Verkennung der Betriebsbegriffs kann Unwirksamkeit der Wahl begründen. Copyright by Robert Kneschke/Fotolia
Verkennung der Betriebsbegriffs kann Unwirksamkeit der Wahl begründen. Copyright by Robert Kneschke/Fotolia

Fünf Mitarbeiter der Daimler AG hatten die 2018 für den Betrieb „Zentrale Stuttgart“ der „Daimler AG“ durchgeführte Betriebsratswahl vor dem Arbeitsgericht Stuttgart angefochten.
 
Die Stuttgarter Arbeitsrichter*innen hatten nun darüber zu entscheiden, ob bei der Betriebsratswahl ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht vorlag. In diesem Fall wäre die Wahl unwirksam. Betroffen von der Entscheidung sind ca. 17.000 Mitarbeiter*innen des Betriebs „Zentrale“, die einen 41- köpfigen Betriebsrat gewählt hatten.

Verkennung des Betriebsbegriffs

Nach Auffassung des Stuttgarter Arbeitsgerichts haben die Beteiligten bei der Wahl den Betriebsbegriff verkannt. Dies, so die  Richter*innen, stelle einen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) dar.

Grund für die Entscheidung war, dass bei der Wahl in selbstständigen betriebsratsfähigen Einheiten keine eigenständigen Betriebsräte zur Wahl standen. Dies sei Insbesondere in räumlich weit entfernten Betriebsteilen wie in Berlin sowie in Gernsbach der Fall gewesen. Dort haben 10 bzw. 26 wahlberechtigte Beschäftigte gearbeitet.
 

Effektive Betreuung vor Ort nicht möglich

Nach Sinn und Zweck des BetrVG sei eine effektive Betreuung der vor Ort beschäftigten Mitarbeiter*innen durch einen über 100 km bzw. 600 km entfernten Betriebsrat nicht möglich.
Dafür, dass die Mitarbeiter*innen der Betriebsteile sich auch wegen der Entfernung und der „Größenverhältnisse“ nicht repräsentiert sehen, spricht nach Ansicht der Kammer auch die Tatsache, dass kein Mitarbeiter sich zur Wahl gestellt hatte und die Wahlbeteiligung bei 6 abgegebenen Stimmen sehr gering ausfiel. Eine andere Wertung ergebe sich auch nicht durch die Möglichkeit der Nutzung moderner Kommunikationsmittel wie Videokonferenzen oder Skype.
 

Jahrelang falsche Handhabung ergibt keinen einheitlichen Betrieb

Keine Beachtung im Sinne der Arbeitgeberseite und des Betriebsrats fand deren Einlassung, wonach die Mitarbeiter*innen in diesen Standorten mit Mehrheitsbeschluss vor ca. 20 Jahren beschlossen haben, an der Betriebsratswahl im Hauptbetrieb teilzunehmen. Denn konkrete Tatsachen zu dieser Behauptung seien nicht vorgetragen. Im Übrigen sei zum pauschal behaupteten Zeitpunkt ein solcher Beschluss rechtlich nicht möglich gewesen. Allein die jahrelange Praxis führe nach Ansicht der Kammer nicht dazu, dass entgegen dem Gesetzeswortlaut ein einheitlicher Betrieb vorliege.
Letztendlich vermochte auch die Argumentation des Betriebsrats sowie der Daimler AG das Gericht nicht zu überzeugen. Danach habe die geringe Anzahl der in den selbstständigen Betriebsteilen betroffenen Mitarbeitern das Wahlergebnis in der Zentrale nicht beeinflusst.
 

Weitere streitige Frage zu Ungunsten der Antragsteller entschieden

Zwischen den Beteiligten war ebenfalls streitig, ob es sich bei der „Zentrale Stuttgart“ um einen Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne handelt. Oder ob die Bereiche „Zentrale Funktionen“, „MB-Cars“, „Trucks“ und „Van“, jeweils eigenständige Betriebe sind. In dieser Frage ging die Kammer davon aus, dass durch den einheitlichen Ansprechpartner des Betriebsrats ein einheitlicher Betrieb „Zentrale“ bestehe. Dass unternehmensweite Entscheidungen von in den jeweiligen Sparte beschäftigten Mitarbeitern getroffen werden, stehe dem ebenso wenig entgegen wie die Tatsache, dass sonstige Leitende Angestellte zur selbständigen Einstellung und Entlassung in den jeweiligen Sparten beschäftigt werden.
 

Einlegung der Beschwerde möglich

Betriebsrat und Daimler AG können gegen die am 25. April 2019 ergangene Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung der schriftlichen Gründe Beschwerde beim Landesarbeitsgericht einreichen. Im diesem Fall werden wir über den weiteren Verlauf des Verfahrens berichten.
 
Hier finden Sie die Pressemitteilung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.4.2019

Hier geht es zur vollständigen Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 25.04.2019

Das sagen wir dazu:

Wahlanfechtung und jetzt? 


Wenn ein Anfechtungsverfahren erfolgreich durchgeführt wird, so hört das fehlerhaft gebildete Betriebsratsgremium mit dem rechtskräftigen Gerichtsbeschluss auf zu existieren. 

Handlungen, die der Betriebsrat in der Zwischenzeit vorgenommen hat, bleiben aber wirksam. Es muss ein neues Wahlverfahren durchgeführt werden. 

Erkennt der Betriebsrat im Laufe des Anfechtungsverfahrens das dieses für die Antragsteller*innen erfolgreich enden wird, so kann er, bevor die Entscheidung rechtskräftig wird, selbst noch einen neuen Wahlvorstand einsetzen, der sich um die Wiederholung der Betriebsratswahl kümmert. Andernfalls besteht sonst ein betriebsratsloser Betrieb, der wieder von ganz vorn mit der Bestellung des Wahlvorstands beginnen muss, z.B. durch die Initiative von 3 wahlberechtigten Arbeitnehmern.

Rechtliche Grundlagen

§ 4 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 Betriebsverfassungsgesetz

§ 4 Betriebsverfassungsgesetz - Betriebsteile, Kleinstbetriebe

(1) Betriebsteile gelten als selbständige Betriebe, wenn sie die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 erfüllen und
1.
räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder
2.
durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind.

Die Arbeitnehmer eines Betriebsteils, in dem kein eigener Betriebsrat besteht, können mit Stimmenmehrheit formlos beschließen, an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilzunehmen; § 3 Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend. Die Abstimmung kann auch vom Betriebsrat des Hauptbetriebs veranlasst werden. Der Beschluss ist dem Betriebsrat des Hauptbetriebs spätestens zehn Wochen vor Ablauf seiner Amtszeit mitzuteilen. Für den Widerruf des Beschlusses gelten die Sätze 2 bis 4 entsprechend.

(2) Betriebe, die die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 nicht erfüllen, sind dem Hauptbetrieb zuzuordnen.