urteil ab

Das Berufungsgericht sah kein Eigenverschulden des Klägers. Es hat den Arbeitgeber deshalb verurteilt, das Entgelt für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit in Höhe von 640,00 € brutto fortzuzahlen.

Urteil LAG Köln vom 30. Januar 2020; Aktenzeichen 6 Sa 647/19

Rechtliche Grundlagen

Gesetz über die Zahlung des Arbeitsentgelts an Feiertagen und im Krankheitsfall (Entgeltfortzahlungsgesetz)

§ 3 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
(1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Wird der Arbeitnehmer infolge derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig, so verliert er wegen der erneuten Arbeitsunfähigkeit den Anspruch nach Satz 1 für einen weiteren Zeitraum von höchstens sechs Wochen nicht, wenn
1.
er vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate nicht infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war oder
2.
seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von zwölf Monaten abgelaufen ist.
(2) Als unverschuldete Arbeitsunfähigkeit im Sinne des Absatzes 1 gilt auch eine Arbeitsverhinderung, die infolge einer nicht rechtswidrigen Sterilisation oder eines nicht rechtswidrigen Abbruchs der Schwangerschaft eintritt. Dasselbe gilt für einen Abbruch der Schwangerschaft, wenn die Schwangerschaft innerhalb von zwölf Wochen nach der Empfängnis durch einen Arzt abgebrochen wird, die schwangere Frau den Abbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff von einer anerkannten Beratungsstelle hat beraten lassen.
(3) Der Anspruch nach Absatz 1 entsteht nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses.