In der Urteilsbegründung führte das Bundesarbeitsgericht (BAG) aus, die Beklagte habe den ihr zustehenden Gestaltungs- und Ermessensspielraum nicht überschritten. Dies bezieht sich zum einen auf die Einschätzung, die bei der Fertigung von Schuhen körperlich schwere Arbeit leistenden Arbeitnehmer*innen bedürften nach Vollendung ihres 58. Lebensjahres längerer Erholungszeiten als jüngere Beschäftigte. Zudem gälte dies auch für ihre Annahme, zwei weitere Urlaubstage seien aufgrund des erhöhten Erholungsbedürfnisses angemessen.

Die vom Arbeitgeber freiwillig begründete Urlaubsregelung muss zum Schutz älterer Beschäftigter geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Satz 2 AGG sein. Dies sah das BAG hier als gegeben an und stellte außerdem fest, dass dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzungsprärogative zusteht.

Anmerkung der Redaktion:

Das BAG hat in der mündlichen Urteilsbegründung klargestellt, dass es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt. Erhalten ältere Arbeitnehmer*innen mehr Urlaubstage als jüngere, so stellt dies eine Ungleichbehandlung dar. In diesem Fall war das Gericht der Ansicht, dass diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Zum einen deshalb, weil es nur um 2 Urlaubstage geht und es das Verhältnis von 36 zu 34 Urlaubstagen wegen des erhöhten Erholungsbedarfs älterer Mitarbeiter gerechtfertigt findet. Wichtig dabei: Es handelt sich hier um eine körperlich anstrengende Tätigkeit. Zum anderen stellte das Gericht auch darauf ab, dass der Manteltarifvertrag der Schuhindustrie, der mangels Tarifbindung der Parteien keine Anwendung findet, ebenfalls zwei zusätzliche Urlaubstage ab dem 58. Lebensjahr vorsieht. 

Eine Grundsatzentscheidung ist das Urteil des BAG danach nicht. Allerdings äußert sich das Gericht  in den Entscheidungsgründen auch zum Teil allgemein zur Problematik, was sicher auf andere Fälle übertragbar ist.

Bei körperlich belastender Arbeit steigt Erholungsbedürfnis im Alter

Keine Bedenken hat das BAG bei der Annahme eines Erfahrungssatzes dahin gehend, dass bei körperlich belastenden Berufen das Erholungsbedürfnis im höheren Alter steigt. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass die physische Belastbarkeit mit zunehmendem Alter abnimmt.

Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten dürfe der Arbeitgeber seinen Gestaltungsspielraum ausnutzen und davon ausgehen, dass typischerweise das Alter in belastenden Berufen  ein Grund für ein gesteigertes Erholungsbedürfnis und damit für mehr Urlaubstage sei.

Individuelle Prüfung des Erholungsbedürfnisses kann nicht verlangt werden

Es bestünde auch keine Verpflichtung der Arbeitgeberin, zusätzliche Urlaubstage nur nach dem individuell ermittelten Erholungsbedarf unter Einbeziehung altersunabhängiger Belastungsfaktoren sowie unter Berücksichtigung des individuellen Alterungsprozesses zu gewähren. Das BAG räumte ein, dass es weitere Belastungsfaktoren gibt, wie Pflege und Betreuung von Kindern, die zu einem gesteigerten Erholungsbedarf führen können. Das BAG argumentiert hier recht pragmatisch, aber sicher realitätsnah: Eine solche individuelle Regelung wäre in vielerlei Hinsicht praktisch nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten handhabbar. Dafür beruft sich das BAG auf den Europäischen Gerichtshof. Dieser hat anerkannt, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Regelung im Hinblick auf das Verbot der Altersdiskriminierung zu beachten sei, dass die fragliche Regelung in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht handhabbar bleiben müsse. Es könne nicht generell verlangt werden, dass immer jeder Einzelfall individuell geprüft werde.

 

Silke Clasvorbeck, Rechtsschutzsekretärin und Onlineredakteurin Bielefeld

 

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Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts: Urteil vom 21. Oktober 2014 - 9 AZR 956/12

Vollständiges Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12