Ende des Jahres 2014 war es soweit: Nach jahrzehntelanger Produktion und langem Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze schloss das Opel-Werk in Bochum. Mehr als 3.000 Opelaner verloren ihren Job.

„Abgefedert“, wie man heutzutage verniedlichend sagt, wird der schwere Verlust des Arbeitsplatzes durch Abfindungszahlungen, die nach langen Verhandlungen in einem mit der IG Metall vereinbarten Sozialtarifvertrag geregelt sind. Danach erhalten die rentennah ausgeschiedenen Arbeitnehmer eine Abfindung in Höhe einer 80%-Nettoabsicherung für die Zeit vom 1.1.2016 bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente.

Hier aber liegt das rechtliche Problem: Schwerbehinderte können nach § 236a Sozialgesetzbuch VI mit Abschlägen vorzeitig und früher in Rente gehen als ihre nicht schwerbehinderten Arbeitskollegen. Die Folge: Sie erhalten eine deutlich geringere Nettoabfindung, weil die Zeit bis zum frühestmöglichen Rentenbeginn wesentlich kürzer ist.

Opelaner klagen wegen Diskriminierung Schwerbehinderter

Eine große Anzahl in der IG Metall organisierter Opelaner empfand diese Ungleichbehandlung als ungerecht und diskriminierend und klagte mit Hilfe des Bochumer Büros der DGB Rechtsschutz GmbH vor dem Arbeitsgericht. Sie wollten so gestellt werden wie ihre nicht schwerbehinderten Arbeitskollegen, die aufgrund des erst später möglichen Renteneintritts deutlich höhere Abfindungszahlungen von Opel erhielten.

Die beiden Rechtsschutzsekretärinnen des Bochumer DGB Rechtsschutzes, Susanne Nöllecke und Kathrin Hauel, beriefen sich auf § 7 Absatz 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Danach sind Bestimmungen, die gegen das Benachteiligungsverbot unter anderem zum Nachteil von schwerbehinderten Menschen verstoßen, unwirksam. Die Folge: „Den schwerbehinderten Opelanern steht eine Abfindung in der Höhe zu, wie sie vom Arbeitsplatzverlust Betroffene erhalten, die nicht schwerbehindert sind“, so Rechtsschutzsekretärin Nöllecke. „Diese Rechtsfolge“ ergänzt Rechtsschutzsekretärin Hauel „ergibt sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zum Diskriminierungsverbot“. Auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Köln, zwischenzeitlich bestätigt durch das Bundesarbeitsgericht (BAG), habe in derartigen Sozialplanregelungen eine unzulässige Benachteiligung von Schwerbehinderten gesehen.

Unzulässige Benachteiligung der Schwerbehinderten

Die Prozessvertreter von Opel hielten dem entgegen, dass es sich bei der unterschiedlichen Berechnung nicht um eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung handele, jedenfalls sei eine Ungleichbehandlung der Schwerbehinderten mit den nicht behinderten Arbeitskollegen gerechtfertigt. Auch könne eine etwaige Ungleichbehandlung nicht zu einer Anpassung der Abfindung der Schwerbehinderten an die höheren Abfindungen der übrigen Entlassenen führen. Die Folge wäre nämlich eine unzulässige Erhöhung des Gesamtvolumens des Sozialplans.

Das Arbeitsgericht Bochum folgte jedoch in einer Vielzahl von Urteilen der überzeugenden Argumentation des DGB Rechtsschutzes. Es verurteilte die Adam Opel AG zur Zahlung einer erhöhten Abfindung an die klagenden Opelaner. Mehr als 2,2 Millionen Euro sind es, auf die sich die betroffenen Schwerbehinderten nun freuen können.

Allerdings: Die Urteile des Arbeitsgerichts Bochum sind noch nicht rechtskräftig. Der Autobauer hat Berufung eingelegt. Nun muss im Frühjahr 2016 das LAG Hamm über die weiteren Abfindungsansprüche der Opelaner befinden.

  • Die Urteile des Arbeitsgerichts Bochum finden Sie hier:

Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 22.7.2015, 3 Ca 611/15 (nicht rechtskräftig)

Arbeitsgericht Bochum, Urteil vom 2.9.2015, 5 Ca 650/15 (nicht rechtskräftig)

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 19.11.2013 können Sie hier nachlesen:

Die Presseerklärung des Bundesarbeitsgerichts vom 17. 11. 2015 als nachfolgende Instanz können Sie hier lesen. 

Eine Entscheidung des EuGH (Urteil vom 6.12.2012, C-152/11) zum Thema „Diskriminierung wegen des Alters und wegen einer Behinderung - Reduzierung von Sozialplanleistungen wegen bevorstehender Rentenberechtigung des Arbeitnehmers - EGRL 78/2000“ können Sie hier nachlesen:

Zum Diskriminierungsverbot von Schwerbehinderten bei Abfindungszahlungen erfahren Sie mehr in unserem Artikel „Abfindungspauschale für schwerbehinderte Menschen rechtswidrig“.


Im Praxistipp: § 7 Benachteiligungsverbot, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 

Rechtliche Grundlagen

§ 7 Benachteiligungsverbot, Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 7 Benachteiligungsverbot
(1) Beschäftigte dürfen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden; dies gilt auch, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines in § 1 genannten Grundes bei der Benachteiligung nur annimmt.
(2) Bestimmungen in Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot des Absatzes 1 verstoßen, sind unwirksam.
(3) Eine Benachteiligung nach Absatz 1 durch Arbeitgeber oder Beschäftigte ist eine Verletzung vertraglicher Pflichten.