

Maria wehrt sich vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung. Gleichzeitig verlangt sie von ihrem Arbeitgeber Entgeltfortzahlung.
Für die Frage der Beweislastverteilung sind die beiden Ziele von Marias Klage gesondert zu untersuchen.
Marias Kündigungsschutzklage
Der Arbeitgeber wirft Maria vor, dass sie unentschuldigt gefehlt habe, weil sie in Wirklichkeit gar nicht arbeitsunfähig sei.
Arbeitgeber muss Kündigungsgründe darlegen und beweisen
Dass Maria nicht zur Arbeit erschienen ist, wird sie in aller Regel nicht ernsthaft bestreiten können. Damit hat der Arbeitgeber einen möglichen Kündigungsgrund dargelegt, der unstreitig ist.
Maria muss „Rechtfertigungsgründe“ darlegen und beweisen
Jetzt ist es an Maria zu behaupten, dass sie nicht unentschuldigt gefehlt hat, weil sie krank war. Als Nachweis verweist sie darauf, dass ein Arzt ihr Arbeitsunfähigkeit bescheinigt hat („gelber Zettel“).
Liegt eine ärztliche Krankschreibung vor, geht das Gericht zunächst davon aus, dass Maria tatsächlich krank war. Denn die ärztliche Bescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Sie hat die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich (Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 21.03.1993, 2 AZR 543/95)
Arbeitgeber muss Krankschreibung erschüttern
Deshalb muss der Arbeitgeber jetzt Tatsachen vortragen, die geeignet sind, die ärztliche Krankschreibung zu erschüttern. Dazu ist erforderlich, dass er Argumente vorträgt, die ernsthafte Zweifel an Marias Arbeitsunfähigkeit aufkommen lassen und dadurch den Beweiswert der ärztlichen Bescheinigung zu erschüttern in der Lage sind (Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 19.2.1997, 5 AZR 83/96).
Ein solcher Anlass bestünde beispielsweise, wenn Maria nach der Ablehnung ihres Urlaubsantrags damit gedroht hat, dann sei sie „eben ab morgen krank“. Dasselbe gilt, wenn Maria selbst ordentlich kündigt, ihre persönlichen Sachen mitnimmt und sich am nächsten Tag krank meldet, oder wenn sie bereits auffallend häufig vor oder nach dem Wochenende gefehlt hat.
Aber auch das Verhalten des Arbeitnehmers während der attestierten Arbeitsunfähigkeit kann dazu dienen, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Arbeitet Maria während ihrer „Krankheit“ etwa bei einem anderen Arbeitgeber oder macht sie bei einem Marathonlauf mit, so ist der Beweiswert als erschüttert anzusehen.
Grenzen krankheitswidrigen Verhaltens
Nicht jedes Verhalten Marias ist geeignet, ernsthafte Zweifel an Marias Arbeitsunfähigkeit zu wecken. Eine arbeitsunfähige Arbeitnehmerin ist nicht grundsätzlich verpflichtet, sich nur zu Hause aufzuhalten. Mäßiger Sport, Spazierengehen, Einkaufen oder Arztbesuche erlauben je nach vorliegender Krankheit keinerlei Rückschluss auf eine bestehende Arbeitsfähigkeit. Es sind insofern immer die besonderen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.
Gutachten des medizinischen Dienstes
Oft gelingt es dem Arbeitgeber nicht, Zweifel an der Richtigkeit der ärztlichen Bescheinigung zu wecken. Das liegt unter anderem daran, dass er der ärztlichen Bescheinigung nicht entnehmen kann, aus welchem Grund der Arzt Maria krankgeschrieben hat. Deshalb kann der Arbeitgeber bei Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit von der Krankenkasse nach dem Sozialgesetzbuch V ein Gutachten des medizinischen Dienstes verlangen. Das darf die Krankenkasse nur ablehnen, wenn sich die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den ärztlichen Unterlagen ergibt.
Maria muss Zweifel ausräumen
Hat der Arbeitgeber es geschafft, Tatsachen vorzutragen, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Richtigkeit der ärztliche Bescheinigung geben, muss Maria darlegen und nachweisen, dass diese Zweifel unbegründet sind. Dazu ist in aller Regel erforderlich, dass sie ihre Diagnosen offenlegt und den Arzt von seiner Schweigepflicht entbindet.
Arbeitgeber muss fehlende Arbeitsunfähigkeit darlegen und nachweisen
Hat Maria die Diagnosen angegeben und den Arzt von der Schweigepflicht entbunden und der Arzt bestätigt vor Gericht seine Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit, besteht für den Arbeitgeber nur noch die Möglichkeit, die Einschätzung des Arztes zu widerlegen. Den dazu erforderlichen Tatsachenvortrag muss der Arbeitgeber beweisen.
Marias Klage auf Entgeltfortzahlung wegen Krankheit
Im Gegensatz zu einem Kündigungsschutzprozess ist es Maria, die beweisen muss, dass sie arbeitsunfähig ist, wenn sie Entgeltfortzahlung einklagt. Aber auch hier hat die von ihr vorgelegte Bescheinigung des Arztes denselben hohen Beweiswert. Und auch hier ist es dann Aufgabe des Arbeitgebers, den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern. Insofern gilt nichts anderes als bei einer Kündigungsschutzklage. Gelingt es dem Arbeitgeber die Richtigkeit der Bescheinigung zu erschüttern, wird Maria nichts anderes übrig bleiben, als die Diagnosen zu nennen und den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Bestätigt der Arzt seine Bescheinigung, muss der Arbeitgeber wie im Kündigungsschutzprozess Tatsachen vortragen und beweisen, die trotz der ärztlichen Aussage gegen eine Arbeitsunfähigkeit von Maria sprechen.
§ 275 SGB V