Putzen, kochen, aufräumen: 75,6 Millionen zumeist weibliche Hausangestellte gibt es auf der Welt. In Europa sind der ILO zufolge 85 Prozent der Hausangestellten Frauen.  © Adobe Stock - Von thodonal
Putzen, kochen, aufräumen: 75,6 Millionen zumeist weibliche Hausangestellte gibt es auf der Welt. In Europa sind der ILO zufolge 85 Prozent der Hausangestellten Frauen. © Adobe Stock - Von thodonal

Neben der unmittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts gibt es auch mittelbare Diskriminierung. Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen. Das definiert § 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).


§ 2 AGG untersagt, Menschen in Bezug auf den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und der Gesundheitsdienste, zu benachteiligen. Das AGG soll gleich mehrere Richtlinien der Europäischen Union (EU) umsetzen, was leider nur unzureichend geschehen ist. Eine der Richtlinien ist die Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit. Die Mitgliedstaaten der EU sind verpflichtet, diese Richtlinie in Ihre nationalen Gesetze zu übernehmen.

In Spanien sind Hausangestellte von der Arbeitslosenversicherung ausgenommen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat kürzlich einen Fall aus Spanien entschieden, in dem es um mittelbare Diskriminierung von Frauen in sozialen Sicherungssystemen ging.


Teresa Rodrigues (Name von der Redaktion geändert) ist Hausangestellte in einem privaten Haushalt. Seit Januar 2011 ist sie im Besonderen System der sozialen Sicherheit für Hausangestellte versichert, einem Teil der spanischen Sozialversicherung. Eine Besonderheit besteht darin, dass es in diesem System keine Arbeitslosenversicherung gibt. Art. 251 des spanischen Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes lautet: „Der Schutz des Besonderen Systems für Hausangestellte umfasst nicht den Schutz bei Arbeitslosigkeit“.

Teresa Rodrigues beantragt, dass sie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen kann

Am 8. November 2019 beantragte Frau Rodrigues beim spanischen Allgemeinen Sozialversicherungskasse (Tesorería General de la Seguridad Social - TGSS), dass sie Beiträge zur Arbeitslosenversicherung leisten kann, damit sie gegebenenfalls einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat. Dem Antrag war die schriftliche Zusage ihrer Arbeitgeberin beigefügt, den erforderlichen Beitrag zu entrichten.


Mit Bescheid vom 13. November 2019 lehnte die TGSS den Antrag mit der Begründung ab, dass Frau Rodrigues im Besonderen System für Hausangestellte versichert sei. Daher sei eine Versicherung in der TGSS ausgeschlossen. Dieser Bescheid wurde mit Widerspruchsbescheid der TGSS vom 19. Dezember 2019 bestätigt.

Weil europäisches Recht betroffen ist, legte das spanische Gericht dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vor

Am 2. März 2020 erhob Teresa Rodrigues Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht (Juzgado de lo Contencioso-Administrativo). Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, dass die entsprechende Vorschrift der LGSS weibliche Hausangestellte - die die übergroße Mehrheit dieser Beschäftigungsgruppe bildeten - im Bereich der sozialen Sicherheit aufgrund des Geschlechts mittelbar diskriminiere.


Das spanische Verwaltungsgericht hat dem EuGH die Angelegenheit zur Vorabentscheidung vorgelegt, und zwar mit folgenden Vorlagefragen:

 

  1. Sind die Richtlinien 79/7 und 2006/54 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Vorschrift wie Art. 251 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes entgegenstehen, der lautet: „Der Schutz des Besonderen Systems für Hausangestellte umfasst nicht den Schutz bei Arbeitslosigkeit“?
  2. Sollte die erste Frage bejaht werden, ist dann die genannte gesetzliche Vorschrift als Beispiel verbotenen Diskriminierung anzusehen, weil von der fraglichen Bestimmung fast ausschließlich Frauen betroffen sind?

Objektive Gründe, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, können eine Ungleichbehandlung rechtfertigen

Der EuGH stellte in seinem Urteil vom Februar 2022 fest, dass die Richtlinie zur Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit einer nationalen Bestimmung entgegensteht, mit der Leistungen bei Arbeitslosigkeit von Leistungen der sozialen Sicherheit ausgenommen werden, sofern diese Bestimmung weibliche Beschäftigte gegenüber männlichen Beschäftigten in besonderer Weise benachteiligt. Das gelte nur dann nicht, wenn das durch objektive Gründe gerechtfertigt sei, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun hätten.


Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist nach Auffassung des EuGH in einer Situation zu sehen, in der dem Anschein nach neutrale Bestimmungen Personen des einen Geschlechts gegenüber Personen des anderen Geschlechts in besonderer Weise benachteiligen. Das würde nur dann nicht gelten, wenn die Bestimmungen sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig sind. Der Gerichtshof stellt klar, dass das spanische Gericht zu prüfen haben wird, ob dies vorliegend der Fall ist.

