Wir erinnern uns: die klagende Rechtsreferendarin war 2014 bis 2015, beim Amtsgericht Augsburg im Rahmen ihrer Juristenausbildung beschäftigt. Bei ihrer Einstellung verbot ihr das Oberlandesgericht München, das Kopftuch zu tragen. Dagegen ging sie gerichtlich vor und erhielt recht.
 

Verwaltungsgericht verweist auf fehlende gesetzliche Grundlage

Das Verwaltungsgericht hielt das Verbot bereits deshalb für unwirksam, weil es keine ausreichende Rechtsgrundlage dafür gebe. Im Freistaat Bayern gebe es kein Gesetz, das Rechtsreferendare zur Neutralität auffordere oder das Kopftuch verbiete.
 
Diese Entscheidung haben wir bereits besprochen:
Kopftuchverbot für Rechtsreferendarin unzulässig
 

Verwaltungsgerichtshof München hebt erste Instanz auf

Anschließend war der Verwaltungsgerichtshof in München gefragt. Die Berufungsinstanz schloss sich dem Verwaltungsgericht nicht an. Die dortigen Richter*innen bekräftigten, dass die Klägerin kein berechtigtes Interesse mehr daran habe, in der Sache eine Entscheidung zu bekommen. Es bestehe nämlich keine Wiederholungsgefahr.
 
Eine solche Wiederholungsgefahr könne das Gericht nur annehmen, wenn im Wesentlichen unter unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen könnte. Genau das sei im Fall der Klägerin aber nicht mehr möglich. Sie habe ihr Referendariat zwischenzeitlich nämlich schon beendet.
 

Die Klägerin fühlte sich weiter diskriminiert

Die Klägerin wies im Verfahren zwar darauf hin, sie fühle sich durch die Auflage des Oberlandesgerichts nach wie vor diskriminiert. Sie sah sich durch das Verbot auch tiefgreifend in ihren Grundrechten verletzt, denn die Auflage verkürze ihre Berufsfreiheit, die das Grundgesetz schütze.
 
Sie führe auch zu einem nicht gerechtfertigten Makel einer mangelnden Eignung. Das sei in ihrer Personalakte festgehalten und hafte ihr deshalb nicht lediglich während des Vorbereitungsdienstes an. Denn die Personalakte werde herangezogen, wenn sie sich zukünftig im öffentlichen Dienst bewerben sollte. Der Makel, zu dem die Auflage führe, wirke fort.
 
Er stelle ein Hindernis für den Zugang zu bestimmten Berufen im öffentlichen Dienst dar. Die Auflage, dass Kopftuch nicht zu tragen diskriminiere sie darüber hinaus nicht nur in der Ausübung ihres islamischen Glaubens sondern auch als Frau, weil sie ausschließlich muslimische Referendarinnen betreffe.
 

Der Verwaltungsgerichtshof ließ sich von den Argumenten der Klägerin nicht überzeugen

Das sah der Verwaltungsgerichtshof anders. Das Verbot des Tragens eines Kopftuch führe nicht zu einer Stigmatisierung der Klägerin. Die Auflage diene der Sicherung des staatlichen Neutralitätsgebotes. Daran müssten sich auch Rechtsreferendar*innen halten. Sie würden als Repräsentant*innen staatlicher Gewalt auftreten und auch als solche wahrgenommen. Aufgrund dessen müssten sie das staatliche Neutralität zwingend achten.
 
Das Tragen religiös geprägter Kleidungsstücke oder Symbole könne zu einem Konflikt zwischen der Glaubensfreiheit einerseits und den staatliche Neutralität andererseits führen. In dem Versuch des Oberlandesgerichts, diesen Konflikt durch das Verbot zu lösen, liege weder eine Diskriminierung noch eine Stigmatisierung der Klägerin. Die Auflage sei auch allgemein formuliert und habe deshalb keineswegs ausschließlich die Person der Klägerin in den Blick genommen. Es fehle deshalb auch an einem konkreten, personenbezogenen Vorwurf.
 

Das Bundesverfassungsgericht hatte ebenfalls schon zum Kopftuchverbot entschieden

Auch in Hessen war es schon einmal zu einem ähnlichen Verfahren gekommen. Lesen Sie dazu hier mehr:
Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen verfassungsgemäß
In einer ganz aktuellen Entscheidung vom Januar dieses Jahres bestätigte das Bundesverfassungsgericht ein Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen in Hessen. Insbesondere wenn diese als Richterinnen Sitzungen leiten und für die Staatsanwaltschaft auftreten, dürfe das Land Referendarinnen muslimischen Glaubens verbieten, ein Kopftuch zu tragen. Das ergebe sich aus dem staatlichen Neutralitätsgebot.
 

Die bayerische Klägerin beschritt den Rechtsweg zum Bundesverwaltungsgericht

Nach der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs München wandte sich die bayerische Referendarin trotz der bereits vorliegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an das Bundesverwaltungsgericht. Nun erging auch dort eine Entscheidung, die inzwischen als Pressemitteilung vorliegt.
 
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts enthält zwei interessante Aspekte. Zum einen finden sich grundsätzliche Ausführungen zum Interesse der Klägerin an einer Entscheidung in der Sache, obwohl das Referendariat bereits abgeschlossen war. Zum anderen setzt sich das Bundesverwaltungsgericht auch mit dem Kopftuchverbot in Bayern im Jahr 2014 auseinander.
 

Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an einer Entscheidung

Dabei bekräftigt das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich, dass die Rechtsreferendarin auch nach Ablauf ihres Referendariats einen Anspruch darauf hat, eine abschließende Entscheidung zu erhalten. Dies gelte selbst dann, wenn das streitige Kopftuchverbot bereits nicht mehr gelte.
 
Die „Kopftuch-Auflage" stelle nämlich einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff dar. Ein solcher Grundrechtseingriff erledige sich typischerweise zu kurzfristig, um im Rahmen eines Gerichtsverfahrens Rechtsschutz zu erlangen.
 

Das ausgesprochene Kopftuchverbot galt nur für die ersten beiden Stationen

Die gegenüber der Klägerin ausgesprochene Auflage habe zwar für das gesamte zweijährige Referendariat gegolten. Typischerweise wirke sie sich jedoch nur in den ersten beiden Stationen, nämlich bei Gericht und bei der Staatsanwaltschaft aus. Innerhalb dieses Zeitraumes könne die Klägerin eine abschließende gerichtliche Entscheidung über das Kopftuchverbot nicht erlangen. Sie habe daher ein Recht darauf, dass die Gerichte auch nach Abschluss des Referendariats über ihr Anliegen entscheiden.
 

In Bayern gab es keine gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot

Aber nicht nur das; Das Bundesverwaltungsgericht hielt die Klage auch für begründet, hob das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs München auf und bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg.
 
In Bayern habe es die erforderliche gesetzliche Grundlage für einen Eingriff in die Religionsfreiheit in der Zeit noch nicht gegeben, in welcher die Klägerin ihr Referendariat absolvierte. Diese Vorschrift sei erst 2018 geschaffen worden.

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof 07. März 2018
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. November 2020

Das sagen wir dazu:

Was die Einschränkung des Grundrechts der Religionsfreiheit anbelangt, darf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts letztlich als Einzelfallentscheidung betrachtet werden. Der Staat darf in Grundrechte nur mittels Gesetz eingreifen und diese beschränken. Ein dementsprechendes Gesetz hatte es in Bayern zum streitgegenständlichen Zeitraum noch nicht gegeben.

Die Situation, über die das Bundesverfassungsgericht im hessischen Fall entschieden hat, lag anders. Der Bundesverwaltungsgerichtshof stellt sich damit nicht gegen das Bundesverfassungsgericht. Die staatliche Neutralitätspflicht wird weiterhin ein Grund dafür bleiben, Kopftuchverbote zu rechtfertigen.

Das Urteil hat praktische Relevanz

Unabhängig davon hat das Urteil des Bundesverfassungsgericht jedoch für den*die Praktiker*in Bedeutung. Uns Juristen entgegnen Gerichte nicht selten, unsere Mandanten hätten keinen Anspruch mehr darauf, eine gerichtliche Entscheidung zu bekommen, weil die Situation, um die es ging, bereits verstrichen ist. Ist mit einer Wiederholungsgefahr nicht zu rechnen fehlt es aus Sicht der Gerichte und unserer Gegner oft an dem Rechtsschutzinteresse.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann uns da nun durchaus weiterhelfen. Ist der Eingriff entsprechend schwer, also wie hier in ein Grundrecht, so kann bereits die Schwere dieses Eingriffs rechtfertigen, auf eine gerichtliche Entscheidung nach Beendigung der streitgegenständlichen Situation zu bestehen. Das kann durchaus sehr viel weiterhelfen.