Trotz gleicher Betriebszugehörigkeit erhielt der Zusteller eine niedrigere Vergütung als andere. © Adobe Stock: Kzenon
Trotz gleicher Betriebszugehörigkeit erhielt der Zusteller eine niedrigere Vergütung als andere. © Adobe Stock: Kzenon

Nach geltendem europäischen Recht dürfen Arbeitgeber befristet und teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer*innen ohne sachlichen Grund nicht diskriminieren. In der deutschen Bestimmung dazu (§ 4 Abs. 2 TzBfG) heißt es u.a.:

 

„Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, so sind für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, es sei denn, dass eine unterschiedliche Berücksichtigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.“

 

Der Tarifvertrag der Deutschen Post AG gibt die Zuordnung vor

 

Der Entgelttarifvertrag der Deutschen Post AG regelt die Zuordnung zu den einzelnen Gruppenstufen einer jeden Entgeltgruppe. Die Entgeltgruppen orientieren sich jeweils an den zurückgelegten Tätigkeitsjahren. Die Tarifvorschrift enthält eine Stichtagsregelung.

 

Arbeitnehmer*innen, die ein Arbeitsverhältnis nach dem 30. Juni 2019 neu begründet hatten und am 30. Juni 2019 bereits in einem Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG standen, blieben mit der Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses der Gruppenstufe des bisherigen Arbeitsverhältnisses zugeordnet. Der Einstieg in ein höheres Tätigkeitsjahr wurde ihnen damit verwehrt.

 

Bei den am 30. Juni 2019 bereits unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer*innen kam es demgegenüber zu keinem derartigen Schnitt. Ihre Tätigkeitsjahre wurden durchgehend addiert.

 

Genaueres regelt eine Erklärung der Tarifvertragsparteien

 

Nach einer Erklärung der Tarifvertragsparteien zum Entgelttarifvertrag der DP AG stimmen die Tarifvertragsparteien darüber ein, dass ein neues Arbeitsverhältnis auch dann begründet wird, wenn sich an ein bisher befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anschließt.

 

Der Kläger war bei der Beklagten bereits seit Anfang 2018 und ohne Unterbrechung mehrfach befristet als Verbundzusteller beschäftigt. Erst Ende 2019 entfiel seine Befristung. Aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung finden die Tarifverträge der Deutschen Post AG auf sein Arbeitsverhältnis Anwendung.

 

Die Beklagte ging im Fall des Klägers von der Neubegründung des Arbeitsverhältnisses nach dem 30. Juni 2019 aus. Sie verwies zur Begründung dafür auf die Erklärung der Tarifvertragsparteien.

 

Der Zusteller war nicht einverstanden und machte, vertreten durch die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Würzburg, einen höheren Tariflohn geltend.

 

Die Argumente des Klägers überzeugten

 

Die Zuordnung zu einer niedrigeren Gruppenstufe sei fehlerhaft, hießt es in der Klagebegründung. Bei einer durchgehend unbefristeten Beschäftigung hätte der Kläger am 30. Juni 2019 sowie am 1. Juli 2019 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten gestanden. Er hätte er das höhere Tätigkeitsjahr dadurch früher erreicht als von der Beklagten errechnet.

 

Nach Auffassung des Klägers diskriminiert die Erklärung der Tarifvertragsparteien befristet Beschäftigte nach § 4 Abs. 2 TzBfG in unzulässiger Weise.

 

Das Arbeitsgericht Würzburg teilte die Auffassung des Klägers. Dieser habe sein Arbeitsverhältnis nach dem 30. Juni 2019 nicht neu begründet. Daran ändere auch die Erklärung der Tarifvertragsparteien nichts.

 

Das Gericht stellt einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot fest

 

Diese Vereinbarung verstoße gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz. Seien bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, müsse der Arbeitgeber für befristet beschäftigte Arbeitnehmer*innen dieselben Zeiten berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer*innen. Etwas anderes gelte nur, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Berücksichtigung rechtfertigten (§ 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG).

 

Diese Bestimmung konkretisiere den Grundsatz der Nichtdiskriminierung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes und stelle klar, dass der Arbeitgeber u.a. bei Entgeltansprüchen, die von zurückliegenden Beschäftigungszeiten abhingen, dieselben Zeiten wie für unbefristet Beschäftigte berücksichtigen müsse.

 

Eine Europäische Richtlinie regelt den Schutz vor Diskriminierung

 

Das gebe eine Europäische Richtlinie vor, so das Arbeitsgericht. Der Grundsatz der Nichtdiskriminierung verlange, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürften, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt sei.

 

Das Bundesarbeitsgericht habe dazu in seiner früheren Rechtsprechung die Auffassung vertreten, dass das Teilzeit- und Befristungsgesetz nur eine Ungleichbehandlung während der Dauer der Befristung verbiete. Es schütze Arbeitnehmer*innen, die im Anschluss an ein befristetes Arbeitsverhältnis ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitgeber eingingen nicht vor einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen.

 

In seiner neueren Rechtsprechung habe der Europäische Gerichtshof einen anderen Ansatz gewählt und den Anwendungsbereich der Richtlinie erheblich ausgedehnt. Danach könnten sich auch solche Arbeitnehmer*innen auf geltendes Europäisches Recht berufen, die zwischenzeitlich unbefristet beschäftigt seien.

 

Das Bundesarbeitsgericht änderte seine Rechtsprechung

 

Das Bundesarbeitsgericht habe im Anschluss daran seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und sich der Ansicht des Europäischen Gerichtshofs angeschlossen.

 

Die Erklärung der Tarifvertragsparteien der DP AG, wonach es sich um die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses handele, wenn sich an ein bisher befristetes Arbeitsverhältnis ein unbefristetes Arbeitsverhältnis anschließe, sei rechtswidrig. Sie verstoße gegen § 4 Abs. 2 Satz 3 TzBfG.

 

Zu einer Regelung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst habe das Bundesarbeitsgericht schon festgestellt, dass die Zuordnung zu einer Entgeltstufe nach einer Einstellung nicht neu zu laufen beginne, wenn zuvor bereits mit demselben Arbeitgeber ein gleichartiges Beschäftigungsverhältnis bestanden habe.

 

Stufenlaufzeiten aus früheren, befristeten Arbeitsverhältnissen, die nicht berücksichtigt würden, verstießen gegen geltendes Recht. Verrichteten Arbeitnehmer*innen in befristeten Arbeitsverhältnissen identische Aufgaben wie Dauerbeschäftigte, erlangten sie die gleiche Berufserfahrung.

 

Die gleichen Erwägungen gelten hier

 

Der Kläger sei seit 2018 unverändert und ohne zeitliche Unterbrechung als Verbundzusteller beschäftigt. Die Beklagte behandele ihn anders als Arbeitnehmer*innen, die zum 30. Juni 2019/1. Juli 2019 bereits in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden hätten.

 

Die Berufserfahrung der durchgehend unbefristet Beschäftigten honoriere die Beklagte bei gleich langen Beschäftigungszeiten höher als diejenige der befristet Beschäftigten, indem sie diese fortlaufend addiere.

 

Problematisch sei in diesem Fall nicht, ob die Tarifvertragsparteien aus Gründen der Praktikabilität Stichtagsregelungen einführen dürften, sondern:

 

Dürfe die Beklagte diejenigen Arbeitnehmer*innen, die vor einem Stichtag befristet beschäftigt waren, anders behandeln als Arbeitnehmer*innen, die schon zum Stichtag in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis gestanden hätten?

 

Die unterschiedliche Behandlung ist nicht gerechtfertigt.

 

Ein sachlicher Grund im Sinne des Teilzeit- und Befristungsgesetzes bestehe nur, wenn die Ungleichbehandlung einem echten Bedarf entspreche und darüber hinaus geeignet und erforderlich sei, das verfolgte Ziel zu erreichen. Erforderlich seien konkrete Umstände, die die Differenzierung rechtfertigten. Dafür bedürfe es objektiver und transparenter Kriterien.

 

Geeignet seien nur solche Kriterien, die nicht abstrakt und allgemein auf die Beschäftigungsdauer abgestellten. Eine Ungleichbehandlung könne aufgrund der besonderen Art der Aufgaben und deren Wesensmerkmale durchaus gerechtfertigt sein. Auch die Verfolgung eines legitimen sozialpolitischen Zieles lasse eine Rechtfertigung zu.

 

Der Tarifvertrag rechtfertigt die Ungleichbehandlung nicht

 

Eine allgemeine abstrakte Regelung - wie etwa ein Tarifvertrag - könne die unterschiedliche Behandlung befristeter Beschäftigter und Dauerbeschäftigte für sich allein genommen nicht rechtfertigen. Der bloße Umstand, dass es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis handele, reiche als sachlicher Grund für die ungleiche Behandlung nicht aus.

 

Die Beklagte habe im Verfahren auf finanzielle Erwägungen wie eine massive Mehrbelastung mit Personalkosten hingewiesen. Diese Erwägungen stellten keinen sachlichen Grund dar.

 

Wegen des Verstoßes der anwendbaren Tarifvorschrift gegen das Teilzeit- und Befristungsgesetz sei die entsprechende Regelung des Tarifvertrages der DP AG rechtsunwirksam. Der Arbeitgeber dürfe sie nicht anwenden und müsse den Kläger mit den zum Stichtagszeitpunkt unbefristet beschäftigten Arbeitnehmer*innen gleich behandeln.

 

Die geltend gemachten Nachzahlungen stehen dem Kläger zu. Der Arbeitgeber muss den Lohn nun nachzahlen.

 

Hier geht es zum Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg.

 

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 4 Abs. 2 TzBfG

(1)…
(2) Ein befristet beschäftigter Arbeitnehmer darf wegen der Befristung des Arbeitsvertrages nicht schlechter behandelt werden, als ein vergleichbarer unbefristet beschäftigter Arbeitnehmer, es sei denn, dass sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung, die für einen bestimmten Bemessungszeitraum gewährt wird, mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Beschäftigungsdauer am Bemessungszeitraum entspricht. Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, so sind für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, es sei denn, dass eine unterschiedliche Berücksichtigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.. Einem befristet beschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung, die für einen bestimmten Bemessungszeitraum gewährt wird, mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Beschäftigungsdauer am Bemessungszeitraum entspricht. Sind bestimmte Beschäftigungsbedingungen von der Dauer des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in demselben Betrieb oder Unternehmen abhängig, so sind für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Zeiten zu berücksichtigen wie für unbefristet beschäftigte Arbeitnehmer, es sei denn, dass eine unterschiedliche Berücksichtigung aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist.