Auch Europa bietet keinen Schutz für Scheinbewerbungen
Auch Europa bietet keinen Schutz für Scheinbewerbungen

Beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ist die Klage eines Rechtsanwaltes anhängig, der sich 2009 auf eine Trainee-Stelle bei der R+V-Versicherung beworben und nach der Absage Entschädigungsansprüche wegen Ungleichbehandlung geltend gemacht hatte. Dieser scheiterte in zwei Instanzen. Das Arbeitsgericht Wiesbaden und das Landesarbeitsgericht Hessen vermochten eine Diskriminierung wegen des Alters oder wegen des Geschlechts nicht zu erkennen. 

Das BAG sah eine Scheinbewerbung woraus sich nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) keine Ansprüche ergäben. Für klärungsbedürftig hielt das BAG die Frage, ob auch Entschädigungsansprüche nach Europarecht für Scheinbewerbungen ausgeschlossen sind. Über das Verfahren und den Vorlagenbeschluss des BAG hatten wir berichtet:

"Entschädigung wegen Ungleichbehandlung auch bei Scheinbewerbung?"

Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts

Das BAG hatte den EuGH gefragt, ob die EU-Gleichbehandlungsrahmenrichtlinien (RL 2000/78 und 2006/54) so auszulegen sind, dass auch derjenige „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können. Falls diese Frage bejaht wird, wollte das BAG wissen, ob eine Situation, in der der Status als Bewerber nicht im Hinblick auf eine Einstellung und Beschäftigung, sondern zwecks Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erreicht wurde, nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden kann.

Europäischer Gerichtshof  beantwortet beide Vorlagefragen

Ein Sachverhalt, der Merkmale aufweist, wie sie in der Vorlageentscheidung beschrieben sind, fällt grundsätzlich nicht in den Geltungsbereich der Richtlinien 2000/78 und 2006/54, so der EuGH in seiner Entscheidung. Diese Richtlinien betreffen den Bereich Beschäftigung und Beruf bzw. Arbeit und Beschäftigung. Derjenige, der keinen Zugang zu einer Beschäftigung begehrt, sondern sich allein deswegen auf eine Stelle bewirbt, um auf Grundlage des formalen Status als Bewerber Zugang zu Entschädigungsansprüchen zu haben, könne nicht den Schutz der Richtlinien zur Antidiskriminierung und Gleichbehandlung von Mann und Frau beanspruchen.

Ein solches Verhalten könne auch nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts rechtsmissbräuchlich sein. Der EuGH wies darauf hin, dass sich nach seiner ständigen Rechtsprechung niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Union berufen darf.

Weder Opfer noch Schaden bei Scheinbewerbung 

Der EuGH stellte dabei auf die Ziele der Richtlinien ab, die nationalen AGG zugrunde liegen. Hier gehe es um "Schutz vor Diskriminierung", "Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf" und beim "Zugang zu Beschäftigung". Werde tatsächlich gar nicht die Aufnahme einer Tätigkeit erstrebt, könne die jeweilige Person weder "Opfer" einer Diskriminierung sein, noch könne ihr ein Schaden im Sinne des Richtlinienrechts entstehen.

Auch ein rechtsmissbräuchliches Verhalten sei nach Unionsrecht denkbar. Das setze in objektiver Hinsicht Anhaltspunkte dafür voraus, dass wesentlicher Zweck der fraglichen Handlungen die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils ist und subjektiv eine entsprechende Absicht des Handelnden. 

Anmerkung der Redaktion zu Entschädigung bei Scheinbewerbung:

Das AGG wurde geschaffen als rechtlicher Rahmen für einen einheitlichen Diskriminierungsschutz gegen Ungleichbehandlungen wegen ethnischer Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Religion, Weltanschauung, Alter oder sexueller Identität.

Einen solchen Schutz sollten nur die Personen genießen, die wirklich an der Stelle interessiert sind – andernfalls besteht keine Schutzbedürftigkeit, was sich eigentlich ganz von selbst ergibt. Aber wenn es ums Recht geht, sind Dinge manchmal etwas komplizierter. 

Es ist zu begrüßen, dass der Rechtsanwalt aus München, der es zwischenzeitlich zu fragwürdiger Berühmtheit geschafft hat, auch durch den EuGH nicht zu einer Entschädigung gekommen ist. Das BAG hat zwar noch nicht entschieden, nach dem Ergebnis des EuGH ist aber klar, dass die Revision erfolglos sein wird. In diesem Fall wird es also keine Entschädigung geben; in anderen Fällen war der Anwalt erfolgreich (etwa BAG, Urteil vom 24.01.2013, Az. 8 AZR 429/11). 

Der Jurist selbst behauptet, er habe die Stelle bei der Versicherung wirklich antreten wollen. Allerdings passte das Profil so ganz und gar nicht, allein schon da Berufsanfänger angesprochen waren und er jahrelange Berufserfahrung hatte und auch schon ein Trainee bei einer Versicherung absolviert hatte. Außerdem wäre dann sein Verhalten nicht erklärbar, als die Versicherung ihn dann doch zu einem Vorstellungsgespräch einlud. Mit der Begründung, erst nach Erfüllung der Entschädigungsansprüche über seine Zukunft im Unternehmen sprechen zu wollen, wurde abgelehnt. Dies spricht schon Bände.

Zudem war die Bewerbung bei der R+V Versicherung nur der Anfang. Es folgten hunderte Scheinbewerbungen. Er bewerbe sich gezielt auf Jobs, die er gar nicht haben will, so der Vorwurf. der Staatsanwaltschaft München, die wegen Betruges ermittelt.

Gut also, dass die Frage, ob eine Entschädigung wegen Ungleichbehandlung auch bei einer Scheinbewerbung in Frage kommt, klar und deutlich vom EuGH verneint wurde. Auch wenn das BAG die Revision ohne diese Frage hätte zurückweisen können, wie wir finden. 

 

Lesen Sie zum Hintergrund unseren Artikel zum Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts

„Entschädigung wegen Ungleichbehandlung auch bei Scheinbewerbung?“

Den Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 18.06.2015 können Sie hier nachlesen. 

Und hier kann das vollständige Urteil des Europäischen Gerichtshofs nachgelesen werden.