EU-Mitgliedstaaten ist es verwehrt, für einen Unternehmensübergang vorzusehen, dass die Klauseln, die dynamisch auf erst nach dem Zeitpunkt des Übergangs verhandelte und abgeschlossene Kollektivverträge verweisen, auch gegenüber dem Erwerber durchsetzbar sind.

Der Fall:

Im britischen Ausgangsfall wurde eine Abteilung der öffentlichen Stadtverwaltung auf ein Privatunternehmen übertragen. Dieses übernahm auch die betroffenen Arbeitnehmer.

Solange die Abteilung noch der öffentlichen Verwaltung unterstand, galten für die Arbeitnehmer kraft Bezugnahmeklausel im Arbeitsvertrag die Arbeitsbedingungen, die im Rahmen des NJC, einem Tarifverhandlungsorgan auf der lokalen öffentlichen Ebene, ausgehandelt wurden. Diese Klausel bestimmt, dass sich die Arbeitsbedingungen nach den vom NJC periodisch ausgehandelten Tarifverträgen richten und durch auf lokaler Ebene geschlossene Vereinbarungen ergänzt werden." Zum Zeitpunkt des Übergangs auf das Privatunternehmen galt der Kollektivvertrag mit Laufzeit 01.04.2002 bis 31.03.2004.

Im Mai 2004 wurde die Abteilung auf ein weiteres Privatunternehmen übertragen. Dieses hingegen beteiligt sich nicht am NJC. Einen Monat später wurde im Rahmen des NJC eine neue Vereinbarung geschlossen. Diese trat rückwirkend zum 01.04.2004 in Kraft und galt bis Ende März 2007.

Der neue Betriebsinhaber war nun der Auffassung, da die Vereinbarung erst nach Übergang geschlossen wurde, sei diese für ihn nicht bindend. Er verweigerte den Arbeitnehmern die entsprechende Lohnerhöhung; diese erhoben daraufhin Klage.

Die Entscheidung:

Der Betriebsinhaber wurde nicht gebunden, entschied der EuGH.

Die Richter haben hierzu die „Richtlinie 2001/23/EG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen“ ausgelegt.

Besagte Richtlinie dient nicht lediglich dem Schutz der Arbeitnehmerinteressen bei einem Unternehmensübergang. Ebenso soll sie auch einen gerechten Ausgleich der Interessen zwischen Arbeitnehmer und Erwerber gewährleisten.

Hierzu gehört etwa, dass der Erwerber in der Lage sein muss, die für die Fortsetzung seiner Tätigkeit erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Vorliegend handelt es sich um einen Übergang eines Unternehmens vom öffentlichen auf den privaten Sektor, was aufgrund der zwingend bestehenden Unterschiede Anpassungen erforderlich macht.

Eine Klausel, die dynamisch auf nach dem Übergang des betreffenden Unternehmens verhandelte und geschlossene Kollektivverträge verweist, kann jedoch den benötigten Handlungsspielraum eines privaten Erwerbers erheblich einschränken. Da es dem Erwerber darüber hinaus nicht möglich ist, in dem betreffenden Tarifverhandlungsorgan mitzuwirken, kann er seine Interessen gerade nicht wirksam geltend machen. Unter diesen Umständen ist die Vertragsfreiheit des Erwerbers aber so erheblich reduziert, dass die unternehmerische Freiheit des Erwerbers im Sinne von Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union beeinträchtigt ist.

Folgen für die Praxis:

Die Europäische Union ist in erster Linie eine Wirtschaftsunion. Wirtschaftliche Interessen und Freiheitsrechte wiegen oft schwerer als gemeinsame soziale Standards. In jüngerer Vergangenheit wurde dies deutlich in den Entscheidungen „Viking“ und „Laval“, in denen der EuGH die Rechte der Gewerkschaften deutlich begrenzte. Auch die jetzt vorliegende Entscheidung könnte zu einer (Wieder-)Verschlechterung der Arbeitnehmerrechte in Deutschland führen.

Bis 2009 legte das Bundesarbeitsgericht Verweisungen auf einen Tarifvertrag als sogenannte „Gleichstellungsabrede“ aus. Auch wenn in Arbeitsverträgen auf den jeweils geltenden Tarifvertrag verwiesen wurde, sollte diese Verweisungen nach Auffassung des BAG nur tarifgebundene Beschäftigte (Gewerkschaftsmitglieder) und nicht tarifgebundene „gleichstellen“. Wenn der Arbeitgeber wechselte und der neue Arbeitgeber nicht mehr tarifgebunden war, sollte auch für alle Beschäftigten die dynamische Verweisung nicht mehr gelten, sondern nur noch die Bestimmungen des Tarifvertrags zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs.

Das BAG hat diese Rechtsprechung aufgegeben und wendet sie nur noch für Verträge an, die vor 2002 geschlossen wurden. Das Urteil des EuGH scheint nun ein Rückfall in alte Zeiten zu sein. Doch es bleibt abzuwarten, wie weit das Urteil in Deutschland umgesetzt wird. Der EuGH begründet es mit einer unangemessenen Einschränkung der unternehmerischen Freiheit. Tatsächlich hat ein Arbeitgeber in Deutschland nach einem Betriebsübergang noch Gestaltungsspielraum. Er kann – wenn es aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt ist - die Verweisung durch Änderungskündigung beenden. Oder er schließt einen eigenen (Haus-)Tarifvertrag ab, der dem Flächentarifvertrag vorgeht.

Betriebsräte und Gewerkschaften werden bei Betriebsübergängen verstärkt darauf achten müssen, dass Arbeitnehmerrechte nicht verloren gehen. Das Urteil des EuGH sorgt dabei für neue Schwierigkeiten.

Das Urteil des EuGH vom 18.07.2013, C-426/11