In der Gruppe der Hausangestellten sind in Spanien angeblich über 95 Prozent Frauen

Der EuGH weist dabei auf Folgendes hin: nach der spanischen Regelung haben alle Arbeitnehmer, die dem Allgemeinen System der sozialen Sicherheit, in das das Besondere System für Hausangestellte integriert ist, angehören, grundsätzlich Anspruch auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Der Anteil weiblicher und männlicher Arbeitnehmer sei in Spanien offenbar weitgehend gleich. In der Gruppe der Hausangestellten sei das Verhältnis jedoch völlig anders, da Frauen angeblich über 95 Prozent dieser Gruppe ausmachten.


Der Anteil der weiblichen Arbeitnehmer, die von der sich aus dem fraglichen Ausschluss ergebenden Ungleichbehandlung betroffen seien, sei also erheblich höher als der Anteil der männlichen Arbeitnehmer. Daher würde die nationale Regelung weibliche Arbeitnehmer in besonderer Weise benachteiligen und damit eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts enthalten. Sie verstoße somit gegen die Richtlinie, es sei denn, sie diene einem legitimen Ziel der Sozialpolitik und sei zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich.

Der Ausschluss der Hausangestellten vom Schutz bei Arbeitslosigkeit soll mit den Besonderheiten des Berufs zusammenhängen

Die spanische Regierung und die TGSS haben geltend gemacht, dass der Ausschluss der Hausangestellten vom Schutz bei Arbeitslosigkeit mit den Besonderheiten des Berufs zusammenhänge, etwa dem Status der Arbeitgeber. Er diene dazu, das Beschäftigungsniveau stabil zu halten und illegale Beschäftigung und Sozialbetrug zu bekämpfen. Der Gerichtshof bestätigt, dass diese Ziele legitime sozialpolitische Ziele seien. Jedoch sei die spanische Regelung nicht geeignet, diese Ziele zu erreichen. Sie werde im Hinblick auf diese Ziele nicht kohärent und systematisch angewandt.

EuGH: Die spanische Regelung ist nicht geeignet, gerechtfertigte sozialpolitische Ziele zu erreichen

Die Hausangestellten unterschieden sich nämlich in qualifizierter Weise nicht von Beschäftigungsgruppen, die ebenfalls am Wohnsitz nicht gewerbsmäßiger Arbeitgeber tätig seien, aber dem Schutz der Arbeitslosenversicherung unterstünden, so der EuGH. Außerdem hätten Versicherte im Besonderen System für Hausangestellte grundsätzlich Anspruch auf alle Leistungen des spanischen Allgemeinen Systems der sozialen Sicherheit außer den Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Insbesondere decke das Besondere System u. a. die Risiken Arbeitsunfall und Berufskrankheit ab. Da diese anderen Leistungen von der Gefahr des Sozialbetrugs genauso betroffen sein dürften wie die Leistungen bei Arbeitslosigkeit, würde es hier ebenfalls an Kohärenz fehlen.


Letztlich gehe die spanische Regelung auch über das hinaus, was zur Erreichung der Ziele erforderlich sei, konstatiert der Gerichtshof. Der Ausschluss vom Schutz bei Arbeitslosigkeit würde bedeuten, dass Hausangestellte auch keine anderen Leistungen der sozialen Sicherheit erhielten, auf die sie Anspruch hätten und deren Gewährung vom Erlöschen des Anspruchs auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit abhänge. Dieser Ausschluss würde daher zu noch weniger sozialem Schutz und dadurch zu einer sozialen Notlage führen.
Hier geht es zur Entscheidung des EuGH:

Rechtliche Grundlagen

Rechtsgrundlagen:
Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit:
Artikel 4
Inhalt des Gleichbehandlungsgrundsatzes
(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet den Fortfall jeglicher unmittelbaren oder mittelbaren Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand, und zwar im Besonderen betreffend: - den Anwendungsbereich der Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu den Systemen, - die Beitragspflicht und die Berechnung der Beiträge, - die Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie die Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf die Leistungen.
(2) Der Grundsatz der Gleichbehandlung steht den Bestimmungen zum Schutz der Frau wegen Mutterschaft nicht entgegen.

Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen (Gleichbehandlungsrichtlinie):
Artikel 5
Diskriminierungsverbot
Unbeschadet des Artikels 4 darf es in betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben, insbesondere hinsichtlich
a) des Anwendungsbereichs solcher Systeme und die Bedingungen für den Zugang zu ihnen,
b) der Beitragspflicht und der Berechnung der Beiträge,
c) der Berechnung der Leistungen, einschließlich der Zuschläge für den Ehegatten und für unterhaltsberechtigte Personen, sowie der Bedingungen betreffend die Geltungsdauer und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs.