Kenntnisse der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehören nicht zum unverzichtbaren Grundwissen von Betriebsratsmitgliedern im Sinne von § 37 Abs 6 S 1 BetrVG. Eine entsprechende Schulungsveranstaltung kann im Einzelfall erforderlich sein, dies muss der Betriebsrat allerdings entsprechend belegen.

Welcher Sachverhalt lag der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu Grunde?


Zwischen der Arbeitgeberin und Betriebsrat besteht seit längerer Zeit Streit darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet ist, mehrere Betriebsratsmitglieder für das Seminar »Aktuelle Rechtsprechung am Bundesarbeitsgericht» freizustellen und die Kosten zu übernehmen. Die Seminarthemen beziehen sich jeweils auf aktuelle Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts. Die Entscheidungen, die in den einzelnen Seminaren besprochen werden, benennt der Veranstalter erst etwa acht Wochen vor dem jeweiligen Seminarbeginn.

Der Betriebsrat meint, das Seminar vermittle betriebsverfassungsrechtliche Grundkenntnisse. Ein konkreter Schulungsbedarf jedes einzelnen Betriebsratsmitglieds müsse daher nicht dargelegt werden. Die Arbeitgeberin meint, die Betriebsratsmitglieder könnten sich durch die zur Verfügung gestellte Fachpresse über die aktuelle Rechtsprechung informieren.


Wie hat das Bundesarbeitsgericht entschieden?

 

Das BAG gab der Arbeitgeberin Recht.

Die Schulungen vermittelt nach der allgemeinen Konzeption der Seminarreihe kein Grundwissen. Kenntnisse der aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gehören nicht zum unverzichtbaren Grundwissen der einzelnen Betriebsratsmitglieder im Betriebsverfassungsrecht, im allgemeinen Arbeitsrecht oder im Bereich der Arbeitssicherheit und Unfallverhütung, deren Erforderlichkeit der Betriebsrat nicht näher darlegen muss. Sie setzen vielmehr mit Blick auf die Vielfalt der Themen und die vertiefte Beurteilung von Einzelfällen entsprechende Grundkenntnisse voraus, die sie im Sinn einer Spezialisierung intensivieren.

Zwar kann es erforderlich sein, dass sich Betriebsratsmitglieder über die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts informieren. Ob die besonderen Kenntnisse erforderlich i.S.v. § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG sind, kann aber nur anhand der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Entscheidend ist die konkrete Situation in Betrieb und Betriebsrat. Gegen die Erforderlichkeit der Seminarveranstaltung kann zum Beispiel sprechen, dass das entsandte Betriebsratsmitglied in jüngerer Vergangenheit eine Grundschulung oder ein den hier umstrittenen Schulungen ähnliches Seminar besucht hat, das entsprechende Spezialkenntnisse vermittelt hat.

Aus den in der Vergangenheit liegenden Seminaren, zu denen die Antragsteller entsandt wurden und an denen sie nicht teilnahmen, kann der erforderliche betriebliche Bezug für künftige ähnliche Seminare nicht abgeleitet werden. Besonderheit der Seminarreihe ist ihr ständig wechselnder Inhalt durch die zu behandelnden aktuellen Entscheidungen. Ohne Wissen um den jeweiligen Seminarplan kann nicht beurteilt werden, ob das einzelne Betriebsratsmitglied die zu vermittelnden Kenntnisse für seine Betriebsratsarbeit braucht. Aus den vergangenen Seminarinhalten lassen sich keine Rückschlüsse für künftige
Veranstaltungen ziehen.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Eine Freistellung für Betriebsratsarbeit erfolgt, soweit diese erforderlich ist. Dies gilt auch für Schulungen/Seminare. Eine allgemein gültige Definition für „erforderlich“ gibt es nicht. Es ist immer der Einzelfall zu berücksichtigen.
Während bei neu gewählten Betriebsratsmitgliedern noch nahezu jedes Einstiegsseminar als erforderlich angesehen wird, ist dies bei Betriebsratsmitgliedern, die dieses Amt schon längere Zeit innehaben nicht ohne weiteres der Fall.
Dann muss vielmehr ein aktueller oder absehbarer betrieblicher oder betriebsbezogener Anlass vorhanden sein. Es muss dargelegt werden, dass die zu erwerbenden besonderen Kenntnisse zumindest in nächster Zukunft benötigt werden, um die dem Betriebsrat zustehenden Beteiligungsrechte sach- und fachgerecht ausüben zu können. Der Einzelfall entscheidet also.
Dazu gehören die Aufgabenverteilung im Betriebsrat, die Größe des Betriebsrates, die letzte Aktualisierung des bereits vorhandenen Wissens, die betriebliche Entwicklung. Insbesondere muss aus der Bekanntmachung des Seminars ersichtlich sein, zu welchen Fragen/Themen eine Schulung erfolgen wird. Im vorliegenden Fall hieß es nur, dass ein Überblick über die aktuelle Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vermittelt wird. Die konkreten Inhalte sollten erst ca. 8 Wochen vor Seminarbeginn mitgeteilt werden. Mithin also nach der Anmeldung. Darauf, so das Gericht, muss sich der Arbeitgeber nicht einlassen. Diese Ankündigung ist zu wage.
Der Betriebsrat sollte daher konkret sagen können, weshalb gerade dieses Betriebsratsmitglied diese Schulung benötigt. Je konkreter hier vorgegangen wird, desto schwerer hat es der Arbeitgeber, die Erforderlichkeit zu verneinen.

 


Margit Körlings

DGB Rechtsschutz GmbH

Beschluss des BAG vom 18.01.2012, 7 ABR 73/10