Tragen des Dienstausweises auf politischer Versammlung kann Pflichtverletzung sein. Ein solches Verhalten muss zunächst abgemahnt werden.
Tragen des Dienstausweises auf politischer Versammlung kann Pflichtverletzung sein. Ein solches Verhalten muss zunächst abgemahnt werden.


Das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat sich in seinem Urteil vom 11.08.2017 zu außerdienstlichen Loyalitätspflichten positioniert.

„Bürgerinitiative Ausländerstopp“

Der 1962 geborene Kläger ist als Straßenbahn- und Omnibusfahrer bei der beklagten Arbeitgeberin, einer Aktiengesellschaft beschäftigt. Die Beklagte ist die Verkehrsgesellschaft der Stadt Nürnberg. Der Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet.

Der Kläger sitzt im Stadtrat der Stadt Nürnberg, als Abgeordneter der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“. Bei der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ handelt es sich um eine rechtspopulistische Vereinigung.

Im Jahr 2014 hängte der Kläger in den Räumlichkeiten der Beklagten einen Antrag zur Gestaltung einer Straßenbahnhaltestelle aus. Diesen Antrag hatte der Kläger zuvor im Stadtrat eingebracht. Die Beklagte forderte den Kläger dazu auf, parteipolitische Äußerungen im Betrieb zu unterlassen.

Der Kläger entfernte sodann den Aushang wieder.

Im Juli 2014 wurde der Kläger von der Beklagten abgemahnt. Er trug an seiner Dienstjacke einen Ansteck-Pin mit den Farben der deutschen Reichsflagge. Im Juli 2016 wurde die Abmahnung von der Beklagten aus der Personalakte des Klägers entfernt.

Kläger nimmt an Demonstration teil

Im August 2016 nahm der Kläger an einer Demonstration der Partei „Die Rechte“ teil. Hierbei trug er - zeitweise sichtbar - seinen Dienstausweis. Im Rahmen der Demonstration trat der Kläger auch als Redner auf.

Betriebliche Regelungen, wonach das Tragen des Dienstausweises außerhalb des Dienstes untersagt ist, bestehen bei der Beklagten jedoch nicht.

Die Beklagte sah sich wegen der Teilnahme des Klägers im Nachgang der Demonstration einer kritischen Berichterstattung in der regionalen Presse ausgesetzt. Hierin sah die Beklagte eine Störung des Betriebsfriedens.

Arbeitgeberin kündigt Arbeitsverhältnis

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Die Beklagte war der Auffassung, eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses sei ihr nicht mehr zuzumuten.

Sie könne es nicht hinnehmen, mit der Partei „Die Rechte“ in Verbindung gebracht zu werden. Diese Partei propagiere rechtsextreme Parolen und werde vom Verfassungsschutz beobachtet. Während der Demonstration und seiner Rede habe der Kläger seinen Dienstausweis für andere sichtbar getragen. Dieser Vorfall stehe zudem im Einklang mit dem früheren, abgemahnten Verhalten.

Die Beklagte machte in diesem Zusammenhang auf ihre Stellung als Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs aufmerksam. Sie sei sich bewusst, dass viele ihrer Fahrgäste einen Migrationshintergrund haben oder gar Flüchtlinge sind. Daher habe sie sicherzustellen, dass sie ihre Aufgaben als Nahverkehrsversorger diskriminierungsfrei erledige. Das Handeln des Klägers stehe hierzu im Widerspruch.

Demgegenüber wandte der Kläger ein, dass er den Dienstausweis nicht mit Vorsatz sichtbar getragen habe. Vielmehr habe er den Ausweis in seine Hosentasche gestreckt. Er sei versehentlich wieder herausgerutscht. Seine außerdienstlichen Aktivitäten seinen von seiner beruflichen Tätigkeit zu trennen. Er habe mithin keinen Pflichtverstoß begangen.

Arbeitsgericht gibt Klage statt

Das Arbeitsgericht sah keine Pflichtverletzung des Klägers. Die Teilnahme an der Demonstration sei außerdienstliches Verhalten gewesen. Eine Kündigung wegen eines Pflichtverstoßes außerhalb der Arbeitszeit sei nur denkbar, wenn ein Bezug zum Arbeitsverhältnis bestehe. Ein solcher konkreter Bezug zum Arbeitsverhältnis liege nicht vor.

Im Gerichttermin vor dem Arbeitsgericht goss der Kläger aber noch mehr Öl ins Feuer: Er bezeichnete den Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten als „Mann mit zwei Gesichtern“, der ein doppeltes Spiel spiele, indem er sich nach Außen nüchtern gebe, aber hinter den Kulissen die wirtschaftliche Vernichtung des Klägers erreichen wolle.

Zudem äußerte der Kläger im Verfahren vor dem Arbeitsgericht mit markigen Worten, dass die Beklagte ihn wohl am liebsten ermorden wolle, dies aber lediglich aufgrund der Strafgesetze unterlasse.

Beklagte geht in Berufung

Die Beklagte betrachtete die fristlose Kündigung, jedenfalls aber die ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiterhin als rechtmäßig.

Im Berufungsverfahren vor dem LAG Nürnberg verlangte die Beklagte aber auch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung für den Fall, dass das Berufungsgericht der Kündigungsschutzklage stattgibt.

Jedenfalls aufgrund der polemischen Äußerungen des Klägers im Prozess sei eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses für die Beklagte nicht zumutbar.

Hintergrund: Auflösungsantrag und Abfindung

Damit eröffnet die Beklagte einen von zwei Fällen, in denen der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Abfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben kann. Denn § 9 des Kündigungsschutzgesetzes sieht die Möglichkeit vor, dass trotz Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird.

Dies freilich gegen Zahlung einer Abfindung. Der Auflösungsantrag ist begründet, wenn sich etwa aufgrund des Prozessverlaufes die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für eine Partei als unzumutbar darstellt und eine schwere (!) Belastung für die Zukunft zu erwarten ist.

Der zweite Fall, welcher Arbeitnehmern*innen einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung zugesteht, ist die Abfindungszahlung im Rahmen einer Sozialplan-Regelung.

Die oft in der prozessualen Praxis vor den Arbeitsgerichten anzutreffende Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung ist demgegenüber Resultat eines gerichtliche Vergleiches. Dieser ist seinerseits Ergebnis von Verhandlungen zwischen den Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

LAG: Keine schuldhafte Pflichtverletzung

Das LAG schloss sich dem Arbeitsgericht an und lehnt zudem den Auflösungsantrag ab. Sowohl außerordentliche als auch ordentliche Kündigung sind nach Ansicht des LAG unwirksam.

Eine fristlose Kündigung setzt zunächst eine erhebliche Verletzung einer arbeitsvertraglichen Haupt- oder Nebenflicht voraus. Eine Nebenpflichtverletzung kann sich auch aus außerdienstlichen Verhalten ergeben.

Den Arbeitnehmer trifft eine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers. Das LAG stellte fest, dass der Kläger mit dem sichtbaren Tragen des Dienstausweises gegen seine Loyalitätspflichten gegenüber der Beklagten verstoßen hat.

Allerdings stellt das LAG auch fest - und dies ist entscheidend -, dass dem Kläger keine Absicht unterstellt werden kann. Er habe somit nicht bewusst und schuldhaft gegen seine Pflicht zur Loyalität verstoßen.

Grundsätzlich muss erst abgemahnt werden

Zudem sieht das LAG hier die Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung als milderes Mittel. Denn auch wenn ein Kündigungsgrund vorliegt, scheidet eine Kündigung aus, wenn mildere Mittel und Reaktionen geeignet sind, den Arbeitnehmer von künftigen Vertragsverletzungen abzuhalten.

So sieht es das LAG im vorliegenden Fall: Eine einschlägige Abmahnung lag zum Zeitpunkt der Kündigung nicht mehr vor. Denn die einst erteilte Abmahnung war bereits aus der Personalakte entfernt worden. Sie durfte daher im Prozess nicht mehr berücksichtigt werden.

Zudem erkannte das LAG an, dass der Kläger im Nachgang der Abmahnung, wie auch schon bei vorangegangenen Personalgesprächen tatsächlich Besserung gezeigt hatte. Daher sei der Beklagten eine vorherige Abmahnung auch zumutbar gewesen.

LAG lehnt auch Auflösungsantrag ab

Auch dem Auflösungsantrag gab das LAG nicht statt. Das Gericht sah keine Gefahr für die zukünftige, den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit. Das Landesarbeitsgericht sah die Äußerungen des Klägers zu der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden als gerechtfertigt an.

Denn nach Ansicht des LAG sind auch polemische und unhöfliche Äußerungen im Prozess im Rahmen der Wahrnehmung berichtigter Interessen gerechtfertigt. Jedenfalls solange, wie ein sachlicher und nachvollziehbarer Bezug zu den maßgeblichen Rechtsfragen bestehe.

Die Grenze sei hierbei die persönlich Schmähung einer Person. Aber auch eine überzogene oder ausfällige Kritik stelle noch keine Schmähung dar. Eine solche sei nur anzunehmen, wenn allein die Diffamierung der Person beabsichtigt ist.

Das LAG sah in den Äußerungen des Klägers über den Aufsichtsratsvorsitzenden einen Bezug zu der Berichterstattung der Presse. So gab der Vorsitzende gegenüber der Presse an, die Vorfälle nüchtern klären zu wollen.

Polemik erlaubt, Schmähkritik nicht

Der Kläger empfand die dann erfolgte Kündigung allerdings dann als nicht mehr „nüchterne“ Maßnahme, sondern als Versuch ihn „fertig zu machen“. Der Kläger bewege sich daher mit seinen Äußerungen noch im Rahmen der Meinungsfreiheit.

Allerdings sieht das Berufungsgericht die Grenze zur Schmähkritik überschritten, was die weiteren Äußerungen des Klägers angeht. So sei die Unterstellung, es bestehe in der Person des Aufsichtsratsvorsitzenden Mordabsichten reine Schmähkritik.

Die Fortführung des Arbeitsverhältnisses sei für die Beklagte dennoch zumutbar. Denn eine negative Auswirkung auf den weiteren Verlauf des Arbeitsverhältnisses sei nicht zu erwarten. Es seien keine weiteren Berührungspunkte der beiden Protagonisten zu erwarten. Die notwendige Prognose einer schweren (!) Beeinträchtigung in der Zukunft kann das LAG somit nicht treffen.

Links

Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg

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Das sagen wir dazu:

Das Urteil des LAG macht deutlich, was außerhalb des Dienstes erlaubt ist und was nicht. Grundsätzlich gilt: „Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps“. Nach Beendigung der Arbeitszeit kann der Arbeitnehmer seine Freizeit nach eigenem Belieben gestalten. 

Höhere Loyalitätspflicht für Staatsbedienstete

Allerdings kommt es auch hier auf den Einzelfall an. Arbeitnehmer, die etwa im öffentlichen Bereich tätig sind, haben erhöhte Loyalitätspflichten. 

Diese ergeben sich daraus, dass die Arbeitnehmer*innen letztlich Repräsentanten des Staates und damit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind. So etwa wenn ein Angestellter des Öffentlichen Dienstes in den Räumen das Buches „Mein Kampf“ liest.

Den vorliegenden Fall hätte man auch anders entscheiden können. Immerhin ist der Kläger Beschäftigter eines kommunalen Unternehmens. Zwar ist die Beklagte eine Aktiengesellschaft, mithin also zivilrechtlicher Natur. Aber sie erfüllt einen öffentlichen Auftrag.

Wichtiger für die Entscheidung des LAG war, dass der Kläger keinerlei Absicht hatte, die Beklagte mit seiner politischen Tätigkeit in Verbindung zu bringen. Hätte es zuvor eine Abmahnung gegeben, wäre eine ordentliche Kündigung wohl sozial gerechtfertigt gewesen.

Rechtliche Grundlagen

§ 9 KSchG

§ 9 Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts; Abfindung des Arbeitnehmers

(1) 1Stellt das Gericht fest, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen. 2Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. 3Arbeitnehmer und Arbeitgeber können den Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses bis zum Schluß der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz stellen.

(2) Das Gericht hat für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses den Zeitpunkt festzusetzen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte.